Recherchieren oder runterschreiben?

Von Jochen Stöckmann |
Quote und Boulevard statt Enthüllung und sorgfältiger Recherche? Bei einer Gesprächsrunde in Neuhardenberg klagten prominente Medienleute wie Hans Leyendecker und Günter Wallraff über den vermeintlichen Niedergang des investigativen Journalismus.
Hans Leyendecker: "Ich glaube, dass noch nie so viel recherchiert wurde, wie heute recherchiert wird – und gleichzeitig, dass es selten so viel schlechten Journalismus gegeben hat. Wir haben gleichzeitige Entwicklungen: Zum einen haben wir Möglichkeiten, die wir früher nicht hatten. Wir haben sehr viel besser ausgebildete Journalisten. Und die Tageszeitungen: Wenn sie sich angucken, wie sich selbst die FAZ verändert hat, wie auch die FAZ mittlerweile Mannschaften bildet, Teams. Und gleichzeitig hast du einen ganz gleichförmigen Journalismus."

Der gleichförmige Journalismus, den Hans Leyendecker, sozusagen Chef-Investigateur der "Süddeutschen Zeitung", in Neuhardenberg anprangerte, diese mediale Dauerberieselung hat viele Ursachen, darunter vor allem der ökonomische Druck und die Quote, die Boulevardisierung, das Rattenrennen um die knalligste Schlagzeile und die aufsehenerregendste Enthüllung.

Darüber waren sich alle einig – und stellten drei ganz unterschiedliche Formen des investigativen Journalismus vor, mit denen die Medien ihrer politisch angestammten Rolle als "vierte Gewalt", als öffentliches Kontrollinstrument der Staatsgewalt, wieder gerecht werden könnten. Zuerst war da Leyendecker selbst, der mit Teams zumeist junger Journalisten dem täglichen Daten-Tsunami trotzt und einen Skandal nach dem nächsten aufdeckt:

"Wir machen Steuerfestplatten oder CIA oder Kartoffelkartell oder irgendwie solche Geschichten. Und wir versuchen, die möglichst gut recherchiert und hintergründig zu machen. Das ist eigentlich Recherchejournalismus - der manchmal exzessiver ist als bei anderen Blättern."

Die tieferliegenden Ursachen etwa der Finanzkrise oder des Versagens der EU-Agrarpolitik sind damit noch nicht kenntlich gemacht, aber wenn es um anschauliche Schilderungen von Missständen, zumal um Unterdrückung von Menschenrechten geht, kommt Deutschlands erster Undercover-Journalist ins Spiel, Günter Wallraff, der gekonnt in die Rolle von Fließbandarbeitern, Paketboten oder eines "Bild"-Reporters schlüpft:

"Da wo man sich nicht vom Schreibtisch her alleine informiert – das ist meine Methode. Andere haben andere Möglichkeiten. Bei mir fing das damit an, dass ich ein schlechter Schüler war, Theoriedefizit. Ich musste es selbst erfahren, ich muss das sinnlich erfahren."

Ganz nah dran soll auch "Das Wallraff-Team" sein, eine Sendung, die demnächst von RTL ausgestrahlt wird. Der einst als linker Überzeugungstäter beim Privatfernsehen kaum gelittene Journalist hofft, damit an neue Zielgruppen heranzukommen – stößt aber bei seiner Kollegin, der freien Autorin und Fernsehjournalistin Julia Friedrichs, auf Skepsis:

"Ich habe Schwierigkeiten mit dieser Undercover-Methode, wenn sie beim Fernsehen als Effekt eingesetzt wird. Beim Fernsehen sagt man manchmal einfach ‚wir drehen verdeckt‘, weil es irgendwie geiler wirkt, weil es spannender wirkt. Ich finde, wenn man damit etwas herausfindet, ist es legitim und ich finde es toll, dass es solche Reportagen gibt. Ich mache das so, dass ich meinen Namen nenne und dass ich sage, wofür das genau ist."

Julia Friedrichs Stärke sind Milieuschilderungen, sie will ihre Leser ganz einfach dorthin bringen, wo sie sonst nie Besuche machen oder hinschauen würden, bei den "Gattinnen von Blankenese" etwa oder auf dem Arbeitsamt in Braunschweig. Letztere Sozialreportage allerdings führte zu einem sogenannten "Shitstorm", der sich im Internet über die Mitarbeiterin der Arbeitsagentur ergoss, deren Alltag die Journalistin akribisch recherchiert und ganz nüchtern und neutral beschrieben hatte:

"Wo ich mich als Journalistin langsam frage, kann ich es überhaupt noch verantworten, damit Leute in die Öffentlichkeit zu zerren? Da stehe ich so ein bisschen ratlos davor. Und finde es vor allem ganz falsch, was die etablierten Medien machen, die glaube ich viel vorsichtiger sein müssten, immer zu sagen, im Netz ist jetzt das, im Netz ist jetzt dieses – als wäre das eine verlässliche Quelle und ein repräsentatives Geschehen."

Damit war vieles, vielleicht sogar alles gesagt, über die Probleme des Journalismus und über die Krise der Öffentlichkeit. Am Moderator Volker Panzer wäre es nun gewesen, aus der Betrachtungsdistanz zu ergründen, was Journalisten selbst im Inneren ihres jeweiligen Mediengehäuses wohl wahrnehmen, worüber sie lautstark lamentieren, was sie aber selten reflektieren oder gar analysieren.

Auch die Frage blieb aus, ob nicht der beste investigative Journalist, weil auf Tipps und Hintergrundinformationen angewiesen, einem angeblichen Whistleblower oder den umtriebigen Spin Doctors der PR-Agenturen zum Opfer fallen und sich instrumentalisieren lassen kann. Stattdessen wurde noch einmal die Causa Wulff aufgewärmt, jener Christian Wulff, der vor kurzem noch von allen Seiten hochgelobter jüngster Bundespräsident war und dann von "Bild" bis "Spiegel" niedergeschrieben wurde. Warum? Günter Wallraff versuchte eine Deutung:

"Ich will hier jetzt keine Verschwörungstheorie aufmachen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Er war jemand, der plötzlich als Bundespräsident meinte sagen zu müssen, dass der Islam zu Deutschland gehört. Und dann - plötzlich - war er zum Abschuss freigegeben. Ich weiß nicht, ob das so einfach ist, ist wahrscheinlich viel komplizierter. - Herr Leyendecker, war es so einfach?"

Und auch Hans Leyendecker blieb die Antwort nicht schuldig, touchierte erst seinen Redaktionskollegen Heribert Prantl, um dann bei "Bild"-Chef Kai Diekmann eine psychologische Ferndiagnose zu wagen.

"Diese Äußerung, die hat ihm auf der einen Seite Sympathie eingebracht bei Leuten - ich habe das bei der Süddeutschen erlebt, bei Heribert Prantl sehr stark - bei anderen weniger. Ich glaube, es war ein Meuteverhalten. Und Diekmann hat eine unglaubliche Sehnsucht nach Anerkennung. Diekmann wird getrieben von der Sehnsucht."

"Da psychologisieren Sie aber sehr stark, Herr Leyendecker!"

"Doch, doch, ich glaube ja, dass er das hat!"

Wie es nun aber tatsächlich ausgeht in der Auseinandersetzung zwischen investigativem und Meute- oder Boulevard-Journalismus, das werden die nächsten Tage zeigen, das hätte man auch bei dieser Diskussion schon einmal beleuchten können: Werden in der Drohnen-Affäre Fallstricke, bürokratische Probleme und ökonomische Strukturen des milliardenschweren Rüstungsprojekts aufgedeckt oder geht es am Ende wieder einmal nur um den "Abschuss" eines Ministers?