"Recht, nicht Rache"
Der Holocaust-Überlebende und langjährige Nazi-Verfolger Simon Wiesenthal ist tot. Er starb im Alter von 96 Jahren in Wien. Der gebürtige Österreicher war an der Aufspürung zahlreicher NS-Verbrecher wie beispielsweise Adolf Eichmann beteiligt.
Simon Wiesenthal war der letzte Überlebende seiner Familie. 1908 in Buczacz, einem kleinen Städtchen in Galizien geboren, war er in einem kultivierten, bürgerlichen Elternhaus aufgewachsen. Die Atmosphäre zu Hause war geprägt von deutschen Kulturwerten. Sein Vater war im Ersten Weltkrieg für Deutschland gefallen.
Bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 arbeitete Simon Wiesenthal in Lemberg als junger Architekt in Lemberg, bevor der 33-Jährige von den Nazis in Prag verhaftet wurde. Bis zu seiner Befreiung durch die Amerikaner im Mai 1945 im KZ Mauthausen mußte er zwölf Konzentrationslager erleiden. Nach dem Krieg half er den Amerikanern bei der Aufdeckung von Nazi-Verbrechen, eröffnete 1947 in Linz zusammen mit anderen Nazi-Verfolgten ein Zentrum zur Sammlung von Unterlagen über die Verfolger der Juden, spürte später in seinem Jüdischen Dokumentationszentrum in Wien den Nazi-Tätern in ihren Schlupfwinkeln in aller Welt nach. Recht, nicht Rache war dabei immer sein erklärter Grundsatz. Die Opfer wie die Täter sind mittlerweile gemeinsam alt geworden. Vor einiger Zeit antwortete Simon Wiesenthal darauf, inwieweit es bis heute für ihn Gerechtigkeit oder Recht gegeben hat.
Simon Wiesenthal: "Schauen Sie, Gerechtigkeit ist etwas, was nur ein sehr fernes Ziel ist. In dieser Richtung soll man gehen und man kann nicht alles erreichen. Alles was ich mache - und das war mir bewusst von vornherein -, dass die ungeheuren Verbrechen, die geschehen sind, nicht bestraft werden können, das geht einfach nicht. Bestraft werden kann einer, der jemanden erschossen hat. Aber einer, der verantwortlich ist für 50.000 Ermordete und der dann eine Strafe erhält und nach einiger Zeit nach Hause geht - dann muss man das Umdenken in Tage oder Stunden pro Opfer. Aber eines ist wichtig: Auch wenn es so spät ist und je später ist es wichtiger: Das ist eine Warnung an die Mörder von Morgen, die vielleicht heute geboren sind: Das sie niemals ruhen werden!"
So wurde er zum legendären Nazi-Jäger, der durch seine unermüdliche Suche etwa Josef Mengele auf die Spur kam. Doch die Legende des Nazi-Jägers und Rächers, die sich damit um ihn aufbaute, entsprach nicht seinen tatsächlichen Motiven - dem "Prinzip (...), die Verbrecher vor Gericht zu stellen, um einer Wiederholung der Katastrophe vorzubeugen". In über 1600 Fällen gelang es ihm, einen Nazimörder vor Gericht zu bringen. Sein spektakulärster Fall wurde Adolf Eichmann, der 1960 unter Simon Wiesenthals maßgeblicher Mitwirkung in Argentinien gefasst und später in Israel zum Tode verurteilt wurde.
Simon Wiesenthal: "Schauen Sie, was ist meine Stärke? Meine Stärke ist wahrscheinlich, dass viele Leute in Südamerika oder in anderen Ländern überzeugt sind, dass ich viel mehr weiß, als ich weiß. Und das werde ich niemals sagen, dass ich nicht weiß. Warum? Ich möchte sie nicht von ihrem schlechten Schlaf befreien. Und dieser, ihr schlechter Schlaf, ist ein Teil der Strafe. Und das soll man wissen. Schauen Sie, ich habe jetzt einen Fall, der ist in Stuttgart vor Gericht: Der Mann wurde verhaftet, 47 Jahre nach der Tat in einer Entfernung von 11.000 Kilometern vom Ort der Tat. Der Mann ist jetzt 79 und muss sich verantworten für dreieinhalbtausend Fälle, in denen er etwa 30 Menschen persönlich tötete. Er ist Pensionist und was wollte er? Er wollte in Ruhe sterben. Aber ich sage: Wer in solche Verbrechen verstrickt war, hat das Recht verloren, in Ruhe zu sterben. Denn das ist das Einzige, was wir für die Zukunft tun können: Dass die anderen sich beim nächsten Massenmord überlegen: Und was wird sein, wenn wir nicht gewinnen?! – Dann muss ich flüchten und mich verstecken bis zum Ende meines Lebens."
Simon Wiesenthal hat sich immer für eine Wahrheitsfindung jenseits der Ideologien, jenseits der Pauschalurteile eingesetzt. Woran hat er sich zeitlebens bei der Frage nach Schuld orientiert - was war für ihn dabei der Maßstab.
Simon Wiesenthal: "Wenn jemand sich darauf beruft, dass er einen Befehl erhalten hat, Kinder oder Frauen zu erschießen, muss ihm vorgehalten werden, dass im Militärstrafgesetzbuch der Nazis der Paragraph 47 - genau wie er noch zu Kaisers Zeit existiert hat - unverändert geblieben ist. Und dieser Paragraph sagt: Ein Befehl, der ein Verbrechen beinhaltet, darf nicht ausgeführt werden. Und es gab genügend Offiziere und auch Einzelne, die sich darauf berufen haben. Nichts ist ihnen geschehen. Das heißt, es gab eine Möglichkeit. Und Unkenntnis des Gesetzes schützt ja bekanntlich nicht vor Strafe.
Die Verteidiger der Angeklagten - viele Verteidiger - haben herumgesucht, wenigstens ein oder zwei Fälle zu finden, dass einer, der verweigert hat, einen solchen Befehl auszuführen, selber erschossen wurde. Er wurde nicht erschossen. Er wurde an die Front geschickt. Na, an der Front waren Millionen anderer, Millionen Soldaten."
Als Simon Wiesenthals Vermächtnis bleibt seine Erfahrung, wie Nachgeborene die Erinnerung an die Nazi-Zeit begreifen können.
Simon Wiesenthal: "Elternhaus, Kirche und Schule. Nur mit Hilfe dieser drei Faktoren können junge Menschen das begreifen. Aber sehr oft sagen die Eltern: 'Ach was, brauche ich ihm das immer zu erzählen' - Auch unter Juden habe ich erlebt, dass sie ihren Kindern nicht erzählen. Warum? Ach, ich habe selber genug gelitten, ich will nicht, dass mein Kind leidet. Und das ist falsch! Absolut falsch! Und es hängt davon ab, wo. In den Schulen haben wir ein Defizit. Warum? Weil das in den Schulen in den Rahmen des Geschichtsunterrichts gehört. Und wer selber einmal studiert hat und im Gymnasium war, weiß: Das Geschichtsmaterial wird niemals bis zum Ende durchgezogen. Nachdem das also so ist, müssen die Schulen von sich aus die Sache nach Vorwärts nehmen und sagen: Jene Sachen sind zwar historisch, aber, die Generation, die das erlebt und erlitten hat, lebt ja noch, und davon sollt' Ihr wissen."
Das Interview zum Thema "Die Ermittler von Ludwigsburg - die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik heute" mit Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, Leiter der Zentralstelle der Länderjustizverwaltungen, können Sie in der rechten Spalte als Audio hören.
Bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 arbeitete Simon Wiesenthal in Lemberg als junger Architekt in Lemberg, bevor der 33-Jährige von den Nazis in Prag verhaftet wurde. Bis zu seiner Befreiung durch die Amerikaner im Mai 1945 im KZ Mauthausen mußte er zwölf Konzentrationslager erleiden. Nach dem Krieg half er den Amerikanern bei der Aufdeckung von Nazi-Verbrechen, eröffnete 1947 in Linz zusammen mit anderen Nazi-Verfolgten ein Zentrum zur Sammlung von Unterlagen über die Verfolger der Juden, spürte später in seinem Jüdischen Dokumentationszentrum in Wien den Nazi-Tätern in ihren Schlupfwinkeln in aller Welt nach. Recht, nicht Rache war dabei immer sein erklärter Grundsatz. Die Opfer wie die Täter sind mittlerweile gemeinsam alt geworden. Vor einiger Zeit antwortete Simon Wiesenthal darauf, inwieweit es bis heute für ihn Gerechtigkeit oder Recht gegeben hat.
Simon Wiesenthal: "Schauen Sie, Gerechtigkeit ist etwas, was nur ein sehr fernes Ziel ist. In dieser Richtung soll man gehen und man kann nicht alles erreichen. Alles was ich mache - und das war mir bewusst von vornherein -, dass die ungeheuren Verbrechen, die geschehen sind, nicht bestraft werden können, das geht einfach nicht. Bestraft werden kann einer, der jemanden erschossen hat. Aber einer, der verantwortlich ist für 50.000 Ermordete und der dann eine Strafe erhält und nach einiger Zeit nach Hause geht - dann muss man das Umdenken in Tage oder Stunden pro Opfer. Aber eines ist wichtig: Auch wenn es so spät ist und je später ist es wichtiger: Das ist eine Warnung an die Mörder von Morgen, die vielleicht heute geboren sind: Das sie niemals ruhen werden!"
So wurde er zum legendären Nazi-Jäger, der durch seine unermüdliche Suche etwa Josef Mengele auf die Spur kam. Doch die Legende des Nazi-Jägers und Rächers, die sich damit um ihn aufbaute, entsprach nicht seinen tatsächlichen Motiven - dem "Prinzip (...), die Verbrecher vor Gericht zu stellen, um einer Wiederholung der Katastrophe vorzubeugen". In über 1600 Fällen gelang es ihm, einen Nazimörder vor Gericht zu bringen. Sein spektakulärster Fall wurde Adolf Eichmann, der 1960 unter Simon Wiesenthals maßgeblicher Mitwirkung in Argentinien gefasst und später in Israel zum Tode verurteilt wurde.
Simon Wiesenthal: "Schauen Sie, was ist meine Stärke? Meine Stärke ist wahrscheinlich, dass viele Leute in Südamerika oder in anderen Ländern überzeugt sind, dass ich viel mehr weiß, als ich weiß. Und das werde ich niemals sagen, dass ich nicht weiß. Warum? Ich möchte sie nicht von ihrem schlechten Schlaf befreien. Und dieser, ihr schlechter Schlaf, ist ein Teil der Strafe. Und das soll man wissen. Schauen Sie, ich habe jetzt einen Fall, der ist in Stuttgart vor Gericht: Der Mann wurde verhaftet, 47 Jahre nach der Tat in einer Entfernung von 11.000 Kilometern vom Ort der Tat. Der Mann ist jetzt 79 und muss sich verantworten für dreieinhalbtausend Fälle, in denen er etwa 30 Menschen persönlich tötete. Er ist Pensionist und was wollte er? Er wollte in Ruhe sterben. Aber ich sage: Wer in solche Verbrechen verstrickt war, hat das Recht verloren, in Ruhe zu sterben. Denn das ist das Einzige, was wir für die Zukunft tun können: Dass die anderen sich beim nächsten Massenmord überlegen: Und was wird sein, wenn wir nicht gewinnen?! – Dann muss ich flüchten und mich verstecken bis zum Ende meines Lebens."
Simon Wiesenthal hat sich immer für eine Wahrheitsfindung jenseits der Ideologien, jenseits der Pauschalurteile eingesetzt. Woran hat er sich zeitlebens bei der Frage nach Schuld orientiert - was war für ihn dabei der Maßstab.
Simon Wiesenthal: "Wenn jemand sich darauf beruft, dass er einen Befehl erhalten hat, Kinder oder Frauen zu erschießen, muss ihm vorgehalten werden, dass im Militärstrafgesetzbuch der Nazis der Paragraph 47 - genau wie er noch zu Kaisers Zeit existiert hat - unverändert geblieben ist. Und dieser Paragraph sagt: Ein Befehl, der ein Verbrechen beinhaltet, darf nicht ausgeführt werden. Und es gab genügend Offiziere und auch Einzelne, die sich darauf berufen haben. Nichts ist ihnen geschehen. Das heißt, es gab eine Möglichkeit. Und Unkenntnis des Gesetzes schützt ja bekanntlich nicht vor Strafe.
Die Verteidiger der Angeklagten - viele Verteidiger - haben herumgesucht, wenigstens ein oder zwei Fälle zu finden, dass einer, der verweigert hat, einen solchen Befehl auszuführen, selber erschossen wurde. Er wurde nicht erschossen. Er wurde an die Front geschickt. Na, an der Front waren Millionen anderer, Millionen Soldaten."
Als Simon Wiesenthals Vermächtnis bleibt seine Erfahrung, wie Nachgeborene die Erinnerung an die Nazi-Zeit begreifen können.
Simon Wiesenthal: "Elternhaus, Kirche und Schule. Nur mit Hilfe dieser drei Faktoren können junge Menschen das begreifen. Aber sehr oft sagen die Eltern: 'Ach was, brauche ich ihm das immer zu erzählen' - Auch unter Juden habe ich erlebt, dass sie ihren Kindern nicht erzählen. Warum? Ach, ich habe selber genug gelitten, ich will nicht, dass mein Kind leidet. Und das ist falsch! Absolut falsch! Und es hängt davon ab, wo. In den Schulen haben wir ein Defizit. Warum? Weil das in den Schulen in den Rahmen des Geschichtsunterrichts gehört. Und wer selber einmal studiert hat und im Gymnasium war, weiß: Das Geschichtsmaterial wird niemals bis zum Ende durchgezogen. Nachdem das also so ist, müssen die Schulen von sich aus die Sache nach Vorwärts nehmen und sagen: Jene Sachen sind zwar historisch, aber, die Generation, die das erlebt und erlitten hat, lebt ja noch, und davon sollt' Ihr wissen."
Das Interview zum Thema "Die Ermittler von Ludwigsburg - die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik heute" mit Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, Leiter der Zentralstelle der Länderjustizverwaltungen, können Sie in der rechten Spalte als Audio hören.