"Ich will mich nicht einschüchtern lassen"
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Hinter den Kulissen der bayerischen Hauptstadt ist die rechte Szene sehr aktiv. Politiker, die sich mutig dagegen positionieren, haben kein leichtes Leben. Das zeigt das Beispiel des SPD-Politikers Markus Guinand. Der will nicht klein beigeben.
Es ist ein Brief, der sehr knapp gefasst ist – und in seiner Botschaft unmissverständlich. Markus Guinand erhält ihn im November vergangenen Jahres.
"Der ging an die Stadt München, war an mich adressiert. Da stand schon auf dem Umschlag. 'An den Volksverräter und das elende Dreckschwein' und innendrin stand: 'Dich sollte man standesrechtlich erschießen und an den Galgen hängen.'"
Schnell gekrakelt in rotem Filzstift. Dazu einen Aufkleber "Gib Islam keine Chance" und einen mit einer Deutschlandfahne drauf – und der Aufschrift: "Wir sind das Volk". Seit November wird Markus Guinand mit Sprüchen wie diesen bedroht. Weil er sich einsetzt gegen die rechten Strukturen im Osten der Großstadt München. Markus Guinand arbeitet bei der SPD – ist Rechtsextremismus-Beauftragter im Vorstadtbezirk Bezirk Ramersdorf-Perlach. Und spätestens seit November offenbar weithin prominent – in der Filterblase der Rechten.
"Tausende, also es sind Zehntausende Aufrufe und Tausende Kommentare darunter, das ist gar nicht mehr durchzulesen für mich. Und das hat auch dazu geführt, dass ich von der Polizei München jetzt auch betreut werde in dieser Sache."
Harte Monate liegen hinter ihm
Markus Guinand steht vor dem Büro der Bayern-SPD in der Münchner Altstadt. Der 32-Jährige hat eine stämmige Statur und lange dichte Locken, hinten zusammengebunden. Er strahlt Ruhe und Stärke aus. Auch wenn er auf Kommentaren und in den sozialen Netzwerken mal als "AXXXXloch", mal als "Blockwart", mal als "Gesindel", mal als "Kreatur", mal als "Denunziant" beschimpft wurde – auch von Menschen, die mit ihrem Klarnamen im Netz unterwegs waren. Markus Guinand gibt zu: Die vergangenen Monate der Bedrohung waren nicht ganz leicht für ihn.
"Ich möchte mich eigentlich nicht einschüchtern lassen. Ich bin in dieser Stadt schon immer, lebe hier schon immer und bin politisch aktiv – und auch gegen Rechts aktiv. Und da sind wir auch stolz drauf, was wir hier schaffen, dass immer wenn Rechte öffentliche Versammlungen oder Demonstrationen machen, dass dann die Gesellschaft aufsteht und vehement widerspricht. Aber das hat schon Ausmaße angenommen, da kommt man ins Grübeln, ob man so ein Ehrenamt als Beauftragter eines Bezirksausschusses weitermachen kann."
Je erfolgreicher er ist, desto mehr Anfeindungen
Die Herausforderung von Markus Guinand besteht genau darin: Je erfolgreicher er ist in seiner Arbeit gegen Rechts, desto mehr wird er angefeindet. Schon 2013 half er mit, dass in Münchens Vorstadt eine Brauerei dem Pächter einer Neonazi-Kneipe kündigte. Im November mobilisierten Markus Guinand und Aktivisten Menschen, um gegen eine AfD-Wahlkampfveranstaltung in einem italienischen Restaurant zu demonstrieren. 300 Leute habe er dafür zusammengebracht – im eher unpolitischen Multi-Kulti-Stadtteil Perlach, sagt er stolz. Doch seitdem wird Markus Guinand im Netz bedroht. Wie geht er damit um? Offensiv – und mit insgesamt vier Anwälten.
"Ich denke, wenn das klar im strafrechtlichen Bereich ist, sollte man das auf keinen Fall ignorieren und liegenlassen. Sondern man sollte versuchen, sich da auch juristisch zu wehren."
Der Kampf erfordert juristische Kreativität
Weil die Rechten oft ganz genau wissen, wie weit sie gerade noch gehen dürfen, um rechtlich durchzukommen, erfordert der Kampf gegen die Hetze einiges an juristischer Kreativität. So habe sich die Montage der Foto-Visitenkarte Guinands mit dem Stempel "Denunziant" darauf gerichtlich entfernen lassen, weil das gepostete Bild so den Charakter eines manipulierten Dienstausweises bekommen habe. Auch habe der Stadtrat der Liste "Bürgerinitiative Ausländerstopp", hinter der die NPD steht, Karl Richter, einen Post über Markus Guinand gelöscht – nach einem anwaltlichen Schreiben, vermutet Guinand. Und doch: Der juristische Kampf hat Grenzen.
"Ich bin aktiv für die SPD und auch gegen Rechtsextremismus. Für mich wäre das ein Vollzeit-Job, jetzt Tausende Kommentare unter diesen YouTube-Videos durchzuschauen und zu sehen, was ist da strafrechtlich relevant – und mich mit meinen Anwälten zu besprechen. Ich lasse mich jetzt nicht mitten im Kommunalwahlkampf an den Schreibtisch fesseln."
Viele versammelten sich um die Synagoge
Markus Guinand macht sich auf dem Weg zur Neuen Synagoge. Zwei Blöcke weiter. An diesem Freitagnachmittag hat das Bündnis "München ist bunt" zu einer Kundgebung aufgerufen. Eigentlich wollte hier der Münchner Pegida-Ableger in Rufnähe zur Synagoge, vor dem Schabbat-Gebet gegen Beschneidung demonstrieren. Doch der kleine, aber hartnäckige Haufen Rechtsradikaler, der nach 2015 monatelang fast täglich seine Videoleinwand vor dem Rathaus aufbaute, hat die Anmeldung zurückgezogen. Trotzdem versammeln sich um die Synagoge 1500 Münchnerinnen und Münchner.
"Ich kann Ihnen sagen, von oben sieht es wahnsinnig schön aus – und es ist ein guter Tag heute. Wir sind nämlich hier, und die Herrschaften von Pegida sind nicht hier, und das ist schon mal eine gute Nachricht."
Bei Pegida München handelt es sich nicht um ein breites Bündnis an vermeintlichen Wutbürgern, sondern um eine harte Neonazistruktur.
"Der Chef sozusagen von Pegida München, Heinz Meier, ist einer von 39 rechtsextremen Gefährdern in der Bundesrepublik – der schon am längsten auf dieser Liste steht. Seit 2012 läuft gegen ihn ein Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Das war sozusagen in der Presse der bewaffnete Arm von Pegida, die haben einen Schießsportverein gegründet, wollten sich großkalibrige Waffen besorgen, sind gottseidank aufgeflogen. Aber dieses Verfahren steckt auch fest. Der Mann ist weiterhin aktiv, kandidiert jetzt weiter für die Bürgerinitiative Ausländerstopp, also die NPD-Tarnliste als Oberbürgermeister zu den Kommunalwahlen und meldet auch solche antisemitischen Kundgebungen an, wie sie heute geplant und gottseidank abgesagt wurde durch den großen zivilbürgerschaftlichen Aufschrei."
Neonazis agieren hinter den Kulissen
Wer sich länger mit Markus Guinand unterhält, über die zwei Münchner NSU-Morde, zu deren möglichen lokalen Netzwerken so wenig ans Licht gekommen ist, über die Attentate vom Oktoberfest oder vom Olympia-Einkaufszentrum, der verliert schnell den Glauben an das Image der multikulturellen, weltoffenen Metropole München. Natürlich ist München stark multikulturell geprägt – aber Neonazistrukturen sind im Verborgenen weiterhin aktiv. Andreas Schwarz, den Guinand vor der Kundgebung trifft, kann davon mal wieder was berichten.
"Bereits schon zum vierten Mal wurde in Neuperlach der ganze Hausflur mit Hakenkreuzen beschmiert. Wirklich in widerlicher Weise. Wir haben hinten einen Sportplatz. Dort wird das Training durchgeführt vom 1. FC Maccabi." Das ist der jüdische Sportklub in München.
Drohungen gegen jüdischen Sportklub
"Die rechte Szene macht anscheinend in keiner Weise mehr vor Gewalt halt." Gewalt nennt er es, weil die Drohung immer wieder kommt – aus dem Verborgenen. Weil er und die Spieler des FC Maccabi sich besonders persönlich angesprochen fühlen. Es existiert auf einer rechten Seite ein Artikel über den Sozialpädagogen Andreas Schwarz, der ihn als erbitterter Gegendemonstrant denunziert. Als Aspirant auf das Amt des Diakons in der katholischen Kirche weiß er: In der Soutane werden die Anfeindungen gegen ihn nicht weniger.
"Ganz einfach, wenn sich Pfarrer oder auch Pfarrerinnen zum Beispiel gegen Rechtsextremismus bekennen. Oder wenn sie sich für Flüchtlinge einsetzen oder aber wenn sie vor Ort für die Menschen allgemein etwas machen, dann werden sie von der rechten Seite angegangen. Sie können die Droh-Emails nehmen, die der Herr Bedford-Strom bekommen hat. Herr Dr. Marx hat sie auch schon bekommen. Es ist flächendeckender, systematischer Psychoterror dann."
Rechte wollen Gegner systematisch einschüchtern
Während es gegen die flüchtlingsfreundlichen Bischöfe Reinhard Marx und Heinrich Bedford-Strom bei Worten blieb, wurden mutmaßlich Rechte gegen andere physisch gewalttätig: So wurde im November die Scheibe eines israelischen Restaurants in der Innenstadt eingeschlagen, Unbekannte überfielen eine Aktivistin in ihrer Wohnung, die kurz darauf in einem Prozess gegen einen Rechtsextremisten aussagen sollte. Markus Guinand und Andreas Schwarz sind sich einig: Das ist Teil einer Strategie. Die Rechten wollen ihre Gegner systematisch einschüchtern.
"So hat es auch im Nationalsozialismus angefangen. Man nimmt sich erst mal das Kleine vor und dann das Größere."
Auch Andreas Schwarz geht gegen Verleumdungen und Bedrohungen juristisch vor. Sein einziger Rat gegen den Hass und die diffuse Angstkulisse im Verborgenen seiner Nachbarschaft: "Und wenn da noch so viele Hakenkreuze geschmiert werden – das ist egal. Standhaft bleiben."