Als Jorge Gomondai in Dresden starb
Der Mosambikaner Jorge Gomondai starb am 6. April 1991, nachdem 14 Neonazis in Dresden auf ihn losgegangen waren. Die Polizei ermittelte erst nach Medienberichten. Zwar sei die Stadtgesellschaft auch heute noch vergleichsweise schwach, doch es gebe trotz Pegida Fortschritte, analysiert ein Politikwissenschaftler.
Marian Schönfeld: "Also ich hab mir schon mit meinen Punkerfreunden … damals haben wir schon gedacht, dass es irgendwann mal dazu kommen wird, dass irgendwas passiert. Weil wenn man ständig vor Angriffen vor Neonazis davonlaufen muss, und um seine Gesundheit, dann war das irgendwie für uns … lag das schon fest, dass das irgendwann passieren wird, dass die Nazis jemanden töten."
Jorge Joao Gomondai. Geboren am 27. Dezember 1962 in Chimoio, Mosambik. Gestorben am 6. April 1991 in Dresden, Deutschland. Im Stadtteil Neustadt. Ein alternatives Viertel, schon – oder gerade – in den frühen 90ern. Hausbesetzer, Punker und Alternative zeichnen und zeichneten das Viertel aus. Gerade deswegen suchen Neonazis und rechtsgesinnte Jugendliche das Viertel in dieser Zeit regelmäßig auf.
Marian Schönfeld, freier Illustrator, Neustädter der ersten Stunde, damals Punker und Hausbesetzer.
"Wir wussten irgendwie, ab um zehn kommen die und versuchen, sich ein paar Leute von der Straße zu holen, zu kaschen, und zusammenzuschlagen. Also ich hatte einige Freunde, die schwere Verletzungen davongetragen haben, ins Krankenhaus mussten, und den einen Tag, in dem ich drin saß, im Szenecafé Bronx, mit Freunden, wir waren damals zum größten Teil Punks, beziehungsweise alternative Jugendliche, wurde scharf geschossen."
In Hamburg lesen die Filmemacher Monika Hielscher und Matthias Heeder eine knappe Zeitungsmeldung über den Tod von Jorge Gomondai. Noch am nächsten Tag machen sie sich auf den Weg nach Dresden.
Monika Hielscher: "Und das war äußerst schwer, das war 'ne äußerst zähe Operation, denn plötzlich stießen wir vor 'ne Wand von Schweigen. Keiner wollte sich mehr erinnern, keiner wollte das überhaupt weiter ernst nehmen, dazu kam der Umstand, da kamen die Wessis, und wollen uns sagen, was wir falsch machen, oder was wir unterlassen haben, oder was bei uns nicht gut läuft … das war schon keine einfache Situation."
Jorge Gomondai kam als Vertragsarbeiter 1981 nach Dresden, arbeitete im Schlachthof. Jorge Gomondai starb, nachdem 14 Neonazis in der Straßenbahn auf ihn losgegangen waren. Die Filmemacher Monika Hielscher und Matthias Heeder haben den Prozess gegen die Gruppe beobachtet.
Matthias Heeder: "Wir sind da hingefahren, jeden Verhandlungstag, und haben die Aussagen alle stenografiert. Wir haben Berge aus den Gerichtsverhandlungen, aus denen dann diese Texte auch der Inszenierung entstanden sind."
Plötzlich Angst in der eigenen Stadt
Der Film "Jorge" ist eines der ersten deutschen Dokudramas. Er wurde 1995 – am viertem Todestag von Jorge Gomondai – uraufgeführt.
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "Was können Sie uns über Nacht vom 30. auf den 31. März sagen?" - "Wir sind mit einer Gruppe von 15 bis 20 Mann durch die Neustadt gezogen. Von einer Kneipe zur andern." - "Warum gerade durch die Neustadt? Waren die Linken und die Autonomen dort ein Angriffsziel für Sie?" - "Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen, damals war da einfach viel los." - "Was waren das für Leute in Ihrer Gruppe?" - "Es waren einige Glatzen dabei. Aber auch andere Jugendliche." - "Was verstehen Sie unter andere Jugendliche, hatten die eine rechte Einstellung?" - "Dazu kann ich nichts sagen, über unsere Gesinnung haben wir nie gesprochen."
Neonazis prügeln in der Neustadt, wie fast täglich zu dieser Zeit. Die Gruppe, die später auf Gomondai trifft, tritt zuvor bereits in Erscheinung – mit Wissen der Polizei. Marita Schieferdecker-Adolph, damals Ausländerbeauftragte der Stadt Dresden:
"Die sind wirklich vorher in dieser Nacht … sind die durch die Neustadt gezogen. Sie haben einen Mann schwer verletzt. Kein Migrant, sondern ein Mensch, der schon sehr lange in Dresden lebt. Die Polizei hat dort nicht mal die Namen der Täter aufgenommen. Die haben die einfach weiterziehen lassen, diese 14 Leute."
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "Erinnern Sie sich an eine Kontrolle durch die Polizei?" - "Ja. Das war am Platz der Einheit. Wir mussten uns mit erhobenen Händen an die Wand stellen und wurden nach Waffen durchsucht." - "Und was ist nach der Kontrolle passiert?" - "Ein Teil der Gruppe ist zur Straßenbahn gelaufen. Da wo das Russendenkmal ist. Und die anderen sind weg." - "Und die Polizei?" - "Die sind wieder abgefahren."
Nabil Yacoub, 79 Jahre alt. Ägypter, der seit 1959 in Dresden lebt. In Dresden studiert hat. Gearbeitet hat. Dort in Rente gegangen ist. Und plötzlich Angst hat in seiner Stadt.
"Stellen Sie sich vor, da begannen die Leute den Gang in die Stadt nach 18 Uhr zu meiden, oder so, also wenn es beginnt, dunkel zu werden. Oder vermieden es, alleine zu gehen. Einzelne Personen. Nicht? Dann liefen immer zwei oder drei Leute. Und das kannte Dresden nicht vorher."
Jorge Gomondai ist an diesem Abend alleine unterwegs.
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "Zeugenaussage von Margarita R., 23 Jahre: Ich war damals die Fahrerin der Linie 7. Ich bin um 3:36 Uhr in Weixdorf losgefahren. Der Zug bestand aus drei Wagen, zwei Triebwagen und einem Beiwagen. Soweit ich mich erinnere, ist der Afrikaner in den letzten Wagen eingestiegen. Er war als einziger da. Kurz nach vier war ich am Platz der Einheit. Ich habe dort eine Gruppe Glatzen gesehen, ungefähr 15 Mann. Die Gruppe stieg ein, alle auf einmal. Zwei Fahrgäste stiegen aus. Es war ein ganz normaler Halt. Ich habe dann geklingelt und die Türschalter geschlossen. Dann bin ich losgefahren."
"Ich fass' doch keinen Neger an"
1980, ein Jahr vor Jorge Gomondai, kam Morgado-Vasco Muxlhanga nach Dresden, auch als Vertragsarbeiter. Die beiden wohnten im gleichen Wohnheim, arbeiteten beide im Schlachthof. Mit der Wende wurden die ausländischen Vertragsarbeiter als erste entlassen. Bereits davor begannen viele Kollegen, sie zu hassen. Sie waren nicht mehr willkommen.
"Das war für uns … - wir waren sehr verängstigt, wir haben uns wirklich unsicher gefühlt, wir haben uns gefühlt, als ob wir in einem Land leben würden, wo Bürgerkrieg ist. Wo nach Andersaussehenden gejagt wird. Das war für uns wirklich sehr, sehr schmerzhaft."
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "Wir werden schon dafür sorgen, dass sie wieder aus Deutschland verschwinden. Erinnern sie sich daran, das so gesagt zu haben?" - "Wenn das da so steht …" - "Erinnern sie sich daran, dass jemand gesagt hat: 'Jetzt fehlt nur noch eine Fuhre voller Neger, die machen wir platt?'" - "Nein. Erinnern sie sich daran, dass einer mit dem Spitznamen 'Kröte' gesagt hat,'"einer würde schon reichen'?" - "Nein, das hab ich auch nicht gehört." - "Erinnern sie sich daran, dass einer gesagt hat: 'Aber da sitzt ja einer', als die Straßenbahn kam?" - "Nein."
Der, der da sitzt, ganz allein im Wagen, in der Nacht vom 30. auf den 31. März 1991, ist Jorge Joao Gomondai.
Morgado-Vasco Muxlhanga: "Ja. Ich sage, er war wirklich ein hilfsbereiter junger Mann, in seinem Betrieb, in seinem Betrieb war er sehr kameradschaftlich, fleißig, und hat auch gerne gearbeitet. Also seine Ausbildung hat er auch mit Erfolg und gern gemacht. Also es war wirklich ein guter Zeitgenosse."
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "In Ihrer Aussage vom 26. Mai haben Sie gesagt:' Als der Lange auf den Neger losging, stand der Neger auf. Er streckte ihm die Hand entgegen, als wolle er sagen, dass er Frieden will. Die Stimmung heizte sich immer weiter auf. Ganz hinten hatte sich eine Traube gebildet. Den Neger konnte ich nicht mehr sehen. Alle hopsten herum und stießen dieses Urwaldgeräusch aus. Die Leute bewegten sich hin und her. Ob der Neger geschlagen wurde, konnte ich nicht erkennen.' Wenn ich Ihnen das vorhalte, können Sie sich daran erinnern?" - "Nein, nicht mehr genau." - "Der Neger stand also auf und streckte den Umstehenden seine Hand hin." - "Ja, ich glaube schon." - "Und, hat jemand die Hand genommen?" - "Soweit ich mich erinnern kann, niemand." - "Warum nicht?" - "Ich fass' doch keinen Neger an!"
Zeugen, die im Prozess nicht berücksichtigt wurden
Oberstaatsanwalt Lorenz Haase, derzeitiger Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Dresden:
"Festgestellt werden konnte, dass Jorge Gomondai, in der Bahn noch sitzend geschlagen worden ist. Darüber hinaus haben dann die Angeklagten und die als Zeugen geladenen Personen affenartige Geräusche und Verrenkungen vollzogen haben, an den Haltegriffen sich entlanggehangelt haben, was letztendlich dazu geführt hat, dass Jorge Gomondai extreme Angst bekam und aus der Bahn fliehen wollte. Festgestellt werden konnte im Ergebnis aber nicht, ob er aus der Bahn von den Angeklagten oder anderen Personen gestoßen wurde oder ob er von den Menschen geflohen ist."
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "Dieser Wagen hielt genau vor uns, und wir sind dann da rein. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich da einen Neger gesehen habe." - "Erinnern Sie sich denn daran, dass überhaupt irgendetwas passiert ist?" - "Ich hab eigentlich gar nichts mitbekommen. Erst als die Bahn bremste, hab ich mich umgedreht und gesehen, dass da irgendwas ist." - "Einer der anderen Beteiligten aus der Straßenbahn hat aber ausgesagt, da rief jemand: 'Los, den schlagen wir raus', und alle drängten den Neger zur Tür. Einer hat die Tür dann geöffnet und der Neger ist dann rausgetreten worden.' Was sagen Sie dazu?" - "Das stimmt doch von vorne bis hinten nicht. Das sagt er bloß, um von sich abzulenken."
Monika Hielscher: "Wir haben während der ersten Phase der Recherche auch weitere Zeugen aufgetan, die im Prozess überhaupt nicht berücksichtigt wurden. Die nicht vernommen wurden. Der Taxifahrer hatte zum Beispiel zwei Fahrgäste, zwei Frauen, die Erste Hilfe geleistet haben, als sie Jorge blutend auf dem Pflaster lagen sahen, während der Taxifahrer die Polizei geholt hat. Die dann auch umgehend eintraf und sofort feststellte, na ja, da ist eben ein Besoffener wieder mal über seine eigenen Füße gestolpert."
Monika Hielscher und Matthias Heeder haben den Taxifahrer ausfindig gemacht, der als erster am Tatort war.
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "Naja, und die erste Reaktion von der Polizei, was mich eigentlich so schockiert hat, war: Naja, der ist doch bloß betrunken. Das war die erste Reaktion, die überhaupt dort gefallen war. So, und da in der Zwischenzeit, bis die Polizei gekommen war, noch zwei Augenzeugen sich dazugefunden haben, konnte man der Polizei eigentlich Angaben machen, die eigentlich hätten Reaktionen verlangt. Aber eben das einzigste, was die dazu meinten, ist: Dass sie ohne Strafantrag nichts unternehmen könnten. Diese anderen Passanten, was haben denn die den Polizeibeamten erzählt? Dass die den vorher hätten mit Schlägen traktiert, und ihn dann letztendlich rausgeworfen hätten."
Oberstaatsanwalt Lorenz Haase:
"Eine Schwierigkeit war, dass direkt nach dem Vorfall keine Ermittlungen der Polizei stattgefunden haben mit dem Ziel, gegebenenfalls Täter oder Verursacher zu finden. Damals ist man direkt nach dem Vorfall davon ausgegangen, dass es einen Sturz des Mosambikaners aus der Straßenbahn gegeben hat und er dadurch zu Tode gekommen ist. Man hatte sozusagen nicht auf dem Schirm, dass andere für die Tat verantwortlich sein könnten."
CDU und AfD stimmten gegen das Integrationskonzept
Erst nachdem bundesweit die Medien auf den Fall aufmerksam wurden, fing die Polizei an zu ermitteln. Bis dahin ging sie davon aus, Gomondai sei betrunken aus der Bahn gestürzt. Spuren wurden nicht gesichert, Zeugen am Tatort nicht befragt. Später wurde der Straßenbahnwaggon verschrottet, ohne dass zuvor Spuren gesichert wurden. Vernehmungsprotokolle waren unbrauchbar, weil sie nicht unterschrieben wurden.
Marita Schieferdecker: "Nach dem Tod von Jorge Gomondai, da waren mindestens 7000 Leute auf der Straße, also innerhalb von vier Tagen. Wir sind da auf dem Weg zum Albertplatz gelaufen. Da sind die tatsächlich … da fuhr 'ne Bahn vorbei, da brüllten die raus, mit Schlagstöcken haben die Jagd auf Migranten gemacht, obwohl so viele Leute liefen. Am Rand. Jagd auf Migranten! Die haben richtig gesucht, wo sie welche finden."
In Marita Schieferdeckers Amtszeit als Ausländerbeauftragte fällt die Gründung des Ausländerrats Dresden. Mit dem Ziel, ein friedliches, demokratisches Miteinander zu erreichen. Um Migranten zu beraten, Migrationsarbeit zu vernetzen, Vorurteile abzubauen. Gegründet hat ihn unter anderem Nabil Yacoub.
"Der Tod von Gomondai hat zum Beispiel ausgelöst, dass ein generelles Gefühl entstand: Wir sind in Gefahr. Und das war eines der herausragenden Ereignisse, das so die Aufmerksamkeit der Menschen auf dieses Thema gelenkt haben. Dass ein Afrikaner, ein friedlicher Afrikaner inmitten von Dresden getötet wird. Und dann die Ereignisse danach haben sehr viel gezeigt über Defizite in der gesellschaftlichen Entwicklung in dieser Stadt und in Sachsen allgemein und vielleicht auch in Deutschland."
Marita Schieferdecker: "Kurt Biedenkopf, CDU, sagte Anfang der 90er-Jahre, die Sachsen sind gefeit gegen Rechtsextremismus. Man nahm das eigentlich überhaupt nicht ernst, was da brodelte im Untergrund."
So geht sächsisch. Damals. Heute. Nabil Yacoub:
"Im vergangenen Jahr erschien ein Integrationskonzept für Dresden. Herausgegeben von der Integrations- und Ausländerbeauftragten, Frau Winkler. Das ist ein harmloses Buch, das eigentlich die Ideen der Demokratie und die Ideen der Menschenrechte versucht, umzusetzen im Bereich Integration von Neuankömmlingen in der Gesellschaft. Also kann es nichts Gefährdendes für das System, für das Regime, für eine Partei oder so sein. Die CDU hat im Stadtrat mit der NPD und der AfD gestimmt – gegen dieses Integrationskonzept."
Heute positionieren sich Institutionen gegen Pegida
Gibt es eine unrühmliche Tradition in Dresden? Seine Rolle im Nationalsozialismus? Die offene, rechte Straßengewalt nach der Wende? Hauptstadt der Pegida-Bewegung heute? Um die Jahrtausendwende vereinnahmten Rechtsextreme regelmäßig das Gedenken an die Bombardierung der Stadt am 13. Februar. 2005 marschierten 7000 Neonazis durch Dresden. Und zu viele schweigen in Dresden.
Christian Demuth: "Das ist glaube ich eines der Probleme. Wenn hier halt eine CDU immer am 13. Februar versucht hat, Gegendemonstranten gegen Nazis … Und das waren jetzt nicht Autonome, sondern da waren Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Grüne, Linke, also ganz normale Bürger; Kirchen waren dabei! Und die wurden von der CDU also wirklich immer, regelmäßig, man kann sagen, bis 2012, 2013, als Linksextremisten diffamiert, als Antidemokraten diffamiert und mit Nazis auf eine Ebene gestellt",
sagt der Politikwissenschaftler Christian Demuth, der in der Neustadt Zeitzeugengespräche etabliert hat, ehrenamtlich Flüchtlingshilfeprojekte organisiert und den Verein "Bürger Courage" gegründet hat. Couragiert zu sein, ist in Dresden bisweilen nicht einfach.
"Mein Lieblingsbeispiel ist immer: Als wir mit einem großen öffentlichen Unternehmen in Dresden eine Aktion für Demokratie machen wollten, wurde uns geantwortet: Nein, das dürfe man nicht machen, weil das wäre ja Parteipolitik, also für die Demokratie sich einsetzen wäre Parteipolitik, und zweitens, man könnte ja mit so einer Aktion jemanden diskriminieren. Also man könnte Antidemokraten mit einer Aktion für Demokratie diskriminieren. Also das ist eine perverse Argumentation, aber so etwas kam eben von Entscheidungsträgern im öffentlichen Sektor …, kam so etwas zurück."
Nabil Yacoub sagt, seitdem die CDU in Sachsen nicht mehr alleine regiert, gibt es zumindest auf Landesebene eine kleine Hoffnung. Erstmalig gibt es mit der Integrationsministerin des kleineren Koalitionspartners SPD jemanden, der Migranten aufsucht und sich nach ihrer Lage erkundigt.
"Ich hoffe, dass jetzt, und ich fordere, als Mensch, der hier lebt, dass diese Sache ernsthaft angegangen wird. Kein Kompromiss mit rassistischen Ansichten! Mit menschenfeindlichen Ansichten. Kein Kompromiss. Das geht nicht! Und das war unwahrscheinlich zu erleben, und sehr viele sind da sehr verärgert, als die Pegida-Demos begannen, und AfD-Geschichten begannen, von einigen Seiten der Politik wurde gesprochen: 'Ja, die besorgten Bürger', und die armen, die beschimpft werden, die bedroht werden jeden Tag auf der Straße, die waren kein Thema."
Christian Demuth: "Was aber in Dresden sich geändert hat gegenüber 1990, dass die Stadtgesellschaft zwar immer noch im Verhältnis zu Leipzig oder zu anderen Städten relativ schwach ist, trotzdem sich aber heutzutage eben gegen Pegida auch Institutionen, Menschen und Leute auch positionieren, was eben neu ist. Also die ganzen Kulturinstitutionen, verschiedenste Entscheidungsträger - man positioniert sich."
Im Kulturrathaus in der Dresdner Neustadt. Eröffnung der Ausstellung "Die Saat des Bösen – Fremdenhass und Opfertod", zum 25. Jahrestag des Anschlags auf Jorge Gomondai und auch in Gedenken an die Ägypterin Marwa El-Sherbini, die 2009 von einem Rassisten, gegen den sie aussagen wollte, vor aller Augen im Gerichtssaal erstochen wurde. Noch am Vorabend der Vernissage hatte sich Pegida im Stadtzentrum versammelt, wie fast jeden Montag hetzten die Redner gegen Fremde, Merkel, die Medien.
Annekatrin Klepsch: "Vielleicht sind wir alle, die hier stehen, verblendete, realitätsferne Politikidealisten. Die trotz anderthalb Jahren Montagsspaziergängen in Dresden und dem Einzug der AfD in sechs Landtage nicht erkennen wollen, was der neue Zeitgeist sein soll. Biedermann und die Brandstifter heißt ein viel gespieltes Theaterstück des Schweizer Autors und Architekten Max Frisch. Wir in Dresden mussten in den letzten Monaten erkennen, dass wir nicht nur von Biedermännern und Biederfrauen umgeben sind, das war hinlänglich bekannt, sondern auch von Brandstiftern und Brandstifterinnen."
Die Ausstellung eröffnet die "Internationalen Wochen gegen Rassismus", die bis zum 6. April andauern, dem Tag, an dem Jorge Gomondai starb. Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch:
"Und wenn ein Ministerpräsident vor einem Jahr noch meinte, postulieren zu müssen, der Islam gehöre nicht zu Sachsen, dann war auch dies eine Form politischen Unterlassens. Nämlich sich aktuellen, interkulturellen Herausforderungen zu stellen, und es war eine Ermutigung derjenigen, die keine offene Gesellschaft wollen. Die wachsenden Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime sind kein Werk von Einzeltätern, sondern sie finden auf einem gesellschaftlichen Nährboden von rassistischen Vorurteilen und einem eingeschränkten Weltbild statt."
Keine offizielle Entschuldigung an Gomondais Familie
Die Filmemacher Monika Hielscher und Matthias Heeder sind 1994 mit einem Filmteam nach Mosambik gereist, fanden die Familie Jorge Gomondais. Der Vater hält ein Fotoalbum in die Kamera. Jorge mit seiner großen Liebe, einer Deutschen, Jorge in seinem Betrieb.
Matthias Heeder: "Wir haben rausgefunden, wo sie sind, das waren zwei Tage Fahrt durch den Dschungel, irgendwo im Hinterland des Hinterlandes, die tatsächlich in den drei Hütten gelebt haben. Und für den Vater war das so: Wir waren Vertreter der Deutschen. Und niemand hat sich entschuldigt. Niemand hat irgendwas getan für uns. Und deshalb wollen wir bezahlt werden. Und das war natürlich ein bisschen schwierig, weil das war 'ne Low-Budget-Produktion. Aber wir haben eben 1500 Dollar dagelassen, nicht als Bezahlung für das Interview. Sondern einfach: Du hast ein Recht darauf. Ja? Wir sind die einzigen Deutschen, die du kennst, also gut. So und dann, nachdem das geklärt war, konnten wir auch wirklich diesen Nachmittag da verbringen, und mit ihnen reden. Und das war schon … das war herzergreifend. Das muss ich wirklich sagen."
Bis zu diesem Zeitpunkt weiß die Familie von alldem, was 1991 passiert ist, nichts. Sie erfahren es von den deutschen Dokumentarfilmern. Detailliert beschreiben Hielscher und Heeder den Tathergang. Bestürzt und ergriffen hört die Familie zu.
"Über uns hat die Familie zum ersten Mal nähere Zusammenhänge über den Tod von Jorge gehört. Die wussten gar nichts. Es gab nie eine Entschuldigung, keine offizielle Entschuldigung. Die gibt es bis heute nicht. Die einzigen, die die Familie unterstützt haben, das war der Dresdner Ausländerrat und diverse Initiativen und Menschenrechtsorganisationen aus Dresden. Die Stadt selbst und das Land Sachsen selbst hat nie Satisfaktion geleistet oder sich entschuldigt."
Dokumentarfilm-Ausschnitt: "Zeugenaussage Dr. Jan K., 29 Jahre, Arzt in der Medizinischen Akademie Dresden: Ich habe Herrn Gomondai zum ersten Mal nach der Operation gesehen und die weitere Betreuung auf der Intensivstation übernommen. Der Patient wurde künstlich beatmet, seine Pupillen waren starr und reagierten nicht auf Licht. Die Röntgenaufnahmen zeigten mehrere Frakturen des Schädels. Es folgte eine zweite Operation, da sich der Allgemeinzustand weiter verschlechterte. Als das Bohrloch geöffnet wurde, quoll Blut hervor, weil das Gehirn unter starkem Druck stand. Teile des Gehirns mussten abgesaugt werden. Danach kam er wieder zu uns. Gegen 22 Uhr sank der Blutdruck dramatisch ab und war dann ab 23 Uhr nicht mehr messbar. Später stabilisierte sich der Blutdruck wieder ein bisschen, allerdings trat jetzt aus den Schläuchen, die angebracht waren, damit das Blut abfließen konnte, verstärkt Hirnbrei aus. Der Patient ist dann am 6. April um 14 Uhr 45 verstorben, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben."
Oberstaatsanwalt Lorenz Haase: "Die Angeklagten sind wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden, dabei ist natürlich auch zu bedenken, dass sie zu Jugendstrafen verurteilt worden sind. Das heißt, das Gericht hatte im Vordergrund der Sanktionierung den Erziehungsgedanken zu sehen. Zwei der Angeklagten sind zu Jugendstrafen von einem Jahr und sechs Monaten, ein dritter Angeklagter zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden, dabei sind die beiden Angeklagten, die zu geringeren Strafen verurteilt worden sind, wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden und der Angeklagte, gegen den die höhere Jugendstrafe verhängt worden ist, darüber hinaus wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt worden. Die Strafen, die unter zwei Jahren Jugendstrafe festgesetzt worden sind, sind zur Bewährung ausgesetzt."
Morgado-Vasco Muxlhanga, Landsmann und früherer Kollege von Jorge Gomondai, blieb in Dresden, als einer der wenigen Mosambikaner. Hat eine deutsche Frau, drei Kinder, ist Angestellter bei der Stadtverwaltung. Dresden im Jahr 2016.
"Wenn Sie mich jetzt fragen: Wann waren Sie zuletzt im Theater, wann waren Sie zuletzt in einer kulturellen Einrichtung, werde ich sagen: Ich weiß es nicht. Das heißt: Jeden Schritt, den ich mache, ich muss überlegen: Ist der notwendig? Wie steht's mit meiner Person in der Öffentlichkeit? Wie steht meine Sicherheit? Mein Befinden? Wenn ich irgendwo hingehe, und dann höre ich im Hintergrund: Was will der schon wieder? Oder was weiß ich. Dann fühle ich mich unwohl. Und dann zieh ich mich eben zurück, und nehm' ich den nächsten, schnellsten Weg von der Dienststelle nach Hause." - "Das ist tatsächlich so, bis heute? " - "Ja. So ist es."
Der kleine Platz an der Stelle, an der Jorge Gomondai starb, trägt seit einigen Jahren seinen Namen. Im Beisein seiner Mutter und seines Bruders wurde er 2007 umbenannt. Im Minutentakt rauschen die Straßenbahnen vorbei. Der Gedenkstein wurde mehrfach geschändet und umgeworfen.