Rechte ja, aber ...

Von Marc Dugge |
Heiraten ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds, die Scheidung einreichen und Unterhaltszahlungen vom Ex-Mann. Noch vor sechs Jahren konnten marokkanische Frauen von so etwas nur träumen - bis das Familiengesetz, genannt Moudawana, auf Initiative von König Mohammed VI. überholt wurde. Trotzdem wehrt sich der marokkanische Macho noch zäh gegen die lästige Gleichberechtigung.
Das Café de France in Casablanca. Männer sitzen auf dem Bürgersteig an Blechtischen. Im Abgasdunst rühren sie in ihrem Café Crème, blicken ins Leere. Oder den Frauen hinterher, die mit ihren Einkaufstüten an ihnen vorbeilaufen. Frauen sucht man an den Cafétischen an diesem Nachmittag vergeblich.

Das ist heute wie vor sechs Jahren, trotz dem neuen Familiengesetz, der Moudawana. Mit dem die Frauen Marokkos heute mehr Rechte haben als jemals zuvor. Die junge Aischa aus Casablanca profitiert von der Moudawana. Denn sie will sich von ihrem Mann scheiden lassen. Es ist höchste Zeit, sagt sie:

"Er hat mich mit Messern gestochen. Ich kann meinen Finger nicht mehr bewegen. Ich habe überall Narben. Jetzt werden sie einen Anwalt engagieren. Ich weiß, dass es jetzt wenigstens einen Schutz gibt. Es ist nicht wie vorher."

Aischa ist bei einem Verein für misshandelte Frauen untergekommen: hier steht man Opfern mit Trost und Anwälten zur Seite. Scheidung, das hieß für Frauen vor der Moudawana: Ein im Extremfall bis zu 15 Jahre dauernder Kampf. Der Mann musste einer Scheidung zustimmen. Sonst war eine Trennung schwer, ja fast unmöglich. Frauen mussten etwa beweisen, dass sie misshandelt wurden.

Heute dauert eine Scheidung maximal sechs Monate. Ohne lange, oft quälende Gerichtsverhandlungen. Das Gesetz zeigt Wirkung: 2007 haben doppelt so viele Frauen wie Männer die Scheidung beantragt. Aber ansonsten ist die Bilanz mager, meint Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Fadéla Sebti:

"Der einzige Erfolg, den ich sehe, ist, das eine Frau, die ihre Ehe nicht mehr erträgt, die Scheidung verlangen kann und diese auch bekommt. Das ist gut. Aber sonst bin ich sehr, sehr enttäuscht. Das Gesetz an sich ist gut, aber die Richter interpretieren es nicht richtig. Die Anwendung ist ‘katastrophal’, na’ sagen wir ‚zögerlich’."

Denn jedes Gesetz muss interpretiert werden. Und da urteilen die Richter oft wie eh und je. Beispiel Heirat von Minderjährigen: Männer dürfen unter 18-Jährige zwar nur noch mit richterlicher Genehmigung heiraten - 2007 wurden aber 85 Prozent dieser Anträge akzeptiert. Nichtsdestotrotz empfinden viele Konservative die Moudawana als Angriff auf die Traditionen der marokkanischen Gesellschaft. Die marokkanische Regisseurin Zakia Tahiri:

"Ich bin einmal in Casablanca in ein Taxi gestiegen, der Fahrer war eine Katastrophe am Steuer. ‚Ich habe ihn gefragt: Hast Du Deinen Führerschein auf der Straße gefunden?’ Und er sagt: ‚Ich bin normalerweise Musiker und spiele auf Hochzeiten. Aber mit der Moudawana gibt es ja keine Hochzeiten mehr - die Männer wollen nicht mehr heiraten!"

Eine Umfrage vom Sommer 2009 hat manchen vermeintlichen Marokko-Kennern die Augen geöffnet: Fast die Hälfte aller Befragten empfindet das neue Familienrecht als zu weitgehend!

Die Macho-Gesellschaft besteht fort, sagt auch die Frauenrechtlerin Fadéla Sebti. Aber sie hat Hoffnung, dass sich in den Köpfen der Marokkaner langsam etwas ändert:

"Das Gesetz hat sich schneller verändert als die Gesellschaft. Wir leben in einer Macho-Gesellschaft. Die Männer sind genetisch programmiert, sich den Frauen überlegen zu fühlen. Auch die Religion vermittelt das. Die Mentalität der Gesellschaft muss sich ändern: Dann wird es sicher auch einen Richter geben, der das Gesetz richtig anwendet. Aber das wird noch dauern."

Die Bilanz nach bald sechs Jahren Moudawana: ein Gesetz, das kann man von heute auf morgen ändern, eine Gesellschaft zu ändern, das braucht Zeit, viel Zeit. Die Moudawana ist nur ein Etappensieg im Kampf um die Gleichberechtigung. Aber der Kampf hat in Marokko zumindest begonnen.