Curd Knüpfer vom John F. Kennedy Institute der FU Berlin forscht zum Mediensystem in den USA. Im Podcast der Weltzeit sagt er, die Vorstellung sei falsch, "dass Leute in Blasen leben". Die verschiedenen Lager würden noch aufeinander eingehen. "Das größere Problem ist die tiefe Krise des Journalismus." Ganz viel im Regionalen sterbe aus. Die "Washington-Brille" fördere die Spaltung.
Wahrheit verdrehen und Ängste schüren
24:37 Minuten
US-Präsident Donald Trump hat nach Fox News einen neuen Lieblingssender: Das One America News Network sendet Präsidenten-Lob und Verschwörungstheorien. Auch andere rechte Podcasts und Shows befeuern eine Spaltung der US-Gesellschaft.
Bei einem Wahlkampfauftritt Mitte September in North Carolina kommt US-Präsident Trump am Ende seiner Rede zu einem seiner Lieblingsthemen: Journalistenschelte. Amerika könne so viel besser sein, wenn es nur ehrliche Medien hätte.
Den Zeigefinger auf die Kameras hinter den jubelnden Fans gerichtet, sagt Trump zu den Journalisten: "Ihr seid der Feind des Volkes." Die meisten Sender beenden danach ihre Übertragung der Veranstaltung. Trump beschwert sich, dass alle roten Lichter an den Kameras ausgehen. Alle, bis auf eins. Das von One America Network News (OAN).
OAN ist Präsident Trumps neuer Lieblingssender. Das 2013 gegründete Netzwerk hat seine Zentrale in einem unscheinbaren Gebäude im kalifornischen San Diego, zwischen einem Fliesenladen, einer Kirche und einer Firma für Getränkeautomaten.
Trump-Reden und wilde Verschwörungstheorien
Das OAN-Rezept, das dem US-Präsidenten so gut gefällt, ist eine Mischung aus ungefilterten Trump-Reden, wilden Verschwörungstheorien, Angriffen gegen Hillary Clinton, Immigranten, Covid-19-Experten und die Black Lives Matter Bewegung sowie Verunglimpfung der Konkurrenz.
Nie ist auf dem Sender Trump-Kritik zu hören. Stattdessen gibt es jede Menge Lob für den Präsidenten. Zum Beispiel Geschichten über Wohltaten, die er seit Jahrzehnten unbeachtet von anderen Medien vollbringe.
OAN wurde vor gut sieben Jahren vom Vater-Sohn-Team Robert Herring Senior und Junior gegründet - mit Millionen, die Herring Senior in der Technologie-Branche gemacht hatte.
Drei Jahre später erregte das Netzwerk dann zum ersten Mal landesweite Aufmerksamkeit. Im Wahlkampf 2016 übertrug es Reden von Donald Trump in voller Länge - ohne anderen Kandidierenden ähnliche Sendezeit zu geben.
Nach der Wahl von Donald Trump bekam OAN einen Platz im Presseraum des Weißen Hauses. Die Regierungskorrespondentin gibt dem Präsidenten gerne Steilvorlagen, um seine Sicht der Dinge darzustellen. Der bedankt sich mit Lob, anerkennenden Tweets und Werbung.
Trump muss von OAN keine kritischen Fragen erwarten, im Gegenteil. Als ihm beispielsweise vorgeworfen wurde, seine Bezeichnung des Coronavirus' als "chinesische Grippe" sei rassistisch, stellte die OAN-Korrespondentin eine rhetorische Frage: Halte er den Begriff "chinesisches Essen" für rassistisch, weil es Essen sei, das seine Herkunft in China habe? - Natürlich nicht. Kolleginnen und Kollegen, die dem Präsidenten dagegen kritische Fragen stellen, werden von ihm mit Beleidigungen und Maßregelungen abgestraft.
OAN lässt seine Zuschauerzahl nicht offiziell messen. Experten schätzen die Einschaltquoten des kleinen Netzwerks, bei dem vorwiegend junge, unerfahrene Journalistinnen und Journalisten arbeiten, als marginal ein. Trotzdem bekommt OAN im aktuellen Wahlkampf ein exklusives Interview mit Donald Trump.
Chefkorrespondentin Chanel Rion beginnt ihr Interview mit einem Angriff auf die sogenannten Mainstream Medien: "Ihre Fragen sind oft ohne Vernunft, Verstand oder Anstand. Glauben Sie, dass diese Angriffe gegen Sie ehrliche Fragen von selbständig denkenden Menschen sind, oder haben diese Journalisten Angst, ihren Job zu verlieren, wenn sie Sie nicht jeden Tag angreifen?"
Das Ende der Kritik
Die komplett unkritische Haltung der Korrespondentin spiegelt die Richtung des Senders wider, und so ist es nicht überraschend, dass Besucher des Weißen Haus berichten, der Sender laufe oft auf Fernsehschirmen in der US-Machtzentrale.
OAN habe besorgniserregenden Einfluss auf die politische Meinungsbildung in den USA, sagt Journalismus-Professor Thomas Hollihan von der University of Southern California in Los Angeles.
Allerdings nicht durch das, was im Fernsehen laufe. Den größten Effekt lande der Sender durch das, was aus seinem Programm über die Plattformen von sozialen Medien in Umlauf gebracht werde.
"Dort werden Ausschnitte und kurze Clips verbreitet, die zum Beispiel Verschwörungstheorien unterstützen. Sie verdrehen die Wahrheit, schüren Ängste und Sorgen. Ein faktisch falscher Bericht hat zunächst wenige Zuschauer, aber in den sozialen Medien wird er hinausposaunt, und das hat dann entscheidende Konsequenzen."
Besonders in einer Gesellschaft, die so tief gespalten ist wie derzeit die USA. Eine Mehrheit der Bevölkerung traut nur noch den Medien, die ihre Weltsicht bestätigen. Trump-Fans schalten nur noch FOX-News ein oder OAN. Demokraten lesen die "New York Times" und schauen CNN, MSNBC oder sie informieren sich über traditionelles öffentliches Radio und Fernsehen.
"Es ist ein total vergiftetes Umfeld. Auf vielen Sendern werden Nachrichten außerdem als Konflikt diskutiert. Das schürt die Spaltung zusätzlich. Man beginnt vielleicht mit einem akkuraten Bericht, aber danach streiten Meinungsmacher über das Thema. Das Ganze hat wenig Nachrichtenwert. Es ist sehr bedauerlich."
Dazu kommt, dass sich durch die Algorithmen von Facebook und Co. Meldungen, die die Spaltung der Gesellschaft verstärken, am schnellsten verbreiten. Fachkräfte, die in den Firmenzentralen von Silicon Valley Unwahrheiten und irreführende Inhalte als solche kennzeichnen und Aufrufe zu Gewalt löschen sollen, sind angesichts der Flut von Posts hoffnungslos überfordert.
Eine Armada rechtskonservativer Provokateure
Demagogen, die früher keine Chance hatten, erreichen nun ein großes Publikum mit ihren Lügen, Hasstiraden und Propaganda: US-Vorstädte seien unter Beschuss von linken Anarchisten. Das Land und seine Kultur würden von illegalen Einwanderern zerstört. Rassismus gebe es nicht mehr in den USA. Transsexuelle seien mental krank und Abtreibungen Teufelswerk. Reiche zahlten zu viele Steuern und Sozialversicherungen sollten privatisiert werden.
Beispiel: Steve Bannon, Mitbegründer des rechtspopulistischen Mediums Breitbart und Leiter der Trump-Wahlkampagne 2016. Seine Stelle als Chefstratege im Weißen Haus verlor Bannon acht Monate nach der Wahl von Donald Trump im Streit mit dessen Tochter Ivanka und ihrem Mann Jared Kushner. Jetzt hat er einen Podcast, mit dem allein er über eine Million Hörer erreicht. Über die sozialen Medien werden seine Inhalte aber exponentiell vervielfältigt - wie die zahlreicher anderer konservativer Provokateure.
Zum Beispiel Rush Limbaugh, dessen Radioshow in den 1990ern Vorreiter dieser Welle war und in Hochzeiten mehr als 20 Millionen Hörer erreichte. Es gibt eine ganze Brigade von kleinen und größeren rechten Podcasts, die mit Boshaftigkeiten gegen links und Lobpreisungen von Donald Trump in den USA Empörung und Spaltung schüren.
Jüngstes Mitglied ist Ben Shapiro. Der 36 Jahre alte Fernseh- und Radiokommentator versteht sich als Stimme der konservativen Millenials. Hatte der Harvard-Absolvent, der seine Tiraden gerne mit Zitaten von Aristoteles schmückt, 2016 noch gegen Trumps kulturelle und politische Mängel gewettert, unterstützt er nun dessen Wahlkampf vor Millionen Hörern täglich, Tendenz steigend.
Mit ultrarechten Verschwörungstheorien und polarisierenden Strategien feuern diese Provokateure Trumps Basis an. Gleichzeitig bringen sie den demokratischen Herausforderer, Joe Biden, in Verruf.
Immer noch da - Steve Bannon
Bannons Unterstützung Trumps ist erstaunlich, hatte dieser doch nach seinem Rauswurf aus dem Weißen Haus in einem kontroversen Buch durchaus Zweifel an Trumps mentaler Fitness geäußert. Der US-Präsident konterte damals, Bannon habe nicht nur seinen Job, sondern auch seinen Verstand verloren.
Im August dieses Jahres wurde Bannon verhaftet. Die Staatsanwaltschaft in New York wirft ihm und drei mutmaßlichen Komplizen Betrug vor. Sie sollen mit der Kampagne "We Build The Wall" mehr als 25 Millionen Dollar eingesammelt haben - angeblich, um damit den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko zu finanzieren. Bannon habe aus den Spenden eine Million für persönliche Ausgaben gestohlen. Trump distanzierte sich nach dem Vorfall erneut von seinem ehemals engsten Berater.
Der macht gleichzeitig weiter für den Trump-Wahlkampf mobil und heizt auf konservativen Plattformen, die Stimmung an. In einer Facebook-Live-Konferenz mit dem Metropolitan Republican Club in New York warnte Bannon, die Demokraten würden die legitime Wahl von Donald Trump zu ihren Gunsten revidieren.
"Eine Art Bürgerkrieg wird am späten Abend oder in der Wahlnacht des dritten Novembers ausbrechen, wenn die Demokraten sich weigern, Trump zum Gewinner zu erklären. Biden wird seine Niederlage nicht zugeben. Sie werden alle Werkzeuge des Krieges, des Straßenkampfs, des zivilen Ungehorsams, der Mainstream Medien und vor allem der sozialen Medien nutzen, um die Trump-Bewegung und Republikaner einzuschüchtern, bis sie eine nicht gewählte Gruppe um Joe Biden akzeptiert."
Es werde Betrug bei der Briefwahl geben, sagte Bannon. Korrupte Wahlhelfer würden bei der Stimmabgabe Druck auf Trump-Wählerinnen und Wähler ausüben, bei der Auszählung würden Trump-Stimmen nicht gezählt und illegale Biden-Stimmen registriert. Alles Warnungen, die auch der US-Präsident verbreitet.
Bannon bringt nahezu unkontrolliert auf allen Kanälen, die ihm jenseits traditioneller Medien zur Verfügung stehen, Trump-Anhänger für den Tag der Wahl in Angriffshaltung.
"Ihr müsst Leuten helfen, sich als Wahlleiter zu registrieren. Anwälte unter Euch müssen sich den Anwälten für Trump anschließen. 60 bis 80 Millionen Stimmen werden dieses Jahr durch Briefwahl abgegeben. Wir brauchen die klügsten Leute, solche, die hart im Nehmen sind - und in der Lage, jede einzelne Stimme infrage zu stellen."
Bannon ist aus der Online-Plattform Breitbart ausgestiegen. Das Medium litt bald danach unter Leserschwund und Werbeboykotten. Firmen warfen Breitbart Lügen-Propaganda vor. Sie kritisierten auch seine Nähe zu ultrarechten Bewegungen und Individuen.
Eine schwer zu regulierende Flut an Posts
Doch im Dezember 2019 erschien Breitbart wieder an der Oberfläche. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump hatte begonnen. Der Online-Dienst bekam in den nächsten drei Monaten mit seiner oft unwahren Pro-Trump-Berichterstattung auf Facebook mehr Likes und Interaktionen als die "New York Times", die "Washington Post", "USA Today" und das "Wall Street Journal" zusammen.
Facebook und Twitter haben Maßnahmen zur Eindämmung von Lügen und Desinformation auf ihren Plattformen ergriffen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg beruft sich aber weiterhin auf die in der US-Verfassung garantierte Redefreiheit, die ihm verbiete, auf Inhalte Einfluss zu nehmen.
Social-Media-Unternehmen wollen Posts nicht wirklich regulieren, sagt USC-Journalismus-Professor Thomas Hollihan: "Weil sie nicht wegen falscher Inhalte verklagt werden wollen. Sie wollen Plattformen bleiben, auf die andere Inhalte stellen. Sie wollen nicht verantwortlich sein, wenn jemandem dadurch Schaden zugefügt wird, zum Beispiel durch Virusmedizin, die jemand anpreist. Aus rechtlicher Sicht ist das sogar klug, denn es wird so viel so schnell veröffentlicht, dass es unmöglich ist, das aufzufangen bevor Schaden entsteht."
Der Einfluss von Fox News
Während Inhalte von Breitbart, One America News und anderen Trump-freundlichen Medien ihr Publikum vor allem über soziale Medien erreichen, bleibt Fox der Fernsehsender, den Fans des Präsidenten am häufigsten einschalten.
Mit durchschnittlich fünf Millionen zugeschalteten Haushalten ist er der erfolgreichste US-Kabelsender und bestimmt die Meinungsbildung konservativer Wählerinnen und Wähler. Mehr als 60 Prozent der Republikaner sagen in einer Umfrage des Pew Research Institutes, dass sie dem Murdoch-Sender am meisten Glauben schenken, wenn es um Nachrichten geht.
Fünf Millionen, das sind nur knapp drei Prozent der US-Bevölkerung. Zählt man allerdings Einschaltquoten für Podcast- und Radioshows prominenter Fox-Moderatorinnen und Moderatoren wie Sean Hannity, Tucker Carlson und Laura Ingraham dazu, potenziert sich diese Zahl um ein Vielfaches.
Die meisten Demokraten verachten Fox, auch weil der US-Präsident gerne Informationen und Meinungen verbreitet, die er dort hört. Regelmäßig meldet sich Donald Trump außerdem spontan via Telefon beim Frühstücksfernsehen "Fox and Friends", wird sofort live auf Sendung geschaltet und erreicht so einen Großteil seiner Basis.
Auf dem Sender hat der Präsident nahezu unbegrenzt Redezeit für politische Statements und Kritik am politischen Gegner, aber auch für falsche Behauptungen über die Black Lives Matter Bewegung, Desinformationen über das Coronavirus und reichlich Eigenlob. Mit kritischen Fragen muss er dabei normalerweise nicht rechnen.
Gerne scherzt Donald Trump jovial mit dem Team, wie zum Beispiel im Gespräch um die Nachfolge von Richter-Ikone Ruth Bader Ginsberg am Obersten Gerichtshof der USA.
Er könne die Moderatorin nominieren, sagte Trump, für das Amt brauche man weder Anwältin noch Richterin zu sein, und sie würde die Anhörungen mit fliegenden Fahnen absolvieren.
Trump ist unzufrieden mit Fox News
Doch in letzter Zeit ist Trump unzufrieden mit Fox. Der Sender überträgt nicht mehr, wie vor vier Jahren, jeden Wahlkampfauftritt des Präsidenten. Moderator Chris Wallace entlarvte in einem exklusiven Interview mehrere Behauptungen Trumps als starke Übertreibung und brachte den US-Präsidenten mit Fakten über hohe Infektions- und Sterberaten in Folge des Coronavirus zum Schwitzen.
In einem Tweet erklärte Trump, Fox-Zuschauer seien verärgert über den Sender und suchten nach einer Alternative. US-Medien berichteten bald darauf, eine Gruppe um Donald Trump Junior sei daran interessiert, OAN, den neuen Lieblingssender seines Vaters, zu kaufen.
"Fake news", sagt OAN-Gründer Robert Herring. Er habe keine Absicht, das Netzwerk abzustoßen. Herring ist inzwischen vor den Toren der kalifornischen Zentrale seines Senders regelmäßig mit Demonstranten konfrontiert, die gegen OANs Lügen protestieren.
Die Situation dort spiegelt die gespaltene Lage der US-Gesellschaft. Zwei Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Medien haben entscheidend zur tiefen Kluft beigetragen, und momentan ist schwer vorstellbar, wie diese Spaltung überwunden werden kann, egal wer am dritten November die Wahl gewinnt.