Anwalt über Würgers Roman "Stella"

"Da kann nichts verboten werden"

Porträtfoto des auf die Kunstszene spezialisierten Anwalt Peter Raue.
Er rät Würgers Verlag, sich angesichts einer Klage entspannt zurückzulehnen: der Rechtsanwalt Peter Raue © dpa / picture alliance
Peter Raue im Gespräch mit Frank Meyer |
Es geht um Persönlichkeitsrechte. Die Erbin der Protagonistin aus Takis Würgers Roman "Stella" will die Verbreitung des Buchs verhindern lassen. Damit werde sie keinen Erfolg haben, meint der Berliner Rechtsanwalt Peter Raue. Die Aktion wirke wie ein Werbegag.
Frank Meyer: Der Roman "Stella" von Takis Würger ist vor zwei Wochen erschienen und energisch kritisiert worden. In dem Roman würde ein Opfer des Nationalsozialismus missbraucht, die Geschichte eines Opfers würde verkitscht und zu Unterhaltung gemacht. In dem Roman geht es um das Leben der jüdischen Berlinerin Stella Goldschlag. Sie ist 1943 von der Gestapo gezwungen worden, als sogenannter Greiferin andere Juden in Berlin aufzuspüren und zu verraten. Dafür wurde Stella Goldschlag von einem sowjetischen Militärtribunal zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt, 1994 hat sich Stella Goldschlag das Leben genommen. Jetzt versucht die Erbin der Persönlichkeitsrechte von Stella Goldschlag die weitere Verbreitung des Romans von Takis Würger zu verhindern, und über diesen juristischen Konflikt reden wir mit einem Spezialisten für Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht, mit dem Anwalt Peter Raue. Guten Tag, Herr Raue!
Peter Raue: Ich grüße Sie, Herr Meyer!

Keinen Grund für ein Verbreitungsverbot

Meyer: Wir haben gestern hier in der Sendung mit dem Anwalt der Erbin gesprochen, und er hat uns das Anliegen der Erbin so erklärt: Sie ist nicht einverstanden damit, wie verkürzt das Schicksal von Stella Goldschlag in dem Roman dargestellt wird. Kann man denn auf dieser Grundlage die Verbreitung eines Romans verhindern?
Raue: Ganz bestimmt nicht. Ich finde es schon einen erstaunlichen Vorgang. Zunächst mal endet das Persönlichkeitsrecht, auf das es sich ja beruft, mit dem Tode. Es ist die Rechtsprechung, dass nahe Verwandte sozusagen die Diffamierung eines Verstorbenen aus eigenem Persönlichkeitsrecht geltend machen können. Also ich kann als Sohn sagen, ich möchte nicht, dass meine Mutter so und so dargestellt wird. Die Persönlichkeitsrechte einem unbeteiligten Dritten zu übertragen, das dürfte juristisch schon kaum möglich sein. Das heißt, derjenige, der den Anspruch geltend macht – das ist ja wiederum der Erbe dessen, dem sie das Persönlichkeitsrecht übertragen hat –, hat gar keinen Anspruch auf eine bestimmte Darstellung. Das ist das Erste. Das Zweite ist, dass selbstverständlich Personen der Zeitgeschichte mit allen negativen und vielleicht auch positiven Gesichtspunkten dazu sich einer Romandarstellung nicht entziehen können. Ich kann das Leben von Herrn Gründgens, ich kann das Leben von Churchill, das kann man alles dramatisieren oder in Romanen schreiben.

Nur ein Werbegag für Würgers Buch?

Meyer: Darf ich da mal nachfragen, Herr Raue, weil Sie gerade den Fall Gründgens erwähnen. Gab es gerade im Fall Gründgens aber nicht doch einen erfolgreichen Versuch, die Darstellung von Gründgens in einem Roman zu verhindern und diesen Roman dann zurückzuhalten?
Raue: Das ist der berühmte "Mephisto"-Fall, der heute nicht mehr so entschieden würde, die Rechtsprechung hat sich da vollkommen zugunsten der Kunstfreiheit geändert. Damals war es immerhin der Adoptivsohn, der die Klage gegen den "Mephisto"-Roman erhoben hat, und die Darstellung Gründgens hatte mit der Wirklichkeit nun gar nichts mehr zu tun. Da waren viele Dinge drin, wie seine sexuellen Abenteuer mit einer, wie es in dem Roman damals auch hieß, Negerin – die waren alle frei erfunden. In der Sache bei dem Roman "Stella" – ein gutes Buch –, in dem Roman geht es nicht darum, dass was falsch dargestellt wird, sondern wie die Erbin der Persönlichkeitsrechte behauptet, verkürzt. Das heißt, man müsste das ganze Leben ganz anders darstellen, um ihre ärgerliche oder skandalöse Greifertätigkeiten, Juden an die Gestapo zu verraten, darzustellen. Darauf hat kein Mensch einen Anspruch. Ich kann eine Biografie von Kohl heute schreiben und Aspekte auslassen. Also ich glaube, das, was da versucht wird, sieht ein bisschen aus wie ein Werbegag für das Buch.
Meyer: Sie meinen, weil damit weitere Aufmerksamkeit für das Buch generiert wird.
Raue: Ja, natürlich. Wer bisher von "Stella" nichts gehört hat, weil er keine Literaturkritik liest, der erfährt es jetzt. Also ich glaube, dass dieser Anspruch nicht ansatzweise begründet ist und auch nicht gegen die tapfere Neuköllner Oper. Das geht nicht. Die Frau ist über 20 Jahre tot und ist eine Figur der öffentlichen Betrachtung und der Geschichte der Nazizeit und der Judenverfolgung und ist dem schriftstellerischen Zugriff einfach geöffnet, und da kann nichts verboten werden.
Meyer: Die Neuköllner Oper haben Sie jetzt erwähnt, ich hatte das noch nicht gesagt, weil dort gibt es ein Musical "Stella", auch da versucht die Erbin, weitere Aufführungen dieses Musicals zu verhindern. Also Sie würden sagen, der Hanser-Verlag, in dem "Stella" erschienen ist, kann sich jetzt ganz beruhigt zurücklehnen …

"Ich glaube nicht, dass es Schritte zu Gericht gibt"

Raue: Ganz beruhigt, ja.
Meyer: … und die weiteren Schritte der Gegenseite abwarten.
Raue: So ist es, ja. Und ich glaube auch nicht, dass es Schritte zu Gericht gibt, denn das ist seit der berühmten "Esra"-Entscheidung des Bundesverfassungsrichters – ein Roman von Biller– Da geht es um eine lebende Person, die in einer wirklich schrecklichen Weise von dem Herrn Biller dargestellt wird. Und selbst da ist das Bundesverfassungsgericht der Meinung, da gibt es eine – wie das Bundesverfassungsgericht sagt – stillschweigende Übereinkunft zwischen Autor und Leser, dass nicht alles, was da drinsteht, wahr sein muss. Es ist eben Roman, es ist eben Fiktion und damit Kunstfreiheit.
Meyer: Die juristische Auseinandersetzung um den Roman "Stella" von Takis Würger. Wir haben mit dem Anwalt Peter Raue darüber gesprochen. Vielen Dank, Herr Raue!
Raue: Alles Gute, Herr Meyer, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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