Rechtschreibreform tritt in Kraft

Von Peter Zudeick |
Na, noch alle gesund? Noch alles dran? Augen, Ohren, Magen intakt, Gehirn vorhanden, Schreibhand noch nicht abgeschraubt, die Tastatur noch nicht zerbissen? Dann wird auch alles gut. Wenn der erste Tag mit der neuen Rechtschreibung überstanden ist, dann kann nicht mehr viel passieren.
Diejenigen, die es wirklich betrifft, betrifft es ja nicht wirklich. Schüler und Lehrer werkeln ja schon längst mit den neuen Regeln rum, die haben mit diesem 1. August kaum was am Hut. Weil sie die größte Qual schon hinter sich haben. Und außerdem überwiegend in Ferien sind. Ob da nun Zeitungen und Verlage oder halbkriminelle Politikerbanden oder einzelne Schriftsteller ständig neuen Zoff vom Zaun brechen – den Schulalltag erreicht das nicht unbedingt.

Angesichts dieser beruhigenden Feststellung wollen wir jetzt mal ganz unverkrampft auf das Ergebnis der jahrelangen Debatte schauen und müssen feststellen, dass die Rechtschreibreformer doch eine erstaunlich große Leistung vollbracht haben. Wer hätte denn gedacht, dass ein paar nicht besonders fähige, vor allem sprachgeschichtlich und sprechtheoretisch nicht besonders ausgebildete Hinterhofwissenschaftler etwas derart Momunentales anrichten könnten: Ein GAD, ein Größtes Anzunehmendes Durcheinander von ungeahnten Ausmaßen. Guck mal: Bevor die so genannten Reformer antraten, war die deutsche Rechtschreibung ein im Prinzip überschaubares und vor allem einigermaßen logisches System. Ja, sicher, ein paar Ausnahmen zu viel, aber die Regeln in aller Regel sinnvoll und nachvollziehbar. Groß- und Kleinschreibung, Getrennt- und Zusammenschreibung – wer des Denkens einigermaßen fähig war, der konnte das verstehen. Das Problem war: Besonders Lehrer und Dozenten und Sprachwissenschaftler waren genau dazu immer weniger in der Lage, nämlich das zu verstehen, womit zu beschäftigen sie sich auferlegt hatten. Aus Wut darüber haben sie eines Tages beschlossen, das Ganze so blödsinnig und unüber-sichtlich zu machen, dass keiner mehr was versteht. Damit wollten sie das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes einlösen. Und das ist nun wirklich fabelhaft gelungen. Inzwischen versteht keiner mehr was, alle sind vor der Reform gleich, und das ist gleichzeitig ein anrührender Akt der Gerechtigkeit. Gleichheit und Gerechtigkeit durch allumfassendes Durcheinander - wunderbar.

Fast jeder zweite Deutsche findet die neue Rechtschreibung unverständlich. Einige Zeitungen und Buchverlage weigern sich schlicht, sie anzuwenden, oder sie lassen ihren Autoren freie Hand, zwei Bundesländer machen nicht mit, ein weiteres will nicht, macht aber doch. Will sagen: Ob man nun als junger Mensch neu deutsch lernt oder als älterer von alt auf neu umstellt, das Angebot für alle ist unglaublich weit gefächert, die Vielfalt ist bewundernswert, ja vorbildlich. Wie man hört, wollen einige Naturvölker in Amazonien das deutsche Chaos übernehmen, was ja auch schön wäre - allein, keiner kann es ihnen erklären, geschweige denn übersetzen. Und das hemmt die internationale Verbreitung dieser revolutionären Errungenschaft entscheidend, was ja dann doch ziemlich schade ist.

Freilich wird das bei weitem aufgewogen durch einen Vorteil des Reform, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Die Menschen sind ganz ruhig geworden. Zwei Drittel der Deutschen ärgern sich überhaupt nicht darüber, dass Schifffahrt mit drei "f" geschrieben werden soll und überschwänglich mit a-Umlaut, eine von sprachgeschichtlichem Bewusstsein völlig unbeleckte Neuerung der Neuerer, die nur mit geballter Dusseligkeit zu erklären ist. Aber: Den meisten Deutschen ist das einfach wurscht. Welch ein Erfolg der Rechtschreibreform: GAD und GAU – größtes anzunehmendes Durcheinander und größter anzunehmender Unsinn – lassen die Bevölkerung einfach kalt, die Menschen weigern sich, das ernst zu nehmen, was man nicht ernst nehmen kann. Hätten wir unseren Mitmenschen so viel Einsicht, so viel Ruhe, so viel Abgeklärtheit zugetraut? Wohl kaum. Und deshalb mein Vorschlag: Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels für die Rechtschreibreformer. Mindestens für die nächsten fünf Jahre.