Engagement gegen "völkische Siedler"
Sie gründen "Volksgemeinschaften", feiern Julfeste und beziehen sich auf Blut und Boden - rechtsextreme "völkische Siedler" in Niedersachsen. Wie in Jamel gab es auch hier bereits einen Brandanschlag, aber die Nazi-Gegner schüchtert das bislang nicht ein.
Ein warmer Sommerabend, es ist still und friedlich in Wibbese. Am Eingang zum Grundstück von Barbara Karsten und Knut Jahn gibt’s Infomaterial gegen Rechtsextremismus. Die Eigentümerin steht am Zaun zum Nachbargrundstück.
"Dort sieht man die Tierställe: Schweine, Hühner, Gänse, Hasen ..."
An diesem Abend rührt sich nichts auf der anderen Seite, Timo L. ist unterwegs.
"(Schritte) ... das ist jetzt das Haus, uns gegenüber."
Barbara Karsten und ihr Mann zogen 2009 in das kleine Ferienhaus am Rand von Wibbese, einem Ortsteil von Jameln bei Dannenberg. Es sollte ihr Altersruhesitz sein, stattdessen wurde er zum Unruheort, seitdem 2010 ein junges Paar erst in die Nähe, und 2013 direkt nach nebenan zog: Timo L., mittlerweile mit seiner zweiten Partnerin. Dass beide rechtsextrem orientiert sind, wurde an eindeutigen Tätowierungen und entsprechenden Parolen schnell klar. Aber Timo L. will ökologischen Landbau betreiben. Und bezeichnet sich selbst als "völkischen Sozialisten". Was er darunter versteht, das erklärt er selbst in einem Facebook-Eintrag vor wenigen Wochen so, Karsten zitiert:
Zitat: "Und was meine ökologische Landwirtschaft angeht, so betreibe ich sie, weil es in einer Zeit der beabsichtigten Vergiftung der Lebensräume unseres Volkes friedlichen Widerstand darstellt. Blut und Boden funktioniert. Und die Menschen werden es verstehen, wenn sie es sehen."
Rassereine Zucht auf deutschem Boden, gemäß der Nazi-Ideologie. Sein erstes kleines Haus vermietet er: zunächst an ein befreundetes Paar, an Jennifer Wiese und Karl Knut, beide bekannt aus der aktiven Szene in Jamel und Grevesmühlen. Karsten und Jahn mobilisieren Öffentlichkeit, immer wieder. Ein Erfolg: Das Mieterpaar zog wieder ab. Aber Timo L. bleibt und hat neue Mieter gefunden. Dass das Wachsam-Bleiben und die ständigen Anfeindungen durch die Neonazis Kraft kosten, das merkt man der 70-jährigen Karsten an. Der Brandanschlag in Jamel war keine Überraschung. Aber:
"Ich bin entsetzt, aufgrund der Parallelen zu unserem Nazi-Nachbarn, die mir Angst machen."
Aufklärung und Mobilisierung
Die bekannte Nazi-Hochburg in Mecklenburg-Vorpommern ist nur gut eine Autostunde von hier entfernt. Die vom Brand betroffenen Lohmeyers und das Paar Karsten-Jahn kennen sich, beide erhalten immer wieder auch Drohungen. Erst vor wenigen Wochen, kurz vor einer Informationsveranstaltung gegen Rechtsextreme auf ihrem Grundstück, stand eine Frau in der Einfahrt in Wibbese und brüllte:
Zitat: "Und schrie: Wart ihr die Antifa-Huren, die diesen Scheiß in die Zeitung gesetzt haben? Ihr werdet hängen, Ihr werdet hängen! Sieg Heil!"
Dass es in Wibbese nicht so schlimm kommt, wie in Jamel, dafür sorgt – noch – viel bürgerschaftliches Gegen-Engagement in der Region. Aufklärung und Mobilisierung konnten bisher Strukturen verhindern, wie sie sich auf der anderen Seite der Elbe ausgebreitet haben. Dass sich – wie bei Timo L. – offene Aggression und völkische Siedler-Gedanken so klar verbinden, ist dabei eher untypisch. Eigentlich verfolgen sie eine andere Strategie: Möglichst nicht auffallen, nette Nachbarn sein, ihre eigentliche Gesinnung wird erst spät offenbar, wenn überhaupt. Die Gruppe dieser Personen wird vom Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen eher als klein und wenig einflussreich eingeschätzt, wie Sprecherin Anke Klein in Hannover erklärt:
"Die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde weiß von Aktivitäten völkischer Siedler im Raum Lüneburg-Uelzen und in Dannenberg. Wir gehen weit unter 100 aus, wobei man dazu sagen muss, dass der Verfassungsschutz natürlich die Kinder nicht zu den Rechtsextremisten zählt und dass es keine Trennschärfe gibt. Das völkische Gedankengut wird von weit mehr Menschen vertreten, aber dieses Lebensmodell, das sind eben weniger."
Auch Olaf Meyer, Sprecher der linksextremen antifaschistischen Aktion in Lüneburg, hat die Situation ebenfalls im Blick. Völkische Siedler im eigentlichen Sinne gebe es kaum. Aber alteingesessene Familienclans, die oft als Handwerker arbeiten.
"Hier in der Region Lüneburg-Uelzen können wir beobachten, dass sie unter sich bleiben, nicht offen mit auftreten und auch außerhalb ihrer Verbände nicht offensiv werben."
Viele Kinder mit nordischen Namen
Was die Gemeinschaften kennzeichne, seien viele Kinder mit sehr nordischen Namen. Und:
"Die Gesellschaft wird als Volksgemeinschaft wahrgenommen, die biologistisch definiert ist. Es gibt plötzlich kein Weihnachten mehr, es wird plötzlich über Julfeste gesprochen, es werden die Sonnwendfeiern zelebriert auf die Ahnen, den Boden, das Blut Bezug genommen und das findet man oft in den Gesprächen mit diesen Menschen."
Leider seien vor allem die Kinder solcher Familien gefährdet:
"Es ist unglaublich schwer für Kinder da rauszukommen, weil der Ausstieg aus so einer Struktur bedeutet die völlige Abkehr von der Familie, man ist dann allein, muss sich ein ganz neues Lebensumfeld aufbauen. Vielleicht eine Handvoll Menschen, die da bundesweit raus sind."
Meyer hält die Struktur und Ideologie für deutlich gefährlicher als es die Verfassungsschützer tun.
Aufklärung und Öffentlichkeit herstellen, das seien die wichtigsten Gegenmittel, darin sind sich die Initiativen und Bündnissegegen rechts einig. Einer, der das seit 20 Jahren praktiziert, ist Pfarrer Manneke in Unterlüß bei Celle. Als er bemerkte, dass in seiner Nähe Sonnwendfeiern abgehalten wurden, machte er publik, mit welcher Gesinnung das geschieht:
"Also auf dem Hof von Joachim Nahtz in Eschede findet schon seit 30 Jahren Treffen von Rechtsextremen statt. Im Juni und im Dezember zu den Sonnenwendfeiern. Dann auch noch meistens am letzten Samstag im September zum Erntefest. Es kommen also bis zu 300 Neonazis dort zusammen."
Manneke organisiert regelmäßig Proteste dagegen und wehrte sich 2009 gemeinsam mit vielen anderen erfolgreich dagegen, dass Jürgen Rieger ein Landgasthaus zum neuen Nazi-Schulungszentrum machen konnte. Aber: Auch auf sein Wohnhaus wurde ein Brandanschlag verübt, 2011.
"Nein, das ist nicht aufgeklärt worden."
Sowas schüchtert ihn nicht ein und auch nicht seine Unterstützer. Im Gegenteil: Das Engagement habe sich danach deutlich verstärkt.