Rechtsextremismus im Fußball

"Die Vereinspräsidenten haben eine große Verantwortung"

08:27 Minuten
Ein antisemitisches Spruchband ("Juden" - mit dem Dynamo-D in der Mitte) wird im Cottbuser Block in die Höhe gehalten.
Gerade Cottbus und Chemnitz fallen immer wieder wegen Rechtsextremen in der Fankurve auf. © picture-alliance/ dpa / Thomas Eisenhuth
Michael Gabriel im Gespräch mit Thorsten Jabs |
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Was tun gegen Rassismus und Antisemitismus in der Fankurve? Michael Gabriel von der Koordinierungsstelle Fanprojekte erklärt, wie gefährlich es ist, Extremismus kleinzureden – und was in Dortmund gegen rechtsradikale Hooligans unternommen wurde.
Thorsten Jabs: Über Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung im deutschen Fußball und über Extremismus in den Fankurven spreche ich jetzt mit Michael Gabriel. Er leitet die Koordinierungsstelle Fanprojekte. Diese wurde 1993 eingerichtet, um sozialpädagogisch arbeitende Fanprojekte inhaltlich zu begleiten. Finanziert wird sie zur Hälfte vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; die andere Hälfte teilen sich der Deutsche Fußballbund und die Deutsche Fußballliga.
Herr Gabriel, wir haben es eben gehört. In unteren Ligen sind es die Spieler auf dem Platz, die sich verbal oder auch körperlich attackieren. Wer dies erlebt hat, weiß, dass antisemitische, rassistische und homophobe Beleidigungen immer wieder vorkommen. Wird da aus Ihrer Sicht zu wenig hingeschaut?
Michael Gabriel: Relativ schwer einzuschätzen, aus meiner Perspektive. Wir haben relativ engen Kontakt zum Deutschen Fußballbund, wissen – also auch bei den Landesverbänden –, dass dort es Bemühungen gibt. Meine Einschätzung ist, dass es aber nicht bei allen Landesverbänden in gleichstarkem Maße getan wird. Also, aus meiner Perspektive, ein guter Landesverband, der sehr viel und sehr glaubwürdig da arbeitet, ist der Berliner tatsächlich, mit Gerd Liesegang. Es gibt aber auch Landesverbände, wo nicht so viel gemacht wird.
Jabs: Wenn wir dann gleich mal an das andere Ende springen, also in den Profibereich. Dort liegt der Fokus nicht auf den Spielern, sondern auf den Vereinen und natürlich ihren Fans. Inwiefern haben diese auch eine Vorbildfunktion?
Gabriel: Wenn Sie die Vereinsverantwortlichen meinen, dann ist unsere Erfahrung die, dass die Vereinspräsidenten, die Vereinsverantwortlichen, eine große Verantwortung haben. Ich würde es eher positiv formulieren: Die Menschen, die zum Fußball kommen, die sich einer Fankurve anschließen, die ihr Herz an einen Verein verlieren, denen bedeutet dieser Ort ja etwas. Und die Repräsentanten haben dann natürlich eine ganz, ganz große Bedeutung. Die können Orientierung geben. Und wenn sie eine positive Orientierung geben, dann öffnet das die Diskussionsräume tatsächlich in den Fankurven. Von daher sind das sozusagen die zentralen Player in dem Feld, wenn es um Arbeit gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus, gegen Diskriminierungsformen aller Art geht.

Die Fankurve als Spiegel der Gesellschaft

Jabs: Kurven ist das richtige Stichwort. Wie groß ist das Problem in den Kurven mit antisemitischen, aber auch rassistischen, homophoben, diskriminierenden Tendenzen?
Gabriel: Also die Kurve, die Fankultur, das ist ein Sozialraum, in dem unglaublich viel passiert, in dem viel Leben ist. Und natürlich haben wir hier auch Probleme wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft, auch mit Diskriminierungen, mit menschenfeindlichen Einstellungen. Aber, ich glaube, dass wir im Fußball, in der Fankurve eine Entwicklung haben in den letzten 15, 20 Jahren, die eigentlich Mut macht. Weil immer mehr Menschen in den Kurven sich verantwortungsvoll dort bewegen, sich für eine Kurve der Vielfalt engagieren, gegen Rechtsextremismus, gegen Homophobie, gegen Antisemitismus engagieren. Und das hebt sich tatsächlich auch von vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen ab. Im Vergleich zu den 80ern, Anfang der 90er-Jahre haben wir eine Fankultur, die viel stärker von diesem Engagement geprägt ist, auch von Verantwortungsübernahme. Also jetzt auch bei dem Thema, wo so viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, haben auch die Fankurven sich ganz stark engagiert, um zu versuchen, die Menschen, die gekommen sind, zu integrieren; also eigentlich eine sehr positive Entwicklung.
Jabs: Welche Rolle spielen heutzutage in den Kurven noch Extremisten? Also egal, ob links oder rechts. Also Menschen, die als Gefährdung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung gelten?
Gabriel: Die gibt es natürlich noch. Die gibt es, ich würde sagen, eher punktuell. Also, wir haben zwei Standorte, wo das ganz offensichtlich ist. Das ist einmal in Cottbus und einmal in Chemnitz. Meine Aussagen vorher haben sich so insgesamt auf die Entwicklung im Zuschauersport Fußball bezogen. Also die Hörerinnen und Hörer müssen sich vorstellen, dass wir hier teilweise von Mengen reden, also die Südtribüne in Dortmund, die fasst 25.000 Menschen. Und da findet sich natürlich die gesamte Bandbreite der Gesellschaft wieder. Das ist einmal eine Riesenherausforderung. Andererseits ist aber die Tatsache, dass diese Menschen ja regelmäßig da hinkommen, dass diese Menschen auch diesen Ort ja selbst mitgestalten. Das ist natürlich ein großartiger Anknüpfungspunkt, insbesondere auch für die Arbeit der Fanprojekte, die ja genau in diesem Sozialraum agieren, mit den jugendlichen Fußballfans agieren, genau die positiven Menschen in den Kurven unterstützen, über viele, viele Jahre begleiten. Auch in Situationen begleiten, wo sie selbst mal Probleme haben, potenziell. Und diese langfristig gesetzte Arbeit und die Glaubwürdigkeit, die die Fanprojekte in diesem Kontext haben, sind meines Erachtens das größte Pfund, das es in der Arbeit gegen Rechtsextremismus in der Fankultur gibt.

Borussia Dortmunds Erfolgsprojekt

Jabs: Worin besteht die Arbeit genau? Können Sie mal ein Bespiel nennen, bei dem Sie von einem Erfolg sprechen würden?
Ein Dortmund-Fan hält einen Anti-Rassismus-Schal im Fan-Block von Borussia Dortmund Borussia Dortmund hoch.
Unter den Fans von Borussia Dortmund gibt es jede Menge Engagement gegen Rassismus.© imago images / Eibner
Gabriel: Dortmund ist tatsächlich ein ganz gutes Beispiel. Dortmund ist ja bekannt in den 80er-Jahren durch die "Borussenfront", also eine der Hooligangruppen, die ganz klar sich neonazistisch sich organisiert hat. Und das war die Zeit, in der dann auch angefangen wurde, pädagogisch zu arbeiten. Und jetzt sind Fußballfans ja eher misstrauisch gegenüber Institutionen von außen. Weil, das muss man auch verstehen, Vereine natürlich ein instrumentelles Verhältnis zu den Fans haben. Die wollen einerseits, dass sie Stimmung machen, andererseits wollen sie, dass sie keine Probleme machen. Dann haben wir die Polizei. Da ist es ähnlich. Da werden die Fans ja eher als Problemklientel angesprochen.
Die einzigen tatsächlich institutionellen Vertreter, die sich für die Menschen interessieren, das sind die Pädagogen, Pädagoginnen der Fanprojekte. Die müssen eine Vertrauensebene herstellen. Und das ist nicht einfach. Das dauert oft viele Monate, teilweise auch Jahre, bis das gelungen ist. Wenn das gelungen ist, dann können wir mit Initiativen anfangen, um dann auch mit den Fans gemeinsam an der Verbesserung von Situationen zu arbeiten. Und in Dortmund haben sie "Streetkick gegen Rassismus" initiiert, auch aus der Fanszene heraus. Über die Jahre ist es gelungen, dass dieses Thema von ganz vielen anderen Fans auch aufgenommen worden ist. Wir haben heute dort eine Gruppe, die heißt "Ballspiel vereint". Die sammeln quasi alle Fans, die sich gegen Rassismus engagieren, hinter sich.
Und auch Borussia Dortmund, ein Verein, der in den 90er-Jahren das Problem noch nicht so richtig ernst genommen hat, der ist jetzt auch ganz toll in seiner Arbeit gegen Rechtsextremismus, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus. Borussia Dortmund hat jetzt, glaube ich, Yad Vashem eine Million Euro gespendet, also der Gedenkstätte in Israel. Und da hat sich, meines Erachtens, ausgehend von der Arbeit des Fanprojektes, über die Vertrauensbeziehung zur Fanszene jetzt ein Netz gespannt vom Verein über die Fankulturen, mit der Fankultur, das dazu beiträgt, dass wir eine deutliche Verbesserung in der Kurve haben. Borussia Dortmund steht da jetzt für eine Superstimmung und auch für ein unglaublich tolles Engagement, was weit über den Fußball hinauswirkt.

Zu lange die Augen verschlossen

Jabs: Sie haben die beiden Namen Cottbus und Chemnitz genannt. In der Öffentlichkeit entsteht immer wieder das Bild, dass die Probleme im Osten Deutschlands größer sind als im Westen. Stimmt das aus Ihrer Sicht?
Gabriel: Also wir hatten eine Situation in Dortmund, die ähnlich war. Da kann man vielleicht dann auch Schlüsse ziehen, die über den Fußball hinausweisen. Was in Dortmund auch lange der Fall war, ist, dass man die problematischen Entwicklungen, die es gegeben hat, sowohl in der Fankurve als auch in der Stadt, dass man die nicht wahrgenommen hat, dass man die nicht ernst genommen hat, dass man die vielleicht kleingeredet hat. Und das hat dazu geführt, dass in Dortmund sich auch Nazistrukturen etabliert haben. Da gibt es ja den bekannten Stadtteil Dorstfeld, da gibt's ja ein großes Banner auch, "Nazikiez". Und das zeigt, wie groß die Verantwortung der Zuständigen ist. Diejenigen, die Verantwortung haben für eine Stadtgesellschaft.
Und um den Bogen zu spannen nach Cottbus und nach Chemnitz; da ist es meines Erachtens auch so, dass ganz viele Jahre, sowohl bei den Vertretern des Vereins, aber auch bei den Vertretern der Kommunalpolitik, dieser Problematik nicht mit der benötigten Aufmerksamkeit und auch mit der benötigten Konsequenz entgegengetreten worden ist. Und über viele Jahre haben sich dort Strukturen entwickelt, wo sich Neonazistrukturen festgesetzt haben, die einen eigenen Wirtschaftskreislauf mittlerweile aufgebaut haben. Wo es wirklich viele Jahre dauern wird, bis man das wieder gelöst haben könnte. Aber das bedeutet, dass man auf viele, viele Jahre da dran konsequent arbeiten muss.
Jabs: Das scheint mir ein Problem, das weit über den Fußball hinausreicht. Herr Gabriel, herzlichen Dank für das Gespräch.
Gabriel: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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