"Generation Hoyerswerda" wirkt fort
Bautzen steht für David Begrich von "Miteinander e.V." in einer Traditionslinie mit den ausländerfeindlichen Übergriffen, die heute vor 25 Jahren in Hoyerswerda begannen. Die Reaktionen der Behörden auf die jüngsten Ereignisse kritisiert er scharf.
Alkoholverbot und Ausgangssperre für Flüchtlinge, Dialog mit rechtsextremen Gruppen: Für David Begrich von "Miteinander e.V." haben die Behörden in Bautzen falsch auf die jüngsten Vorfälle reagiert.
Es könne nicht sein, dass am Ende solcher Vorfälle eine Ausgangssperre für jugendliche Migranten stehe, sagt Begrich. Eine solche Ausgangssperre werte rassistische Deutungsmuster auf. Begrich kritisiert auch das "Dialogangebot des Bürgermeisters" an die Rechtsextremisten: "Es darf nicht so sein, dass man erst Krawall schlägt, Randale macht, Rassismus propagiert und dann anschließend mit politischen Dialogangeboten belohnt wird."
Im Osten wird Rassismus verharmlost
Der Leiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander beklagt, dass in Ostdeutschland rechte und rechtsextreme Positionen mit großer Selbstverständlichkeit akzeptiert seien. Das habe viel damit zu tun, dass rassistische und rechtsextreme Äußerungen als selbstverständlicher Teil des Meinungsspektrums angesehen würden – "so nach dem Motto: du hast deine Meinung, ich habe meine Meinung".
In den 1990ern hätten sich Politiker schwer damit getan, Grenzen zu ziehen dafür, was man tun und sagen könne. "Und das wirkt sozusagen bis heute fort." Eine Folge davon sei "die Verharmlosung der Dimension des Rassismus, die wir auch in den letzten Tagen in Bautzen sehen mussten".
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: Sachsen hat ein Problem mit rechter Gewalt, das müssen inzwischen auch Wohlmeinende feststellen. Die Ausschreitungen der letzten Tage in Bautzen eskalierten, zwar wird immer wieder betont, aufgrund von Stein- und Flaschenwürfen aus einer Gruppe von Flüchtlingen heraus, aber Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens gibt dazu zu bedenken:
O-Ton Alexander Ahrens: Das waren 80 gewaltbereite Rechtsextreme, die die jungen Leute eben provoziert haben. Ich meine, wenn man 16-, 17-Jährige, gerade noch in einer Ausnahmesituation befindlich, provoziert, dann braucht es nicht viel, dass bei denen die Sicherungen rausfliegen. Insofern ist es zwar zutreffend, dass die Gewalt von denen ausgegangen ist zunächst, von den jungen Ausländern, allerdings war das bei der Provokation dann auch so zu erwarten.
Heise: Sagt Alexander Ahrens, Oberbürgermeister von Bautzen. Rostock, Mölln, Solingen, Anfang der 90er-Jahre eskalierten ausländerfeindliche Angriffe in Deutschland in einer unglaublichen Art. Den Anfang machte genau heute vor 25 Jahren die sächsische Stadt Hoyerswerda. Die Menschen im Ausländerwohnheim damals fürchteten um ihr Leben, erst nach drei Tagen hatte die Polizei die Situation dann im Griff. In diesen 25 Jahren hat sich natürlich viel getan im Hinblick auf die Aufmerksamkeit, was rechtsextreme Tendenzen angeht. Ein Beispiel ist die Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander e.V., in Magdeburg ist die und die wird geleitet von David Begrich. Grüße Sie, Herr Begrich!
David Begrich: Schönen guten Tag!
Rechtsextremismus akzeptiert als Teil des politischen Spektrums
Heise: Sie waren damals, Herr Begrich, Theologiestudent in der Nähe von Hoyerswerda und sind mit Kommilitonen dahin gefahren und wollten deeskalieren. War da überhaupt dran zu denken?
Begrich: Wir waren unglaublich naiv, weil wir dachten, wenn wir hier weiter vor dem Fernseher sitzen und uns diese Gewalt angucken, das wollten wir nicht. Wir wollten hinfahren, wir wollten, dass das aufhört, dass diese Gewalt aufhört. Wir sind hingefahren und haben gemerkt, dass das überhaupt nicht funktioniert. Wir sind mit Steinen und Flaschen beworfen worden und haben sozusagen die Methoden der friedlichen Revolution in der DDR angewandt, die uns geprägt hatte, und haben gemerkt, dass das nicht funktioniert, dass man sozusagen mit dem Versuch, eine aggressive, rassistisch aufgeladene Masse von Menschen nicht aufhalten kann in dem Moment, in dem man versucht, mit ihnen sich auseinanderzusetzen über das Gespräch, wenn sie aggressiv sind.
Heise: Also muss man vorher anfangen. Sie arbeiten jetzt seit vielen, vielen Jahren gegen neonazistische Aktivitäten, aber wie normal ist Rechts im Osten? Auch wenn man jetzt zum Beispiel die Wahlergebnisse und die Ereignisse der letzten Tage anguckt?
Begrich: Ich glaube, es gibt eine große Selbstverständlichkeit dessen, dass Rechts und Rechtsextrem akzeptierter Teil des politischen Spektrums in Ostdeutschland ist. Und das hat viel damit zu tun, dass Meinungsäußerungen, die in eine rassistische und rechtsextreme Richtung gehen, als selbstverständlicher Teil des Meinungsspektrums angenommen werden, so nach dem Motto: Du hast deine Meinung, ich hab meine Meinung. Und das macht es manchmal sehr, sehr schwierig, sich damit kritisch auseinanderzusetzen, auch weil sich Politikerinnen und Politiker vor allen Dingen in den 1990er-Jahren sehr schwergetan haben, Grenzen zu ziehen. Grenzen zu ziehen dessen, was man tun und was man sagen kann. Und das wirkt sozusagen bis heute fort.
Rechter Gewalt findet größtenteils im Osten statt
Heise: Ja. Also, Sie würden nicht sagen, es ist Arroganz westdeutscher Medien, die die rechte Gewalt immer im Osten sehen?
Begrich: Nein, die rechte Gewalt gibt es in ganz Deutschland, aber die Statistik ist ja sehr eindeutig und die Statistik sagt eben, dass die Mehrzahl der rechtsextremen Gewaltstraftaten nun mal in Ostdeutschland stattfindet. Dem ist ja nicht zu widersprechen. Und wenn wir uns jetzt noch mal die Verhältnisse in Bautzen angucken, dann gibt es dort eben neben vielen Dingen, die eine positive Entwicklung verzeichnen lassen, eben leider auch Kontinuitäten, und die Kontinuität ist beispielsweise die Verharmlosung der Dimension des Rassismus, die wir auch in den letzten Tagen in Bautzen sehen mussten.
Und wenn dann am Ende des Tages ein Dialogangebot des Bürgermeisters an die Neonazis steht, dann steht das in einer sehr schlechten Tradition. 1992 hat der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe in Brandenburg auch oder in Cottbus auch Neonazis den Dialog angeboten. Das wertet Neonazis auf. Es darf nicht so sein, dass man erst sozusagen Krawall schlägt, Randale macht, Rassismus propagiert und dann anschließend mit politischen Dialogangeboten belohnt wird.
Heise: Sie haben mal in einem Artikel, einem Zeitungsartikel von der Generation Hoyerswerda gesprochen. Und eben haben Sie von Fortschreibung geredet. Hat diese Generation Hoyerswerda … Wer ist das und welchen Einfluss hat die noch?
Begrich: Die Generation Hoyerswerda ist meiner Ansicht nach die Generationenkohorte, die Anfang der 1990er-Jahre, also in der Zeit zwischen 1990 und 1994 in Ostdeutschland faktisch eine schrankenlose Gewalt gegenüber Migranten und Asylbewerbern ausgeübt hat. Und diese schrankenlose Gewalt, dieses Terrorjahrzehnt der 1990er-Jahre rechtsextremer Gewalt, aus denen dann ja auch der NSU entstanden ist, das hat natürlich eine Generation geprägt, nämlich zu sagen: Ja, wenn wir es wirklich wollen, dann können wir unsere Interessen mit Gewalt durchsetzen.
Und diese Generation, die haben wir jetzt in den Klassenzimmern zu sitzen als Eltern, die haben wir in den Elternbeiräten und da gibt es eben wieder diese von mir am Anfang beschriebene, skizzierte Haltung, dass rassistische Einstellungen ganz normaler Teil des Meinungsspektrums seien. Das ist davon übrig geblieben und das nenne ich die Generation Hoyerswerda.
Grundrechte sind nicht verhandelbar
Heise: Ja. Das ist … Also, immer wenn man Ihnen zuhört, dann kommt man ja auf die Idee: Es muss vorher angefangen werden, bevor diese tatsächlichen Tendenzen sich verfestigt haben. Und Sie haben ja eben gesagt, der Bautzener Oberbürgermeister soll mit den Neonazis nicht reden. Er und auch die Integrationsbeauftragte Sachsens haben ja seit einiger Zeit beobachtet problematisches Verhalten der unbegleiteten Flüchtlinge, wird ja auch immer wieder angeführt.
Wenn man ja jetzt aber mal versucht, andere Bürger in den Blick zu nehmen: Werden Orte und Gemeinden Ihrer Beobachtung nach vielleicht nicht auch zu lange mit für die Bevölkerung schwierigen Situationen – mögen wir ja vielleicht anders beurteilen, aber die Bevölkerung findet sie schwierig –, werden die zu lange mit diesen Situationen alleingelassen, sodass Rechte dann mit ihren Argumenten da gut draufsatteln können? Also, ich spreche jetzt doch wieder fürs Gespräch!
Begrich: Die Frage ist ja … Gegen das Gespräch an sich ist ja nichts einzuwenden, aber es muss immer klar sein, zu welchen Bedingungen und mit welchem Ende. Beziehungsweise auch zu der Frage, was ist verhandelbar und was ist nicht verhandelbar. Und nicht verhandelbar sind die essenziellen Menschenrechte, sind die Grundrechte. Und es kann nicht sein, dass nach einem solchen Vorgang, wie in Bautzen wir gesehen haben, am Ende des Tages eine Ausgangssperre für jugendliche Migranten steht. Also, verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich ist es richtig, ein Alkoholverbot zu verhängen für 15-Jährige, das ist ein Gebot des Jugendschutzes, natürlich.
Heise: Besteht eigentlich sowieso.
Begrich: Das ist klar, ja. Aber man kann nicht eine Ausgangssperre verhängen, weil die natürlich rassistische Deutungsmuster aufwertet. Und diesen rassistischen Deutungsmustern, denen muss in der Öffentlichkeit frühzeitig begegnet werden. Also immer dann, wenn Leute ihre Sorgen und Ängste artikulieren, aber – und das ist ja oft daruntergemischt wie so in einer Art Müslischale – eben auch rassistische Vorurteile, muss dem frühzeitig entgegengetreten werden. Nicht mit Polemik, sondern mit Sachlichkeit, Analyse, dann ist man auch in der Lage, sich damit kritisch auseinanderzusetzen.
Shitstorm gegen linke Initiativen
Heise: Ja, und interessant ist, da hat man manchmal das Gefühl: Diese kritische Analyse bedarf offenbar schon sehr des Mutes. Vielleicht ist das auch leicht gesagt, hier aus Berlin, aus einem Studio heraus, und ganz anders vor Ort. Wie empfinden Sie oft Ihre Arbeit angesichts dessen, was wir jetzt alles besprochen haben? Ist das nicht häufig sehr, sehr frustrierend, weil auch gar nicht effektiv?
Begrich: Das ist manchmal frustrierend, es ist vor allen Dingen dann frustrierend, wenn sozusagen nach Ereignissen wie in Bautzen dann auch ein Shitstorm-Regen von Hass und Verwünschungen auf Leute wie uns niedergehen, die sozusagen diese Arbeit in den Regionen machen.
Umso wichtiger ist die konkrete Unterstützung und da will ich mal in Bautzen bleiben: Wenn man sich mal anguckt, wer sind die Akteursgruppen in Bautzen, dann kann man ja mal das Jugendzentrum Steinhaus erwähnen, in dem eine hervorragende Arbeit gemacht wird, dann kann man die Bürgerinitiative "Buntes Bautzen" nennen, die seit Monaten Flüchtlinge und Migranten unterstützt, und die müssen eben in den Fokus auch der Auseinandersetzung gerückt werden, müssen Aufmerksamkeit kriegen für ihre sicher nicht einfache Arbeit.
Und man darf in der Analyse der Situation nicht klebenbleiben bei einer Gruppe von Neonazis, die nachts durch die Stadt ziehen und "Hier marschiert der nationale Widerstand" grölen.
Heise: Und dann muss man – das haben Sie jetzt gar nicht erwähnt, aber das schwingt irgendwie mit –, da muss man sagen, dass solche Initiativen eben nicht immer nur eine Projektfinanzierung bekommen sondern vielleicht auch tatsächlich mal dauerfinanziert werden. David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Vereins Miteinander Magdeburg, danke schön für dieses Gespräch!
Begrich: Guten Morgen nach Berlin!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.