Der Hass wächst aus dem Neid
Die Bundesregierung macht sich Sorgen: Zunehmender Fremdenhass und mehr rechtsextreme Straftaten gefährden die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland. Der Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud hat einen neuen Tätertypus entdeckt: den "Nachbarschaftsterroristen".
Angesichts der Zunahme fremdenfeindlicher und rechtsextremistischer Straftaten fürchtet die Bundesregierung inzwischen um den gesellschaftlichen Frieden in Ostdeutschland – und um die wirtschaftliche Entwicklung. Nur wenn die Region weltoffen sei, gebe es hier auch gute Entwicklungschancen: Das ist eine der Botschaften im Jahresbericht zur Deutschen Einheit.
Warum der Fremdenhass sich gerade in Ostdeutschland so verfestigt hat, erläuterte der Journalist, Buchautor und Rechtsextremismus-Experte Toralf Staud im Deutschlandradio Kultur. Wichtigster Punkt wohl: Viele Ostdeutsche fühlten sich noch immer "abgehängt" – und so komme es zu Neid auf Menschen, denen es tatsächlich oder nur vermeintlich besser gehe.
Zwar sei die wirtschaftliche Lage deutlich besser als früher, so Staud – doch die Menschen hätten einfach das Gefühl, zu wenig vom Kuchen abzubekommen.
Stabile rechte Milieus
Die Gewalt gegen Flüchtlinge wird nach wie vor aus rechtsextremen Kreisen heraus verübt – doch die echten Neonazis verlieren an Bedeutung, versuchen laut Staud, bei der AfD oder Pegida anzudocken. Neu sei hingegen der "Nachbarschaftsterrorist": Menschen, die bisher nie rechtsextrem in Erscheinung getreten seien, hätten plötzlich das Gefühl, ihre Gegend gegen Flüchtlinge verteidigen zu müssen und griffen zum Molotowcocktail.
Zerschlagen könne man die rechten Strukturen nicht so einfach, sagte der Experte. Diese seien seit 1990 gewachsen, in manchen Gegenden gebe es inzwischen ein stabiles rechtes Milieu. Dennoch hätten gesellschaftliche Akteure Möglichkeiten der Gegenwehr, so Staud: Sich positionieren, den Widerstand deutlich machen, die Gegenstrukturen unterstützen.
In Ostdeutschland ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl eine besondere Häufung von fremdenfeindlichen und rechtsextremen Übergriffen zu beobachten. Während in Westdeutschland laut dem letzten Verfassungsschutzbericht auf eine Million Einwohner 10,5 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten kommen, sind es in Mecklenburg-Vorpommern fast 59, in Brandenburg knapp 52, in Sachsen fast 50, in Sachsen-Anhalt über 42, in Berlin knapp 38 und in Thüringen 34.