"Ein internes Problem, nicht nur gesellschaftliches"
Mehr durch Zufall kam die katholische Theologin Sonja Angelika Strube auf den Umgang der Theologie mit Rechtsextremismus. Sie ist auf erschreckende Verbindungen gestoßen, aber auch auf auf ein gestärktes Bewusstsein für die Brisanz.
Kirsten Dietrich: Kirchenvertreter stehen bei Protesten gegen Rechts und für Flüchtlinge fast immer in den vorderen Reihen. Vielleicht deshalb betrachten sich die Kirchen als eher immun gegen rechte Ideologie. Dass das ein gefährlicher Kurzschluss sein kann, darauf weist ein Sammelband hin, der jetzt beim Herder-Verlag erschienen ist. "Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie" heißt er und er betrachtet zum Beispiel ideologieanfällige theologische Denkmuster oder auch ganz konkrete Internetseiten. Auf denen dann zum Beispiel die gleichen Autoren für Publikationen der extrem Rechten und für Christliches stehen. Die katholische Theologin Sonja Angelika Strube ist mehr durch Zufall auf diese Verbindungen gestoßen und widmet sich nun mit großem Engagement diesem Thema in der Forschungsgruppe Frieden, Religion, Bildung am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Ich habe mit Sonja Angelika Strube gesprochen und wollte von ihr wissen, worin denn genau die Herausforderung des Rechtsextremismus für die Theologie besteht?
Sonja Angelika Strube: In einen Vielfachen! Also, zunächst einmal ist Rechtsextremismus aus meiner Sicht ein Thema, was in der Theologie noch viel zu wenig wahrgenommen worden ist, was irgendwie bisher nicht so sehr als zum eigenen Bereich gehörend angesehen wurde. Und das, obwohl ja Kern rechtsextremer Ideologien Ideologien der Ungleichwertigkeit sind und eigentlich christlicher Glaube zu solchen Ideologien widerständig, ablehnend Stellung beziehen müsste. Das heißt, es gibt von daher schon eine Aufgabe, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, und dann gibt es eben auch noch diese zweite Entdeckung, die ich machen musste, dass es eben auch innerhalb von Gruppen, die sich dezidiert christlich verstehen, Strömungen gibt – also, es sind sicherlich aufs Ganze gesehen, kleine Gruppierungen, aber es gibt sie –, die sehr wohl mit rechtem, rechtsintellektuellem, rechtsextremem Gedankengut auch sympathisieren und das im Grunde mit ihrem Glauben verquicken und in kirchlichen Kreisen verbreiten wollen. Und deshalb ist es auch ein internes Problem, nicht nur ein gesellschaftliches, mit dem man sich kritisch auseinandersetzen muss aus Sicht der Theologie.
Dietrich: Über die Frage, wie die Theologie vom rechtsextremen Gedankengut berührt wird, also wo da wirklich vonseiten der Theologie, vonseiten der Kirche Berührungspunkte stehen, da kommen wir gleich drauf. Ich würde erst mal anfangen, von der anderen Seite zu schauen, und Sie fragen: Was verstehen Sie überhaupt unter diesem Rechtsextremen, mit dem Sie sich beschäftigen, wie grenzen Sie das ab?
Strube: Ich finde ganz wichtig die Erkenntnis, die aus den Mitte-Studien des Teams um Oliver Decker hervorgegangen ist, nämlich dass rechtsextreme Einstellungen durchaus in weiten Teilen der Gesellschaft oder in verschiedenen, unterschiedlichen, allen Milieus letzten Endes der Gesellschaft verbreitet sind, die finde ich sehr wichtig. Davon sind Glaubensgemeinschaften, Kirchen nicht ausgenommen, davon sind auch Gewerkschaften oder auch zum Beispiel SPD als eine Partei, die ja eher etwas nach links eingestellt ist, nicht ausgenommen. Rechtsextreme Einstellungen sind noch nicht geschlossene Weltbilder, sind auch noch nicht unbedingt rechtsextremes Verhalten, nicht einmal Wahlverhalten, sondern es ist ein Einstellungspotenzial, das Menschen oft auch nur in anonymen Fragebögen überhaupt anzeigen, aber das durchaus aktivierbar ist, wenn wir jetzt zum Beispiel gesellschaftliche Krisensituationen, wirtschaftliche Krisensituationen oder so haben, dann ist da ein Potenzial, was sich dann auch im Wahlverhalten zeigen kann.
Diese landläufige Vorstellung von Rechtsextremen, dass das nur Gruppierungen sind, die so extrem sind, dass sie zum Beispiel unter Umständen auch vom Verfassungsschutz observiert werden können oder dass es strafbare Handlungen gibt, Propagandadelikte, so dieser Auffassung, dass nur das rechtsextrem sei, folge ich nicht, sondern ich denke, als Einstellungsmuster, Einstellungen ist es durchaus weiter verbreitet und dann werden die Grenzen fließend.
NPD-Aktion gegen Abtreibung
Dietrich: Um Ungleichheit geht es, das haben Sie schon gesagt, also darum, Gruppen auszugrenzen. Gehört dann eine Bewegung wie Pegida auch zu dem, was Sie als rechtsextreme, verschwimmende Einstellungsbereiche bezeichnen würden?
Strube: Also, ich würde sagen, dass an Pegida sehr schön sichtbar wird das Verschwimmen von Grenzen oder das Fließen, der fließende Übergang. Wir haben in dieser Bewegung Agitatoren – ich weiß gar nicht, ob Bewegung das richtige Wort dafür ist –, Agitatoren, die durchaus explizit dem auch im Sinne des Verfassungsschutzes rechten, rechtsextremen Spektrum zugehören, die teilweise eben auch beobachtet werden oder solchen Gruppierungen zugehören. Wir haben andere Rechtsintellektuelle, die nicht in diesem Sinne normalerweise als rechtsextrem qualifiziert werden. Und wir haben zumindest in Dresden – in anderen Städten würde ich das jetzt nicht so sehen –, hatten wir auch Menschen in größeren Massen, die man wahrscheinlich nicht einfach pauschal als politisch durchgängig rechts überzeugt betrachten kann, die aber mobilisierbar sind. Also, diese fließenden Grenzen von Leuten, die sich gar nicht so unbedingt politisch nur rechts verorten, hin zu Leuten, die sich rechtsintellektuell betätigen, und auch zu Leuten, die wirklich sehr extreme Positionen vertreten, diese fließenden Grenzen sind aus meiner Sicht an Pegida sehr gut sichtbar geworden.
Dietrich: Nun sagten Sie ja auch schon, dass Kirche und Rechtsextremismus oder rechtsextreme Einstellungen gar nicht so wirklich gut zusammenpassen. Die einen betonen die Ungleichheit, die anderen gehen gerade aus von so etwas wie Fürsorge für die Schwachen zum Beispiel oder Nächstenliebe. Was macht Kirchen dann trotzdem, was macht Christen trotzdem attraktiv für Rechtsextreme?
Strube: Also, da besteht aus meiner Sicht die Attraktivität vor allen Dingen darin, dass, wenn man sich als durchaus explizit rechte Gruppierung, rechtes Medium oder auch rechte Partei, wenn man scheinbar christliche Themen anspricht oder scheinbar Positionen vertritt, die auch Christen vertreten, dass man sich selber damit sehr gut den Anschein von Bürgerlichkeit, Mittigkeit, unter Umständen eben auch sogar eigener Christlichkeit geben kann. Das heißt, sowohl auf Christen als auch auf andere Menschen, die jetzt nicht so dezidiert Christen sind, wirkt man oder versucht man auf diese Art und Weise, bürgerlich-mittig zu wirken. Das ist, glaube ich, ein ganz großes Anliegen. Also, wenn zum Beispiel ... Die NPD hat 2008 auf dem Katholikentag in Osnabrück ein Transparent gegen Abtreibung entrollt, das war eine Aktion von fünf, sechs Leuten, ist auch ganz schnell unterbunden worden. Aber wenn sogar die NPD so tut, als sei sie gegen Abtreibung, dann versucht sie damit zu zeigen, wir sind unglaublich mittig, und natürlich auch noch mal der Versuch, konservative Christen zu ködern. Also sich auch attraktiv zu machen für Wählergruppen, die vielleicht nicht sich rechts außen aus dem Fenster gelehnt haben.
Dietrich: Wenn ich jetzt aber mal andersherum frage: Warum machen christliche Gruppen dabei mit? Also, was fasziniert die an diesen rechtsextremen Einstellungen?
Strube: Da muss man erst mal sagen, es sind kleine Grüppchen. Es sind nicht einfach die Kirchen, die generell dafür jetzt anfällig sind, oder die normalen großen Verbände, kirchlichen Verbände, die man kennt. Sondern das, was ich beobachte – also, ich gehe ja meistens von Internetmedien aus –, das sind oft privat betriebene Internetseiten, oder es sind privat betriebene Internetseiten, wo einzelne oder kleine Gruppen sich einerseits sehr konservativ-christlich engagieren, aber gleichzeitig auch eine gute Zusammenarbeit mit in der Regel neurechten Medien betreiben und auf diese Art und Weise Scharniere nach rechts bilden. Das ist also erst mal die Vorgehensweise oder das ist das Engagement, das ich beobachte. Ich denke, zu dieser Zusammenarbeit kommt es auch, weil sehr konservative Personen natürlich heute merken, dass sie zum Beispiel von den etablierten konservativen Parteien nicht mehr in dem Maße repräsentiert werden, wie das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war, dass sie also da vielleicht auch politisch selber ein bisschen heimatlos bleiben oder politisch heimatlos werden, wenn sie selber nicht sich selber auch ein bisschen modernisieren, sondern wenn sie so konservativ bleiben, wie sie seit Jahrzehnten sind. Also, dadurch, dass Gesellschaft sich modernisiert, bedeutet das für bestimmte Leute, dass sie zurückbleiben. Und ich denke, da bieten sich dann rechte Gruppierungen an und versuchen, diese Leute aufzufangen und zu locken und als neues Potenzial für sich selber zu gewinnen.
Beigeschmack von verfassungswidrig
Dietrich: Nun ist ja ein Ergebnis der Untersuchungen in Ihrem Buch auch, dass Menschen, die sich selber als religiös – beziehungsweise, untersucht wurde das vor allen Dingen für Christen –, Menschen, die sich selber als christlich verstehen, nicht etwa weniger anfällig sind gegen Vorurteile, sondern in der Regel für fast alle Vorurteilsgruppen, die man so finden kann, eher mehr anfällig sein können. Wie passt denn das zusammen? Also, die Kirchen betrachten sich ja eigentlich eher als immun gegen solche rechtsextremen Strömungen, und dann kommt heraus, dass aber religiöse Überzeugungen anfällig machen für Vorurteile!
Strube: Ja. Also, zunächst einmal das, was deutlich anfälliger macht für Vorurteile, sind auch spezifische Formen von Religiosität. Also insbesondere die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Religion gegenüber anderen. Das ist ja eine Grundüberzeugung, die nicht jeder Christ oder jeder gläubige Mensch per se hat. Also diese Vorstellung, dass man selber auf jeden Fall die richtigere oder vielleicht sogar die einzig richtige Religion vertritt, also diese Verabsolutierung der eigenen Position, das ist etwas, was deutlich anfällig macht. Ein anderes Element, was sicherlich weiter verbreitet ist, oder eine Versuchung, sage ich mal, könnte natürlich sein, dass man, wenn man religiös ist, sehr stark gewöhnt ist, in Kategorien von "was ist gut, was ist böse" zu denken. Das könnte etwas sein, was allgemein Menschen etwas anfälliger macht, da etwas stärker schwarz-weiß zu denken und die vielen Grauschattierungen nicht so gut wahrnehmen zu können. Das ist jetzt aber einfach mal eine Vermutung von mir und ich denke, das muss auch nicht jeden Menschen Extremismus-anfällig machen.
Dietrich: Das heißt, das Problem ist aber trotzdem so ein Absolutheitsanspruch?
Strube: Ja. Also, da wo in religiösen Gruppierungen ein starker Absolutheitsanspruch vertreten wird, da ist die Anfälligkeit, denke ich, stärker, weil dieses Verabsolutieren des eigenen und dieses Nicht-haben-Können, dass andere Menschen was anderes denken oder tun, das ist eine strukturelle Parallele, die es so auch in rechtsextremen Zusammenhängen gibt.
Dietrich: Nun wehren sich natürlich einzelne Gruppen, einzelne Internetseiten – Sie haben ja verschiedene Namen aufgeführt, sich auch schon länger damit beschäftigt – sehr vehement dagegen, da in irgendwie rechtsextreme Nähe gerückt zu werden. Wie gehen Sie denn damit um?
Strube: Zunächst einmal stelle ich die Internetseiten, die ich bespreche, sehr differenziert dar. Also, ich bin auch durchaus vorsichtig mit dem Wort rechtsextrem, weil es doppeldeutig ist. Weil es eben immer auch diesen Beigeschmack von verfassungswidrig, ganz extrem, außerhalb der demokratischen Gesellschaft hat. Deshalb halte ich selber auch nicht so viel davon, das Wort Gruppierungen oder Medien einfach mal so aufzukleben als Label, sondern ich beschreibe eigentlich jedes Medium, jede Gruppierung, über die ich spreche, sehr differenziert. Von daher finden sich dann in Reaktionen aus diesen Kreisen gelegentlich Behauptungen über mich, Verallgemeinerungen über Aussagen, die ich gemacht hätte, die ich so nicht gemacht habe.
"Eindruck, dass die Brisanz deutlich erkannt worden ist"
Dietrich: Das heißt, man merkt dann, dass das ein heikles Thema ist?
Strube: Das sowieso, das war mir sofort klar, als ich auf dieses Thema stieß. Also, wenn etwas ein bisschen öffentlicher geworden ist ... Als Reaktion ernte ich natürlich, dass auf diesen Medien über mich berichtet wird in einer Weise, die nicht immer so ganz korrekt ist und nicht immer dem entspricht, was ich tatsächlich gesagt oder geschrieben habe. Gerne auch in irgendwie lächerlich machender Weise oder so etwas. Und dass mich auch immer mal wieder E-Mails erreichen, also, mich persönlich bisher glücklicherweise noch nicht in besonders großem Umfang. Das sind die Reaktionen, die üblichen Reaktionen, die darauf kommen, und eben diese Reaktionen als E-Mails-Shitstorm und so, das haben andere ja schon in ganz anderem Ausmaß auch erleben müssen.
Dietrich: Eine andere Frage sind natürlich die kirchenleitenden Personen, die kirchenleitenden Gruppen. Nehmen die denn dieses Thema Rechtsextremismus überhaupt als Problem wahr, also, sieht man da, dass man da wirklich ein Problem hat oder dass da eine Auseinandersetzung nötig wäre?
Strube: Ja, also, es ist über die gut vier Jahre, in denen ich mich jetzt mit dem Thema beschäftige, sehr, sehr deutlich spürbar, dass die Kirchenleitungen und auch viele kirchlich engagierte Verbände, Gruppierungen das Problem wahrnehmen und ernst nehmen und auch in zunehmendem Maße überlegen, wie sie damit umgehen und reagieren können.
Dietrich: In ausreichendem Maße?
Strube: Ich würde sagen, das kommt jetzt, ja. Also, als ich auf das Thema stieß und meine ersten Artikel dazu schrieb, hatte ich noch den Eindruck, dass es noch wenig wahrgenommen wird, in seiner Brisanz noch nicht so erkannt wird, vielleicht auch ein sehr unangenehmes Thema ist, ein heikles Thema, oder auch dass man sich unsicher ist kirchlicherseits. Also, politische Meinungen gibt es viele, darf man unterschiedliche haben, wieso sollen wir jetzt ausgerechnet zu bestimmten rechten Positionen eine klare Kante beziehen, klare Stellung beziehen ablehnender Art und Weise, können wir das, ist das nicht übergriffig? Also, ich vermute, dass es solche Bedenken auch gab. Ich habe jetzt im Laufe des letzten Jahres vor allen Dingen – oder ich glaube, mit Pegida ist das auch sehr sichtbar geworden, das Problem – schon den Eindruck, dass die Brisanz deutlich erkannt worden ist.
Dietrich: Rechtsextremismus als Herausforderung an die Theologie, geht es da um ein Randproblem? Was meinen Sie?
Strube: Jein! Einerseits sind es kleine Gruppierungen, sowohl im christlichen Bereich als auch jetzt im gesellschaftlichen, um deren Einstellungen es geht; auf der anderen Seite, bestimmte Grundmuster oder Verführungen betreffen allgemein Menschen oder auch allgemein Gläubige, bestimmte Denkgrundmuster gibt es auch in den Kirchen. Und ich glaube, es geht da auch darum zu schauen, welche Denkgrundmuster vielleicht sogar auch theologischer Art und Weise haben wir unter Umständen noch, die verändert werden müssen? Wo sich jetzt zeigt, die sind ungut, die können in eine ungute Richtung führen? Ich glaube, das ist eine sehr grundsätzliche Anfrage an Theologie.
Dietrich: Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie. Ich sprach mit der katholischen Theologin Sonja Angelika Strube. Der gleichnamige Sammelband zum Thema ist vor Kurzem erschienen im Herder-Verlag, er hat 320 Seiten und kostet 24,99 Euro.
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