Michal Hvorecky, geboren 1976, lebt als freier Autor in Bratislava. Auf Deutsch erschienen drei Bücher, als jüngste Veröffentlichung der Roman "Tod auf der Donau" bei Tropen/Klett-Cotta. Hvorecky studierte Kunstgeschichte an der Universität in Nitra. 2004 wurde er als Writer in Residence für ein Semester an die University of Iowa, USA, eingeladen. In der "FAZ", "Die Welt", "Die ZEIT" oder im Wiener Stadtmagazin "Falter" sind Essays und Geschichten von ihm erschienen. Er wurde mehrfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet und war Grenzgänger-Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung. Seine Bücher wurden in sechs Sprachen übersetzt.
Der Hass in meiner Heimat
Beim EU-Gipfel am Donnerstag in der Slowakei wird es auch um das Thema Flüchtlinge gehen. In der Slowakei gibt es so gut wie keine - aber starke Ressentiments gegen sie und einen beängstigenden Hass gegen alles Andersartige. Der sei geplant gezüchtet worden, berichtet der Autor Michal Hvoretzky.
Seit mehr als einem Jahr bekomme ich fast täglich zahlreiche Hasspostings. Regelmäßig kursieren im Netz mit Photoshop bearbeitete Bilder, auf denen ich besonders schlecht aussehe und die selbstverständlich keinen Urheber haben. Darin finden sich frei erfundene Zitate, von denen behauptet wird, dass sie von mir stammten - die ich aber natürlich nie geäußert habe. Mit großen Zähnen spreche ich mich für noch mehr Millionen Flüchtlinge aus, mit einem dummen Blick wünsche ich mir einen IS-Angriff auf Europa, und mit den aufgerissenen Augen träume ich, dass alle meine Landsleute Schwule oder Lesben werden und wie Conchita Wurst aussehen.
Einmal habe ich versucht zu verfolgen, wie schnell und wie oft so ein Foto verbreitet wird. Es ist fast gleichzeitig auf mehr als 70 unterschiedlichen Facebook-Profilen erschienen, meistens auf neonazistischen Seiten, aber auch auf Internetseiten von religiösen und nationalistischen Fanatikern.
Die Originalquelle zu entdecken, war mir unmöglich. Mal bin ich ein Landesverräter, dann ein Ausländer. Jedenfalls: ein Nichtslowake, ein Drogensüchtiger, Transgender oder Intersexueller, und am offensten – wie sollte es anders sein: ein Jude. Mal bezahlt mich der Mossad, ein anderes Mal die CIA, dann wieder die LGBT-Lobby oder George Soros. Gewaltfantasien gegen meine Person sind nicht selten. Oft bin ich sprachlos - und, ich gebe zu, auch beängstigt. Was ist so Hassenswertes an mir?
Minderheit gegen Rechts
Ich schreibe Romane, und ein paar Bücher, die ich besonders liebe, übersetze ich aus dem Deutschen ins Slowakische. Ich organisiere Lesungen und arbeite in einer Bibliothek. Ja, ich äußere mich manchmal öffentlich zu Fragen der slowakischen Gesellschaft, vor allem zu Bildung und Kultur, ich stand mehrmals auf der Bühne beim Lehrerstreik in Bratislava, auch bei Gay Prides oder kleinen Kundgebungen für eine menschliche Asylpolitik. Aber reicht das inzwischen, um ständig mit der Vertreibung aus der Heimat oder sogar mit dem Tod bedroht zu werden?
Offensichtlich ja. Und zwar, weil ich einer Minderheit angehöre – einer kleinen, aber klaren Minderheit gegen den Rechtsextremismus. Diese, mir so wichtige Minderheit der Slowaken, ist weltoffen und würde sich nie mit ausländerfeindlichen und antiintellektuellen Hetzern gemein machen. Hass ist hierzulande allgegenwärtig. Viele meiner Landsleute, die - wie ich - weiterhin eine solidarische Zivilgesellschaft verteidigen, kriegen ähnliche Hasspostings oder noch schlimmere.
Hausgemachte Probleme
Der Hass und die potentielle Aggressivität sind in der Slowakei allgegenwärtig, online sowie offline, und sie brachen nicht plötzlich auf, sie wurden gezielt und geplant gezüchtet.
In Wirklichkeit hat die Slowakei überhaupt kein Problem mit Flüchtlingen - die werden einfach nicht reingelassen – sondern, die Slowakei hat ein riesiges Problem mit den eigenen Emigranten: Mehr als 200.000 Slowaken verließen in den letzten zehn Jahren ihre Heimat, davon tausende Richtung Deutschland. Nur 14 Ausländer erhielten im Jahr 2014 Asyl in meiner Heimat! Das Zusammenleben mit Menschen mit Migrationshintergründen ist völlig unbekannt, aber trotzdem, oder gerade deswegen, werden sie gehasst – und auch alle, die sich mit ihnen solidarisieren.
Man kann das europäische Projekt nicht zusammenhalten, wenn jedes auch noch so kleine Land nur an sich selber denkt und die Lösung der großen Herausforderungen der Gegenwart aus nationalem Egoismus heraus verhindert. Sonst droht uns tatsächlich der Kollaps. Auch wegen der Hasstiraden des slowakischen Premierministers, der von sich behauptet, ein Sozialdemokrat zu sein, scheut sich eine Mehrheit meiner Mitbürger nicht, ihre ungehemmte Feindseligkeit offen und kollektiv an den Tag zu legen.
Jetzt kenne ich den Hass und kann ihm klar widersprechen. Nur mit viel Mut, mit der Suche nach Wahrheit statt Lügen-Postings und medialer Manipulation, mit Argumenten statt Parolen lässt sich der Traum von Europa noch verwirklichen.