Rechtspopulismus in Europa

Die Demokratie verteidigen

Protestaktion gegen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) in Wien.
Sabotiert die österreichische Regierung den Rechtsstaat? - Demonstration gegen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). © APA/ Hans Punz
Ein Kommentar von Emran Feroz |
Das Recht habe der Politik zu folgen, sagte kürzlich Österreichs Innenminister Herbert Kickl. Das ist ein Skandal, findet der Journalist Emran Feroz. Auch in anderen EU-Ländern werde zum Angriff auf den Rechtsstaat geblasen.
"Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht", meinte der österreichische Innenminister Herbert Kickl vor Kurzem in einem Interview. In gewohnter rechtspopulistischer FPÖ-Manier sorgte der höchste innere Beamte der Alpenrepublik damit für einen weiteren Skandal. Politiker, Juristen und andere Persönlichkeiten meldeten sich empört zu Wort. Man sprach von einer Schande und verlangte den Rücktritt des Innenministers. Kickl hatte ein weiteres Tabu gebrochen. Es ist allerdings nicht nur ein bewusster Tabubruch, sondern eine Strategie, die Kickl und andere rechte Politiker in ganz Europa seit Langem verfolgen.
Stets wollen uns diese Herrschaften nämlich weismachen, dass sie den wahren Rechtsstaat verteidigen. Hierzulande werfen rechte "Kritiker" und "besorgte Bürger" Angela Merkel seit 2015 einen permanenten Rechtsbruch vor. Der Grund: Sie hat angeblich illegal Geflüchtete ins Land gelassen. Doch während Rechte in Deutschland – noch – wenig zu sagen haben, gibt es andere Beispiele, die ein düsteres Bild aufwerfen.

Polen wird zunehmend autoritär regiert

Was tatsächlich passiert, wenn "das Recht der Politik folgt", kann man nämlich in Polen beobachten, einem Land, das immer autoritärer wird – mitten in der EU. Dort regiert seit 2015 die rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" mit absoluter Mehrheit – und baut seitdem den Rechtsstaat ab. Besonders kritisch war die Einführung eines neuen Gesetzes, das es der Regierung praktisch ermöglichte, nicht genehme Richter am Obersten Gericht in den Ruhestand zu schicken.
Aufgrund dieses Vorgehens leitete die Europäische Kommission erstmals ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages ein, um zu prüfen, ob sich Polen an alle demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien hält. Ein solches Verfahren läuft aufgrund ähnlicher Entwicklungen auch gegen Viktor Orbáns Ungarn. Laut einem Bericht besteht dort eine "systematische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundwerte".

Tabu- und Rechtsbrüche bleiben folgenlos

Derartige Zustände sind in Österreich noch keine Realität. Allerdings sind solche Szenarien mit Kickl und Konsorten an der Macht alles andere als unwahrscheinlich. Noch sind die Angriffe gegen den Rechtsstaat vor allem verbaler Natur. Doch sie kommen nicht von irgendjemandem, sondern vom Innenminister der Republik.
Das Tolerieren dieser rechten Strategie ist nicht nur fehl am Platz, sondern auch völlig falsch. In Wien, Budapest und Warschau weiß man nämlich mittlerweile, dass man mit all den Tabu- und Rechtsbrüchen immer mehr durchkommen kann. Fake News und die gegenwärtige politische Atmosphäre haben hierzu gewiss ihren Beitrag geleistet.
An dieser Stelle sind allerdings nicht nur die EU-Mechanismen gefragt, die bei derartigen Auswüchsen ohne Wenn und Aber zum Einsatz kommen müssen, sondern auch jene Kräfte in den betroffenen Staaten, denen tatsächlich etwas an Rechtsstaat und Demokratie liegt. Es stimmt, dass die Demokratie rechten Parteien wie der FPÖ oder autoritären Demagogen wie Orbán den Aufstieg ermöglicht hat. Doch es ist auch die Demokratie, die ihren Abstieg herbeiführen kann. Dafür ist es noch nicht zu spät, sondern höchste Zeit.

Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln und österreichischem Pass. Er berichtet regelmäßig über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien. Feroz recherchierte unter anderem die dramatischen Folgen der amerikanischen Drohnen-Angriffe in Afghanistan und veröffentlichte dazu das Buch: "Tod per Knopfdruck".

Porträtaufnahme von Emran Feroz , der an einer Säule lehnt.
© picture alliance / Frank May
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