Musikfestivals locken Neonazis nach Thüringen
Das thüringische Themar ist ganz unverschuldet ein Ort geworden, wo sich Neonazis auf einem Rechtsrockfestival vergnügen. Um Verboten zu entgehen, werden diese Events als politische Veranstaltung angemeldet. Die Gefahr bei solchen Konzerten: Hier wird der Nachwuchs rekrutiert.
Themar liegt im Süden Thüringens. 2.900 Einwohner leben in der Stadt an der Werra. Sie sprechen mit weichem, fränkischem Zungenschlag. Torsten Elsner steht vor seinem Haus und betrachtet interessiert die vielen Fremden in der Stadt, die zum Demonstrieren gegen Rechts gekommen sind, die Kamerateams, die Polizisten auf der Suche nach einer Toilette. Elsner erzählt, wie leer die Straße heute aussieht – im Vergleich zu normalen Tagen.
Torsten Elsner: "Na, da stehen schon rechts und links Autos, die Parkflächen sind schon fast alle voll! Ja, das ist wie ausgestorben! Ich meine, da stehen schon ein paar Autos, aber das ist alles so ein bißchen Geisterstadt geworden. Heute früh, wo ich aus dem Fenster geguckt habe …"
Die Hamburg-Bilder haben schon gewirkt!?
Torsten Elsner: "Ja, auf jeden Fall! Und das soll auf keinen Fall hier passieren! Wir hoffen, dass nicht einmal annähernd das passiert, was dort passiert ist."
Keiner aus Themar kann etwas dafür, dass das Rechtsrock-Konzert ausgerechnet bei ihnen stattfindet. Aber es gibt Gründe dafür, warum Themar, warum Thüringen immer wieder und immer öfter Tausende Fans von rechtsradikaler Musik anziehen. Einer der Gründe lebt im Nachbarort, wie Szenekennerin Katharina König-Preuss, Landtagsabgeordnete der Thüringer Linken, erläutert.
Katharina König-Preuss: "Es gibt die entsprechende Struktur, die durch die Führungspersonen Rechts hier in Thüringen abgesichert werden. Das heißt, man kann sich darauf verlassen, wenn Tommy Frenck eine Veranstaltung anmeldet, dass es Getränke, Verpflegung, gute Bühne, gute Technik usw. gibt, dass organisatorisch alles steht und alles läuft, er sich versammlungstechnisch auch auskennt."
Einwohner engagieren sich gegen Rechtsrockfestival
Die Bewohner von Themar haben nicht nur ihre Autos in Sicherheit gebracht. Sie haben sich seit Monaten engagiert gegen das Rechtsrockfestival gestellt, dass am Ortsrand stattfinden soll – auf dem Gelände des Bürgermeisters wiederum eines Nachbardorfes, der bis vor kurzem noch Mitglied der AfD war. Die Themaer wollen verhindern, dass 6.000 Neo-Nazis ihren Ort nutzen, als Szenetreff, als Ort der Propaganda. Dabei ist auch Gudrun Jakob.
"Na ja, wir haben Plakate aufgehängt und wieder abgenommen und wieder aufgehängt und welche verschwunden und dies und jenes … Also, man hat ja gemerkt, dass in der Stadt auch Negatives vorging."
Also, man hat auch Angst, dass, wenn man sich ein Plakat ans Haus hängt, vielleicht auch die Scheibe eingeschmissen wird?
Gudrun Jakob: "Genau, ja. Trotzdem habe ich ein Banner aufgehängt."
In der Tat ist Themar voller Banner und Plakate. Witzig und sehr eindeutig. Gegen Neonazis. An Laternen und in Fenstern. Der Bürgermeister steht an der Spitze des Widerstands, neben ihm die Ortspfarrerin.
Gudrun Jakob: "Wir hatten uns ja erst immer im kleinen Kreis getroffen – so 20, 25. Und jeder hat gefragt, 'Wann trefft ich euch denn wieder? Ich möchte auch dabei sein!' Und da sind wir ins Schützenhaus und waren das erste Mal gleich 120 Mann."
120 von knapp 3.000 Einwohnern. Eine ganze Menge. Vom Kirmes-Verein über den Kindergarten bis zur Volkssolidarität reicht das breite Bündnis gegen die Rechtsextremen. Dies ist für Thüringer Verhältnisse keinesfalls selbstverständlich. Mit bürgerlichem Widerstand gegen rechtsextreme Aufmärsche und Konzerte, der über die "üblichen Verdächtigen" von Antifa, Linken, Sozialdemokraten, Grünen hinausgeht, kann man meist nur in den größeren Städten, vor allem in Jena und Weimar rechnen. So ist Themar für Jusos wie Romy Arnhold ein Lichtblick.
Romy Arnold: "Das ist nicht selbstverständlich; zumal in einem Ort, wo selber auch Neonazis wohnen, ist es ein bißchen was anderes, Gesicht zu zeigen. In großen Städten ist es auch ein bißchen einfacher, sich einem großen Pulk anzuschließen. Aber hier Gesicht zu zeigen heißt auch, gesehen zu werden, auch von Leuten, bei denen man es nicht immer so gut findet."
Rekrutierungsort für den Nachwuchs
Dennoch bleibt es dabei, dass Neonazis ihre Konzerte sehr gern in Thüringen veranstalten. Von 2014 auf 2015 hat sich deren Zahl verdoppelt. Von den zehn größten deutschlandweit im vergangenen Jahr fanden sechs Rechtsrock-Konzerte in Thüringen statt, davon das größte mit 3.500 Besuchern in Hildburghausen, nicht weit von Themar. Dort gab es kaum lokalen Widerstand gegen das Konzert. Für Jan Raabe, Rechtsrock-Experte, ist das ein wichtiger Grund für die Konzentration in Thüringen.
Jan Raabe: "Wichtig ist, dass es einen niederschwelligen Zugang gibt. Also, wenn ich Konzerte habe, die hochgradig abgeschirmt sind, die von Polizei umgeben sind, die von Bürgerprotesten umgeben sind – all das sind Schwierigkeiten im Zugang, Barrieren, die gerade jüngere Personen davon abhalten, dahin zu gehen."
Dabei sind Rechtsrockkonzerte der Rekrutierungsort für den rechtsextremen Nachwuchs, meint Peter Reif-Spirek von der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung.
Peter Reif-Spirek: "Es ist ein zentrales Gemeinschaftserlebnis für die Szene. Das heißt, das sind Veranstaltungen, die die Szene stärken, ihre Attraktivität nach außen sichtbar machen, ihnen ein Gemeinschaftserlebnis ermöglichen und der bundesweiten Koordinierung dienen, auch der Vernetzung unterschiedlicher Strömungen."
Bekannter Neonazi organisiert die Konzerte
Aber es gibt noch mehr Gründe, die für Thüringen als Veranstaltungsort sprechen, meint Jan Raabe. Dazu zähle vor allem die professionelle und verläßliche Planung durch fähige Organisatoren und die Unterstützung durch viele Dutzend freiwilliger Helfer.
Jan Raabe: "Also, wenn ich mich in NRW ins Autos setze und nach Thüringen fahre und Stunden um Stunden über die Landstraßen und Autobahnen gurke, dann will ich nachher nicht von einer Polizeisperre stehen, die sagt, 'Das ist abgesagt. Fahren sie wieder nach Hause!'"
Tommy Frenck, ein deutschlandweit bekannter Neonazi, organisiert schon länger Konzerte. Er betreibt eine Kneipe im Nachbarort von Themar, wo es zum "Führergeburtstag" Spezialpreise gibt. Frenck ist es gelungen, nicht nur das Rechtsrockfestival gegen die ablehnenden Behörden durchzusetzen, sondern auch noch gerichtlich den Charakter einer politischen Versammlung zu verteidigen. Damit haben Genehmigungsbehörde und Polizei deutlich weniger Eingriffsrechte, wie der Sprecher der Thüringer Landespolizeidirektion, Patrick Martin, erläutert.
Patrick Martin: "Der Unterschied zwischen einer Veranstaltung und einer Versammlung liegt ganz einfach darin, dass in der Versammlung das Versammlungsrecht und nur dieses gilt und die Polizei da nicht mit Maßnahmen aus dem Polizeiaufgabengesetz eingreifen kann. Einer Veranstaltung könnte auch von der Behörde ganz anders beauflagt werden. Die Auflagen würden dann den Veranstalter massiv Geld kosten und das natürlich nicht mehr so lukrativ machen."
Das "Who is who" der Rechtsextremen
Hohe Ausgaben für Parkplätze, Sicherheit, medizinische Versorgung, Toiletten, Absperrungen hätte so der Veranstalter tragen müssen. Eine politische Veranstaltung mit 35 Euro Eintritt – für viele ist das ein nicht auflösbarer Widerspruch und das Rechtsrock-Konzert in Themar eindeutig auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Nicht so für das Thüringer Oberverwaltungsgericht. Es argumentiert unter anderem, dass gerade in der rechten Szene "den musikalischen Beiträgen eine versammlungsrechtlich relevante Meinungsäußerung beizumessen" seien.
Jan Raabe: "Bei diesen politischen Veranstaltungen ist es auch so, dass die Rednerinnen und Redner eine wichtige Rolle spielen – lange nicht so wichtig wie die Bands, aber auch sie sind Bestandteil dieser Veranstaltung. Und auch da ist darauf zu achten, Personen zu haben, die nicht nur langweilen, sondern das gesammelte Lager der extremen Rechten ansprechen."
Dass diese Kombination in Themar geglückt ist, bestätigt Katharina König-Preuss.
Katharina König-Preuss: "Was an Bands hier heute auftritt und noch mal mehr, was an Rednern auftritt, ist ein Stück weit schon ein Who is Who der extremen Rechten in Deutschland und vor allem eine absolute Vernetzung aller in Deutschland bestehenden Strukturen der rechten Szene."
Die zentrale Lage und gute Erreichbarkeit Thüringens in Deutschland und die attraktiven Orte, die man von wohlgesonnen Eigentümern mieten kann und oftmals von unkritischen Behörden genehmigt bekommt, tun ihr übriges, rechtsradikale Bands und ihre Fans nach Thüringen zu lotsen. Zudem legt sich die Szene immer mehr Immobilien zu, in denen sie unkontrolliert agieren kann. Gegen Rechtsextremismus Engagierte wie die grüne Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling wollen nun dafür sorgen, dass das Konzert ein politisches Nachspiel hat.
Madeleine Henfling: "Na ja, z.B., dass solche Fragen wie Kommerzialität geklärt werden und dass dazu nicht mehr das Versammlungsrecht mißbraucht wird, so wie ich das hier heute bewerte, sondern das als Vergnügen anmelden müssen, das ist deutlich anstrengender für sie. Und der andere Aspekt ist, dass wir auch genauer hinschauen, was mit den Geldern passiert, die hier generiert werden. Wo gehen die hin? Und inwieweit stützen sie die Neonazi-Szene auch deutschlandweit."
Stehen Neonazi-Konzerte unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit?
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow will ein Gutachten erstellen lassen, inwieweit man kommerzielle Neonazi-Konzerte weiterhin unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit stellen müsse. Dafür bekam er Widerspruch aus allen politischen Lagern, aber auch Zustimmung. Heribert Prantl schrieb in der Süddeutschen Zeitung, "Eine Demo, die Eintritt verlangt, ist keine Demo." Politischen Zuspruch für die Konzerte überhaupt fanden die Neonazis außer im eigenen Lager nur bei einem sächsischen Lokalpolitiker der AfD. Egbert Ermer erklärte in Dresden, nachdem schon Filmaufnahmen aus Themar im Internet kursierten, auf denen Dutzende Neonazis "Heil" brüllen und den Arm zum Hitlergruß recken.
Egbert Ermer: "So sieht deutscher Nationalstolz aus, so sieht Demonstration, so sieht ein Rockkonzert aus!"
Für das kommende Wochenende ist das nächste Konzert in Themar angesagt – wieder als politische Veranstaltung.