Rechtsruck in Deutschland
Die Empörung war groß, als die CDU am 14. September 2023 im Thüringer Landtag erstmals gemeinsam mit der AfD ein Gesetz durchgebracht hat. © IMAGO / Funke Foto Services / IMAGO / Sascha Fromm
Wo sich die Zukunft der Demokratie entscheidet
Die Fronten sind verhärtet. Auf der einen Seite das radikal progressive Lager und auf der anderen das reaktionäre – und dazwischen die Union, wie der Jurist und Publizist Ronen Steinke meint. Ihre Haltung zur AfD sei entscheidend.
Im deutschen Parteienspektrum gibt es derzeit zwei Pole. Einmal radikal progressiv, einmal reaktionär. Da sind auf der einen Seite die Grünen, die gesellschaftliche Hierarchien infrage stellen und überwinden wollen – weitaus prononcierter, als dies andere progressive Parteien tun wollen. Und auf der anderen Seite – natürlich – die AfD, die diese Hierarchien mit Zähnen und Klauen verteidigen und am liebsten in voller 1950er-Jahre-Pracht restaurieren möchte.
So weit, so klar. So weit, so bekannt. Aber am interessantesten sind deshalb nicht diese beiden Parteien, die an den Polen stehen. Am interessantesten, wenn man über die Zukunft der Demokratie nachdenkt, ist derzeit eine Partei, die hin und her schwankt zwischen diesen beiden Polen.
Das ist die Union. Wenn man sich fragt, in welche Richtung die politische Entwicklung in Deutschland in den kommenden Jahren kippen könnte, dann ist es am spannendsten, sich jetzt genau diese Partei anzusehen, die so sehr mit sich ringt.
Konservative Parteien ringen um ihre Identität
Überall in Europa bemühen sich bürgerlich-konservative Parteien derzeit darum, ihre Identität neu zu finden.
In Frankreich haben sie sich für giftig chauvinistische Töne entschieden, um sich von den Rechtspopulisten nicht das Wasser abgraben zu lassen. Mit der Folge, dass die bürgerlich-konservative Partei Frankreichs in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt ist und die Rechtspopulisten von einem Erfolg zum nächsten segeln.
In Großbritannien haben sich die Konservativen dafür entschieden, sich den Rechtspopulisten an den Hals zu werfen, sie zu umarmen und mit ihnen zu verschmelzen. Mit der bekannten Folge des Brexits, einer Katastrophe für dieses Land.
In Italien wie auch in einigen skandinavischen Ländern haben sich die Konservativen die Kulturkampf-Rhetorik der Rechtspopulisten angeeignet – und diese dadurch noch größer gemacht, weil sie ihnen in den Augen der Wähler scheinbar recht gegeben haben.
Von den USA ganz zu schweigen. Der Pakt, den die dortige Partei der Republikaner schon vor Jahren mit den Rechtspopulisten, zunächst der Tea-Party-Bewegung und später Verschwörungsgläubigen und Ultranationalisten, eingegangen ist – dieser Pakt hat die Partei in den politischen Bankrott geführt und dem Land und der Demokratie Schaden zugefügt.
Es kommt ganz auf die Union an
Der Abgrund ist nah, wenn Konservative mit Rechtspopulisten konkurrieren. Das wissen sie auch in Deutschland, in der Union. Deshalb kommt es auf die Union jetzt so sehr an.
Wir sehen in Thüringen in diesen Tagen, wie die CDU in Todesangst agiert. Die Empörung ist natürlich groß gewesen, als die CDU im dortigen Landtag erstmals gemeinsam mit der AfD ein Gesetz durchgebracht hat. Hier haben diese beiden Parteien, ergänzt durch die FDP, zum ersten Mal ihre Mehrheit im Parlament genutzt, um der Minderheitsregierung eine Steuersenkung aufzuzwingen.
Aber die Führung der CDU in Thüringen hat die Furcht, dass ihr die Wähler wegbrechen. Sie hat nur die Wahl, entweder mit der Linkspartei von Bodo Ramelow zu stimmen oder mit der AfD von Björn Höcke, der sich wegen der Verwendung von NS-Vokabular demnächst vor Gericht verantworten muss. An der Basis der thüringischen Union sind die Postkommunisten viel verhasster als die Rechtspopulisten. Und das heißt für die CDU-Führung: Die Sorge ist groß, dass sie einfach vom Hof gejagt wird, wenn sie sich nicht zur AfD hin öffnet.
Daniel Günther macht vor, wie es gehen könnte
Es stehen Weichenstellungen bevor, nicht nur für Thüringen, sondern für die Union als politische Kraft insgesamt. Wenn die Union nicht eine eigene Stimme findet, einen eigenen Stil der Seriosität, mit dem sie ihre Eigenständigkeit gegenüber den Taktgebern von der AfD behauptet – dann wird sie zermahlen.
Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, zeigt hier einen ganz interessanten Weg auf. Er quittiert die AfD und ihre Kulturkampfthemen mit Desinteresse. Er springt nicht über ihre Stöckchen, konzentriert sich auf Sacharbeit. Das ist beruhigend. Das wirkt souverän und weckt Vertrauen.
Wenn das nicht bald mehr Politikern in der Union gelingt, wäre es übel. Nicht nur für die Partei, sondern auch für die Demokratie als Ganze.