Florian Prokop, geboren 1988 in Cottbus, ist freier Journalist und Moderator. Er beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Themen wie Gerechtigkeit, Europa und digitaler Netzkultur und studierte Publizistik und Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität Berlin.
Warum ich immer seltener nach Cottbus fahre
03:41 Minuten
Die Rechte ist in manchen Regionen Ostdeutschlands stark geworden - und es könnte sein, dass sie nach den nächsten Wahlen noch stärker ist. Journalist Florian Prokop hat das in Cottbus miterlebt, wo er aufwuchs. Heute hält er Distanz zur alten Heimat.
"Warum bist du eigentlich nicht mehr so oft in der Heimat?", fragte mich letztens eine Freundin. Da merkte ich, dass ich darüber eigentlich nie so richtig nachgedacht habe. Was ich wusste: Wenn ich an meine Heimat denke, dann werde ich eigentlich immer erstmal wütend.
Wenn Heimat der Ort ist, an dem man aufgewachsen ist, dann ist meine Heimat Cottbus in Brandenburg. Ich bin kurz vor der Wende geboren. Von Cottbus habe ich mal in der Grundschule gelernt, dass es eine Großstadt mit 150.000 dort lebenden Menschen ist. Inzwischen kratzt Cottbus – Eingemeindungen und Zuzug durch Geflüchteten sei dank – etwas oberhalb der 100.000-Menschen-Marke.
Seit mehr als zehn Jahren wohne ich nun nicht mehr in Cottbus, ich bin abgehauen. Hab mich aus dem Staub gemacht und wohne nun in Berlin. Obwohl ich mit dem Regio inzwischen sogar nur noch etwas über eine Stunde brauche, ich fahre seltener und seltener.
Ist es möglich, ein Leben jenseits der Norm zu führen?
Ich habe darüber nachgedacht, warum ich wütend werde, wenn ich an Cottbus denke: Weil ich mich bedroht fühle, wenn ich da bin. Unsicher. Ich sehe vermutlich doll nach einem Berliner "Hipster" aus, vor allem: Ich bin schwul. Ist meine Art zu leben hier möglich? Ist es möglich, in Cottbus unbehelligt ein Leben zu führen, das von der Norm abweicht?
Was das angeht, bin ich privilegiert: Dass ich schwul bin, fällt wahrscheinlich nicht sofort auf. Aber was, wenn ich Hand in Hand mit meinem Freund nachts durch die Cottbuser Innenstadt laufen würde? Und, wenn ich mich schon unsicher fühle, weil ich aus der Masse herausfalle: Wie geht es dann den geflüchteten Menschen in der Stadt?
Es ist nicht nur ein Gefühl, wenn ich mich und meine Art zu Leben in Cottbus bedroht sehe. Am 1. September wird in Cottbus ein neuer Landtag gewählt, laut Prognosen wird die sogenannte "Alternative für Deutschland" dann stärkste Kraft sein. Dies ist keine Protestwahl mehr. Wer in Brandenburg am 1. September AfD wählt, wählt den Höckeflügel, der oder die wählt stramm rechts.
Es ist nicht nur ein Gefühl, wenn ich mich und meine Art zu Leben in Cottbus bedroht sehe. Am 1. September wird in Cottbus ein neuer Landtag gewählt, laut Prognosen wird die sogenannte "Alternative für Deutschland" dann stärkste Kraft sein. Dies ist keine Protestwahl mehr. Wer in Brandenburg am 1. September AfD wählt, wählt den Höckeflügel, der oder die wählt stramm rechts.
Rückblickend ist es nicht so, dass Cottbus jemals anders war. Ich erinnere mich an Menschengruppen, die Anfang der 90er durch meine Wohngegend zogen und "Heil Hitler" riefen. Ich erinnere mich an den Nachbarn beim Grillabend, der an die jüdische Weltverschwörung glaubte. Das war beängstigend, aber normal für mich.
Wachsendes Unbehagen von Minderheiten
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt in Cottbus die "Inseln der Glückseligkeit", wie ich sie nenne. Orte, an denen sich Menschen aktiv für Demokratie, für die Wahrung der Würde und Rechte aller einsetzen. Die durch Theater, durch zivilgesellschaftliche Maßnahmen, durch Kunst und Kultur versuchen, ein Gegengewicht zu bilden.
Der Großteil der Menschen in Cottbus teilt mein Unbehagen nicht, spürt das wachsende Unbehagen von Minderheiten nicht, weil sie zur Mehrheit gehören, zur schweigenden Mehrheit. Oder sie spüren dieses Unbehagen doch und wissen nicht, damit umzugehen: "Schlimm ist das alles", sagen sie dann. "Wirklich schlimm."
Viele sind gegangen
Wenn ich in Cottbus bin, bewege ich mich innerhalb meiner kleinen Blase. Diese Blase, in der ich mich bewege, ist auch so klein, weil Leute wie ich irgendwann gegangen sind. Ich behaupte von mir gern, ich stehe für Vielfalt und Demokratie ein. Das in Cottbus zu leben, fühlt sich für mich nach Aufopferung an.
Vielleicht bin ich deshalb nicht mehr so oft in der Heimat: Weil ich mich in meiner Art zu leben dort zusehends bedroht fühle. Und weil ich mich schäme, es nicht zu schaffen, dem vor Ort persönlich etwas entgegenzusetzen.