Rechtsruck

Warum wechselt Polens Jugend die Fronten?

Junge Polen demonstrieren in Warschau gegen Flüchtlinge
Junge Polen demonstrieren in Warschau gegen Flüchtlinge © picture alliance / dpa / Rafal Guz
Von Beata Bielecka · 08.12.2015
Es waren junge Wähler, die für einen Regierungswechsel in Polen gestimmt haben. Die Journalistin Beata Bielecka kann nicht verstehen, warum sie dabei ihre Überzeugungen verraten haben. Stößt man Neues an, indem man sich gegen eigene Interessen entscheidet?
Wochen ist es her - und noch immer kann ich nicht verstehen, was in Polen passiert ist. Eins ist sicher: sehr viele junge Wähler haben entschieden, genug sei genug! Und sie haben dabei mitgeholfen, dass die nationalkonservative Partei von der Opposition in die Regierung wechseln konnte. Soweit so demokratisch.
Was ich jedoch nicht verstehen kann, ist, dass unsere Jugend aus Protest Politiker wählte, deren Positionen sie bislang abgelehnt hat. Also fragte ich meine 25-jährige Tochter Agata, die gerade ihr Studium in Warschau beendet.
Polens Jugend ist von Politikern frustriert
Viele, die sie dort kennt, so antwortete sie, wollten endlich so leben wie ihre Altersgenossen in Westeuropa. Weil sie es nicht können, sind sie frustriert. Und bestrafen die dafür, die ihrer Meinung nach schuld sind: die Regierung! In diesem Herbst traf es demnach die Liberalkonservativen, die zwar wirtschaftspolitisch erfolgreich waren, sich aber in den Augen vieler Bürger miserabel benommen hatten.
Und doch glaube ich nicht, dass ich mit 25 derart unpolitisch oder widersprüchlich meine Unzufriedenheit ausdrückt hätte, wie es die Generation unserer Kinder heute tut. Ich erinnere mich noch an leere Regale in Geschäften und geschlossene Grenzen, denke an das Jahr 1989, vor den ersten demokratischen Wahlen, als die Wirtschaft durch den Kommunismus zugrunde gerichtet war.
Deswegen bin ich schlicht sauer, dass junge Leute nicht wertschätzen, was sich seither verändert hat, nicht anerkennen, wie anders als ihre Eltern sie heute leben. Sie studieren im Ausland, ihnen wird diese Erfahrung auch noch durch Stipendien finanziert! Sie reisen durch Europa, weil ein Flugticket häufig weniger kostet als ein Kaffee an der Spanischen Treppe in Rom. Sie überqueren Grenzen so, als würden sie die Straße wechseln.
Polen hat sich verändert und verändert sich noch, aber aus Sicht junger Leute viel zu langsam. Ich verstehe ihre Ungeduld. Mir ist außerdem klar, dass sie von der abgewählten Bürgerplattform enttäuscht waren, weil diese acht Jahre lang viele Versprechen nicht erfüllt hat.
Gutausgebildeten werden nur Junk-Verträge geboten
So haben sie es satt, auf der Grundlage sogenannter Junk-Verträge zu arbeiten, also ohne verlässliche Absprache und ohne dauerhafte Festanstellung, nur damit Arbeitgeber Lohnkosten reduzieren können. 28 Prozent der jungen Leute arbeiten mit solchen Verträgen – das ist einer der höchsten Werte in der ganzen EU.
Auch meine Tochter Agata lehnt sich dagegen auf, da sie ja zwei Studienfächer und vier Fremdsprachen vorweisen kann. Doch ich erinnere sie daran, dass sie Fremdsprachen auch dadurch gelernt hat, dass sie durch den Rotary Club kostenlos ein Schuljahr in Mexiko absolvieren und durch das europäische Erasmus-Programm ein weiteres halbes Jahr in Italien studieren konnte.
Als ich in ihrem Alter war, hatte ich solche Angebote nicht. Gerade die Reisen meiner Tochter zeigen mir, welchen gigantischen Schritt nach vorn Polen gemacht hat. Das ist bestimmt auch ein Grund dafür, warum ich geduldiger bin, wenn Veränderungen nicht so schnell geschehen. Soweit so nachvollziehbar.
Junge Wähler stimmten gegen ihre Interessen
Was aber ist passiert, dass die Jungen jetzt die politischen Fronten gewechselt haben? Meine Generation hat unter nationaler Enge gelitten. Sie aber profitieren von einer offenen Gesellschaft in einem Europa ohne Grenzen und wählen Politiker, denen die liberale, die europäische Gesellschaft nicht geheuer ist.
Die Jugend hat in diesem Herbst aus berechtigtem Protest eine Regierung abgewählt, zugleich aber gegen ihre Interessen und Überzeugungen abgestimmt und diese verraten. Das ist es, was ich nicht verstehen kann.
Beata Bielecka ist Redakteurin der "Gazeta Slubicka", der kommunalen Zeitung der Stadt Slubice, arbeitete zuvor 20 Jahre lang als Redakteurin bei "Gazeta Lubuska", der größten regionalen Tageszeitung Polens an der deutsch-polnischen Grenze, hat 1996 gemeinsam mit Dietrich Schröder ("Märkische Oderzeitung") den "Wächter-Preis der deutschen Tagespresse" verliehen bekommen: für eine Artikelreihe über Regelverstöße bei der Grenzpolizei, war 2014 nominiert für den deutsch-polnischen Journalistenpreis "Tadeusz-Mazowiecki".
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Lubuska"
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Lubuska"© privat
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