Hören und lesen Sie zum Thema auch das Feature von Philipp Schnee: "Verdrängte Vergangenheit? Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik" vom Januar 2017: Audio Player
Der NSU hat Vorläufer
Ganz so neuartig, wie oft behauptet, sei der Terror des NSU nicht, meint der Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch. Er sieht in der Geschichte der Bundesrepublik durchaus Vorläufer. Diese seien allerdings von den Historikern "sträflich vernachlässigt" worden.
Eine völlig neue Dimension des Rechtsterrorismus in Deutschland, etwas noch nie Dagewesenes - derartiges ist häufig zu hören, wenn es um den NSU und die von ihm verübten rassistischen und rechtstextremistischen Morde geht. Der Potsdamer Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch hält das für nicht ganz zutreffend. Es gebe durchaus rechtsterroristische Vorläufer des NSU in der Geschichte der Bundesrepublik, sagte er im Deutschlandfunk Kultur. Diese seien allerdings von der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen worden - und von Historikern: "Ingesamt ist der Rechtsextremismus in der Geschichtswissenschaft, in der Zeitgeschichtsforschung heute sträflich vernachlässigt."
Auch die Schüsse auf Rudi Dutschke gehören zum Rechtsterrorismus
Betrachtet man lediglich klassische terroristische Taten aus einer Gruppe heraus, beginnt der Rechtsterrorismus in Deutschland Botsch zufolge in den 1970er-Jahren: "In meinen Augen ist die erste in einen Gruppenzusammenhang eingebettete Tat die Schüsse von Ekkehard Weil in Westberlin auf einen sowjetischen Wachsoldaten im Herbst 1970."
Bezieht man hingegen auch terroristische Einzeltäter - den sogenannten "Lone Wolf" - ein, müsse man noch weiter zurückgehen: "Dann müssten Sie wahrscheinlich die Schüsse auf Rudi Dutschke durch einen rechtsextremistischen Täter [im April 1968] bereits in diesen Bereich mit einrechnen."
Gezielte Anschläge gegen Ausländer gibt es seit 1980
Hinsichtlich der Ziele, gegen die er sich richtete, lässt sich der Rechtsterrorismus nach Ansicht Botschs in mehrere Phasen einteilen. So hätten die frühen Anschläge "symbolisch oder auch handfest" der deutschen Teilung und der sowjetischen Besatzungsmacht gegolten. Diese Perspektive habe sich in den 1970er-Jahren auf die Symbole von Vergangenheitsaufarbeitung und Gedenkkultur verschoben. "Das dramatischste Beispiel ist sicherlich die Sprengung von zwei Sendemasten, mit der erfolgreich die Erstausstrahlung der ersten Folge der TV-Serie 'Holocaust' 1979 verhindert wurde", so der Rechtsextremismusforscher vom Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum.
Die ersten gezielten terroristischen Anschläge gegen Ausländerinnen und Ausländer habe es dann in den 1980er-Jahren gegeben, so der Politikwissenschaftler mit Blick auf den Anschlag der sogenannten "Deutschen Aktionsgruppen" im August 1980, bei dem zwei Vietnamesen ums leben kamen. "In der Tradition steht dann letztendlich ja auch der NSU."
(uko)