Männer müssen sich solidarisch zeigen
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Frauen sind nicht sicher im öffentlichen Raum. Das zeigt der Mord an einer Londonerin auf ihrem Heimweg. Unter #reclaimthestreets formiert sich Protest. Das sei kein Frauenproblem, meint die Autorin Lea Sauer, es gehe die gesamte Gesellschaft an.
Unter dem Hashtag #reclaimthestreets hat sich in England eine Protestbewegung gebildet: Anlass war der Tod der 33-jährigen Sarah E., die Anfang März auf dem Heimweg zu ihrer Wohnung ermordet worden war. Eskaliert ist die Wut darüber am Wochenende, als die Polizei eine Gedenkveranstaltung für Sarah E. gewaltsam aufgelöst hat. Es bleibt die Frage: Sicher auf der Straße, ohne Gefahr nach Hause – warum scheint das für Frauen nicht zu gelten?
"Ich glaube, dass die Wut, die alle eigentlich kennen, sich gerade Bahn bricht", sagt Lea Sauer, Mitherausgeberin des Sammelbands "Flexen", 2019 im Verbrecher Verlag erschienen, der Texte von Frauen über das Spazieren in Städten versammelt. "Ich glaube, das löst jetzt gerade diese Verzweiflung aus, dass immer noch zu wenig für die Sicherheit von Frauen gemacht wird."
Wer weicht wem aus?
Es fange mit Kleinigkeiten an. "Man kann gucken, wer weicht wem aus im Straßenraum? Dann stellt man fest, dass es häufig Frauen sind, die Männern ausweichen." Das allein zeige schon, wem die Stadt gehört.
"Auch ‚street harassment‘ ist natürlich ein großes Thema", die sexuelle Belästigung von Frauen auf der Straße, so Sauer weiter. "Dass Angst verursacht wird und sich bestimmte Zeiten, wie zum Beispiel nachts, unsicherer anfühlen, und dass dadurch natürlich auch bestimmt wird, wer sich wann wie im Stadtraum bewegt."
Der Titel des Bands "Flexen" bezieht sich auf die Bewegung von Frauen im öffentlichen Raum - kein sorgenfreies Spazieren, sondern eine Bewegung gegen Widerstände, wie ein Ausschnitt zeigt:
"Ich flexe. Ich flexe mich durch die Stadt. Ich flexe mir die Stadt zurecht. […] Meine Präsenz ist nicht ungefährlich und einfach für mich, fraglos akzeptiert wie sie es für die traditionellen Flaneure ist. […] Es war nicht vorgesehen, dass ich hier bin und dort. Wo ich es sein kann, wurde es von mir erkämpft. Ohne Anstrengung ging es nie. Mir wurde gesagt, es sei zu gefährlich, bleib zu Hause. Bleib drinnen, da wo es sicher ist. Es gibt Dinge, die es unmöglich machen, Flâneuse* zu sein. […] Es kann ein abfälliger Kommentar sein, wenn ich meinen liebsten Minirock trage, Beleidigungen, wenn meine Hautfarbe für einige nicht ins Stadtbild passt, ich zu männlich oder weiblich aussehe. Es können aber auch Polizeikontrollen und Strafen sein. Berührungen, ungewollte Küsse, Verfolgungen, unangenehme Blicke, die totale Ignoranz. All das hat nur eine Botschaft: So in der Stadt unterwegs zu sein – das solltest du nicht."
"Das ist kein Frauenproblem"
Das alles zeigt: Die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum ist noch lange nicht gewährleistet. "Was mir persönlich wichtig in dieser Diskussion ist, ist eigentlich Solidarität", sagt Sauer. Die Hashtags #reclaimthestreets oder #textmewhenyougethome würden sehr häufig von Frauen geteilt, um dort Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen zu teilen. Das sei wichtig, um das Problem sichtbar zu machen.
"Noch wichtiger wäre aber, dass sich auch Männer an die Seite von Frauen stellen, um zu zeigen, das ist kein Frauenproblem, wir nehmen die Gefahr, die von Femiziden ausgeht, auch ernst und stellen uns als Gesellschaft dagegen."
(cwu)