Ein Stück Holzpalette als Geigenhals
Cateura liegt am Rande der Hauptstadt Paraguays – und ist die Müllkippe der Stadt. Kein Ort für Musik? Der Abfallexperte und Hobbygitarrist Favio Chavez hatte eine geniale Idee: aus Müll Instrumente zu machen. Und die Idee war der Beginn einer wahren Erfolgsgeschichte.
Eine ungeteerte Straße, Matsch, knöcheltiefe Pfützen. Die kleinen Häuser sind einstöckig, prekär, haben unverputzte Wände. In der Armensiedlung Bañado in Paraguays Hauptstadt Asunción haben Jugendliche die Musik voll aufgedreht. Es ist Samstagmorgen, elf Uhr.
An einem baufälligen Gebäude flattert ein Transparent mit der Aufschrift "Escuela de Música" – Musikschule.
Durch ein Eisentor geht es in einen Innenhof, in dem das Gedudel der Straße von einem Klang-Wirrwarr verschiedenster Instrumente übertönt wird.
Hier ist der Sitz des Orchesters von Cateura. Cateura,so heißt die riesige Müllkippe von Asunción. Sie ist nur einen Kilometer entfernt und hat dem Orchester ihren Namen gegeben. Im Hof steht ein zierliches, blasses Mädchen.
"Ich heiße Ada Ríos, ich bin 16 und spiele Geige. Das habe ich meiner Großmutter zu verdanken, die eines Tages hier vorbeikam und mich angemeldet hat."
Ada hält eine bunte Geige in der Hand, sie wirkt wie ein Spielzeug.
"Meine Geige besteht aus Fundstücken von der Müllkippe: einem kleinen Backblech und einer Farbbüchse. Die Violin-Saiten sind an einer alten Gabel befestigt, und der Hals meiner Geige ist ein Stück einer Holzpalette."
Ada Ríos spielt im Orchester der Recycling-Instrumente von Cateura,wie es offiziell heißt. Weil das Orchester auf Instrumenten aus Müll spielt, ist es in Paraguay und auch international sehr bekannt geworden.
Ada Ríos geht in den Probenraum für die Streichinstrumente, wo sie den Anfängern Geige beibringt. In der Musikschule, die zum Orchester gehört, erhalten zweihundert Kinder aus der Armensiedlung kostenlosen Unterricht.
Gegen Mittag leeren sich langsam der Hof und das Gebäude. Während sich die Orchestermitglieder und Musikschüler fröhlich voneinander verabschieden, setzt sich ein dunkelhaariger, leicht untersetzter Mann mit Brille in einen der nun leeren Probenräume. Favio Chavez leitet das Orchester der Recycling-Instrumente von Cateura.
"Vor acht Jahren hatte ich auf der Müllkippe die Idee, aus Abfall Instrumente herzustellen. Das Ziel: den Kindern des Viertels Musik beizubringen. "
Die Musik ist eigentlich Chavez' Hobby. 2006 kam er als Umwelt-Techniker auf die Müllkippe von Cateura und lernte dort die "Recycler" kennen: Männer und Frauen, die davon leben, dass sie wiederverwertbare Materialien sammeln und für wenige Guaranies, so heißt Paraguays Währung, verkaufen. Einige von ihnen sind heute die Instrumentenbauer des Recyclingsorchesters.
Müll als Lebensunterhalt
Jorge Rios ist Vater der Geigerin Ada. Er ist Schneider, leitet die Elternvereinigung des Orchesters und wohnt mit seiner Familie im Bañado. Jetzt läuft Jorge Richtung Müllkippe, um zu zeigen, wo er früher, als Jugendlicher, gearbeitet hat. Immer ärmlicher werden die Behausungen, viele bestehen nur aus Wellblech, Pappe und Holz. Immer mehr Abfall türmt sich an den Wegrändern auf, immer beißender wird der Geruch.
"Der Müll ist für die Leute aus diesem Viertel nicht Müll. Müll heißt: Lebensunterhalt. Müll bedeutet: das tägliche Brot."
Schließlich bleibt Jorge stehen. Vor ihm erstreckt sich eine endlose Hügellandschaft aus Abfall. In der Ferne sind ein paar Recycler mit großen Bündeln zu erkennen. Aus den Materialien, die sie unter härtesten Arbeitsbedingungen aus dem Müll fischen, macht das Orchester von Cateura Musik.
Jeden Mittwochnachmittag ist Orchesterprobe. Fast vierzig Mädchen und Jungen zwischen zwölf und 22 sitzen eng nebeneinander in einem fensterlosen Raum. Die Stimmung ist heiter und zugleich konzentriert: ein Konzert und die nächste Auslandstournee stehen bevor.
"Am Anfang sind wir nur alle zwei Monate hier in Paraguay aufgetreten. Aber eines Tages bekamen wir eine Einladung aus Brasilien! Und das hatten wir einem Stück Blech zu verdanken!",
sagt die 15-jährige Natalia Dominguez in der Probenpause. Mit seinen Instrumenten aus Blech und anderen Recycling-Stoffen ist das Orchester inzwischen auch in die USA, nach Kanada, Deutschland und in viele andere Länder gereist. Doch nach jeder Tournee kehren Natalia und die anderen Musiker in ihr Armenviertel zurück.
"Die Musik hat mir eine ganz neue Welt geöffnet, das ist wunderschön. Aber es ist auch eine große Verantwortung, dem Orchester anzugehören. Ich habe gelernt, mein Leben besser zu organisieren: zwischen Orchester, Schule und meinen Pflichten zuhause."