Reden über das Unaussprechliche

Rezensiert von Alicia Rust |
Gott, behauptet Manfred Lütz, geht alle an, auch Nicht-Christen und Atheisten. Mit "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten" präsentiert Lütz eine kleine Kulturgeschichte in rasantem Tempo und fordert zu einem entschiedenen Glaubensbekenntnis auf - auch die Nicht-Gläubigen.
Dass man Gott zwar erfahren aber über ihn nicht sprechen könne, formulierte einst Ludwig Wittgenstein in seinem berühmten Tractatus logico-philosophicus:

"Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."

Ganz anders Manfred Lütz, studierter Theologe, gelernter Philosoph, Chefarzt einer psychiatrischen Klinik und Autor von Bestsellern wie "Der blockierte Riese" und "Lebenslust". In seinem neuesten Buch "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten" macht er auf knapp 300 Seiten nichts anderes als über das Unaussprechliche zu reden. Der saloppe und manchmal etwas neckische Ton darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Autor durchaus ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt.

"Wenn wir über Gottebenbildlichkeit öffentlich debattieren, müssen wir auch wieder über Gott öffentlich reden. Und wir müssen auch wieder rational darüber reden. Und ich glaube, wir brauchen einen argumentativen Diskurs, auch über die Gottesfrage, die ja viele Schattierungen bei den Menschen hat. Und wir brauchen ihn nicht nur in einer intellektuellen Clique, oder in einem Expertenbereich, sondern wir brauchen ihn gesellschaftsweit bis in die Bildzeitung."

Im Gegensatz zu dem britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins, dessen Buch "Gotteswahn" die Gläubigen (aller Religionen) durch Polemik provoziert, versucht sich Manfred Lütz in einer Art wohlwollendem theistischen Rundumschlag. Dabei wagt der Autor einen rasanten Ritt durch die geisteswissenschaftliche Kulturgeschichte der letzten 300 Jahre. Stark vereinfacht, in Schwindel erregendem Tempo und mitunter etwas plakativ, konfrontiert er seine Leser:

"Warum überfallen Sie eigentlich keine Bank - wenn Sie absolut sicher sein könnten, dass Sie niemand erwischt? " "Warum kippt man Leichen nicht in den Sondermüll und macht aus Friedhöfen Kinderspielplätze? Woher wissen Sie, dass das Kind ihrer Frau auch ihr Kind ist? Also ganz im Ernst - was spricht dafür, dass Gott existiert oder dass er nicht existiert? Denn wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt. Oder etwa nicht?"

Mit diesen ketzerischen Fragen ganz im Geiste Dostojewskis fordert Manfred Lütz seine Leser gleich zu Beginn der Lektüre auf, die eigene Einstellung aufs Genaueste zu überprüfen. Er popularisiert. Damit stellt er sein Werk bewusst in den Gegensatz zu den üblichen theologischen Abhandlungen über die Existenz Gottes. Nichts liegt ihm ferner als unverständliches Klerikaldeutsch.

"Einige Theologen waren über das Buch etwas irritiert, aber der Professor, bei dem ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, hat gesagt, an einigen Stellen hätte er schlucken müssen, aber dann sei's eben runter gewesen. Es soll für normale Menschen sein."

Dass Manfred Lütz dem Glaubens-Nicht-Bekenntnis der Atheisten besondere Aufmerksamkeit widmet, verwundert nicht. Schließlich leugnet der Atheist ausdrücklich die Existenz Gottes. Daher, schlussfolgert Lütz, muss sich der Atheist zuvor auch ein Bild von dem machen, was er leugne. Nämlich von Gott.

Einzig gegen den "schlampigen Atheismus" verwehrt sich der bekennende Katholik Lütz. Nichts sei schlimmer, als Unentschiedenheit im Glaubensbekenntnis. Gott, behauptet Manfred Lütz, gehe alle an. Auch Nicht-Christen.

"Wer an nichts mehr glaubt, glaubt an alles. Es ist nicht der Atheismus, der herrscht, sondern die große allgemeine Verunsicherung, die große Suche, die bereit ist, auf der Stelle alles und jedes zu glauben - doch vielleicht nur zum Teil und für gewisse Zeit."

So kann etwa der Parteichef der Linken, Gregor Gysi; auch ihm sind einige Zeilen im Buch gewidmet, der Lützschen Darstellung des Atheismus durchaus etwas abgewinnen.

"Bei Atheisten gibt es zwei unterschiedliche Definitionen. Wenn man sagt, ein Atheist ist jemand, der nicht religiös ist, ja dann bin ich Atheist. Aber wenn man sagt, ein Atheist ist nur jemand, der Religion bekämpft, dann bin ich nicht Atheist. Dann bin ich eher im Sinne des alten Testaments Heide. Das waren ja die, zu denen Religion noch nicht gekommen ist."

Mit boulevardträchtigen Überschriften wie "Elton John und die nackte Venus" oder "Expeditionen durch den Feuerbach" mag Manfred Lütz bisweilen irritieren. Nichtsdestotrotz kommt hier der Psychoanalytiker in ihm am besten zum Vorschein. So habe der Philosoph Ludwig Feuerbach Gott eigentlich nicht widerlegt, vielmehr habe er überlegt, wie man das merkwürdige Phänomen Religion erklären soll. Wenn es Gott wirklich nicht gebe, dann sei auch das Phänomen der Religion merkwürdig, argumentiert Feuerbach - nämlich dass Menschen mit jemandem reden, der gar nicht da ist...Das sei schon "psychiatrisch auffällig", resümiert wiederum Manfred Lütz. Mit einem Augenzwinkern, versteht sich.

Vielleicht sind es nicht so sehr die philosophischen Abhandlungen, die das Buch trotz allem lesenswert machen, sondern ist es der Bodenständigkeit und dem untrüglichen Humor des Autors zu verdanken, dass die Lektüre nicht auch nur für eine Sekunde zu langweilen droht. Die Frage nach der Einstellung des Christentums zum Thema Glauben hat Manfred Lütz jedenfalls auf seine eigene Art zu beantworten gesucht:

"Christen glauben ja nicht an das unendliche Leben, das wäre ja die Hölle, sondern Sie glauben an so etwas wie an das ewige Leben und das ist etwas anders. Und ich glaube, solche Ewigkeit kann man schon in diesem Leben erleben. Es ist etwas, was uns ergreift, wenn wir einen Menschen lieben: Es ist nicht 5 Minuten Liebe, sondern es ist etwas, was uns ergreift, und was uns ergreift und über den Moment und über die Zeit über den Ort hinaushebt."

Man mag nicht mit allen Thesen von Manfred Lütz einverstanden sein, aber eines scheint gewiss: In "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten" geht es weniger um theologisch fundierte Ansätze, sondern um allgemeinverständliche, anregende Argumente in einer hochdiffizilen Debatte. Dies scheint dem wortgewandten Rheinländer durchaus gelungen.

Manfred Lütz: Gott. Eine kleine Geschichte des Größten
Pattloch Verlag, München 2007
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