Redseliger Wirrkopf an der Bushaltestelle

09.12.2008
Bombel verbringt sein Leben in erster Linie damit zu warten, nachdem er von einem Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen wurde. Doch fast trostloser als die Hauptfigur von Mirosław Nahacz' Roman ist das Leben des polnischen Autors, der sich mit nur 23 Jahren umbrachte.
Die Literatur ist die Heimat seltsamer Leute. Da gibt es Menschen, die gegen Windmühlenflügel zu Felde ziehen, und solche, die mit großer Ausdauer nichts anderes tun, als zu warten. Bombel ist einer von diesen. Er sitzt in dem Wartehäuschen einer Bushaltestelle. Der Bus kommt selten, das Dorf ist klein und entlegen.

Aber Bombel wartet ja auch nicht auf den Bus. Er spricht mit den Holzwänden über Gott und die Welt, solange keiner seiner Freunde da ist und niemand vorbei kommt, den er anschnorren kann. Denn Bombel ist von einem Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen worden. Darüber, würde Bombel sagen, bei Gelegenheit mehr, Gelegenheiten gibt es ja genug, aber erst einmal eine Zigarette - Sie haben doch eine?

Bombel ist nicht nur die Hauptperson, sondern fast die einzige Person in dem gleichnamigen Buch des Polen Mirosław Nahacz. Einen Freund in der Stadt hat er, wo er hin und wieder mal nächtigt, wenn ihn der Busfahrer ohne Fahrschein mitgenommen hat. Dann gibt es noch Pietrek, mit dem er einmal nach Tschechien rübermachte für einen kostengünstigen Einkauf von Alkoholika.

Seitdem darf Bombel nicht mehr über die Grenze. Drüben startete er nämlich eine "Aktion zur Verteidigung der Ehre erniedrigter Frauen", na ja, sagen wir, er schlug einen Mann zusammen, weil ihn der Anblick von dessen Frau doch sehr erregte. Der Mann kreuzte daraufhin mit seinen Freunden auf, sodass sich die Rückkehr nach Polen ein wenig hinzog.

Bombel hat ein ungewisses Alter, wenige Zähne im Mund und immer Durst. Frau und Kinder haben ihn verlassen, und weil er die Alimente nicht zahlte, verlor er den kleinen Hof. Der Mittellose nimmt den Mund stets voll, schon weil der Magen leer ist. Ein große Rolle spielen in seiner Welt sexuelle Ausschweifungen (vor dem Fernseher und manchmal mit der Folge von Holzsplittern im Penis), machtvolle Auftritte (mit der Folge von bösen Verletzungen) und großartige Ideen (völlig folgenlos, dafür Zeit, Raum, die Gottesmutter Maria und auch Gott betreffend). Bombel plaudert ohnehin nur, "damit‘s nicht so langweilig wird". Solange er redet, ist das Schicksal zu ertragen.

Diesen lumpenproletarischen Nachfahr der charmant-subversiven Bafler im Werk des Tschechen Bohumil Hrabal einen Philosophen an der Bushaltestelle zu nennen, ist zu hoch gegriffen. Philosophische Einsichten unterlaufen dem Schelm und Trunkenbold eher. Er macht sich einen eigenwilligen Reim auf die Dinge, weil die nicht so laufen, wie er will.

Kauzig und kantig, erst zigeuner-, frauen- und menschenfeindlich, dann zu allen freundlich, großsprecherisch und bescheiden, die Welt mal von oben und mal scheel von der Seite betrachtend - Bombel ist unberechenbar. Er ist die Verkörperung eines zentralen Topos der polnischen Kunst seit der Romantik: der Realität geringsten Ranges, des Kleinen, Marginalisierten, Schmutzigen und Unwürdigen, dem die nichtakademische Kunst einen einzigartigen Sinnreichtum abzulauschen vermag.

Der Autor Mirosław Nahacz soll seinen Bombel gekannt und schon als Jugendlicher einen Super-8-Film über ihn gedreht haben, verrät Andrzej Stasiuk im Nachwort. Der wohl wichtigste polnische Gegenwartsautor hat Nahacz in einem Nachbardorf in den Beskiden entdeckt und war begeistert von dessen 2003 erschienenem Debüt "Acht vier", eine Anspielung auf den Geburtsjahrgang 1984 des Autors.

"Bombel" ist das zweite Buch des drogenverliebten Junggenies, der sich 2007 mit nur 23 Jahren das Leben nahm, und das klingt schon fast wie eine Geschichte, an der selbst ein Bombel verzweifelt könnte, so traurig und sinnlos ist sie.

Rezensiert von Jörg Plath

Mirosław Nahacz: Bombel
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Weissbooks, Frankfurt am Main 2008
176 Seiten, 18,80 Euro