Reduktion auf einfachste Symbole
Der norwegische Maler und Grafiker Edvard Munch gehört zu den wichtigsten Wegbereitern der Moderne. Sein Umgang mit Formen und Farben machte hierzulande den Expressionismus erst möglich. Die Hamburger Kunsthalle zeigt nun in der Ausstellung "Edvard Munch ... aus dem Seelenleben" auch zahlreiche Arbeiten aus Munchs Berliner Jahren zwischen 1892 und 1908.
Famme Fatale, hingebungsvolle Madonna, Eifersucht, Tod - das sind die großen Themen der Decadence-Literatur und -Malerei um 1900. Das sind auch die Themen Edvard Munchs. In Gemälden und Grafiken hielt er das Seelenleben der Menschen fest. "Lebensfriesbilder" nannte er sie, erklärt Carolin Quermann, Mitorganisatorin der Ausstellung:
"Diese Lebensfriesbilder geben den Seelenzustand von Menschen wieder. Das sind die Themen Melancholie, Traurigkeit, Einsamkeit, Liebe, die zerstörte Liebe, die danach folgende Trauer, das sind die Themen, die wir hier zeigen."
Dieser Munch ist sattsam bekannt, könnte man sagen - aber die Ausstellung belehrt den Besucher eines Besseren: 13 Gemälde zeigt sie und 160 Grafiken, die zum großen Teil aus den eigenen Beständen stammen und erstmals präsentiert werden. Thematisch gegliedert wird deutlich: Was Munch bereits früh in großen Gemälden festhielt - die "Madonna", "Einsamkeit", "Das kranke Kind", "Eifersucht" - griff er ab den 1890er Jahren immer wieder in der Grafik auf, um dort viel radikaler nach einer adäquaten Form für diese Gefühle zu suchen.
"Das ist vielleicht exemplarisch zu sehen für seine Art, mit den Werken umzugehen. Er selber sagte: Ich muss mich an den Themen abarbeiten, ich bin auf der Suche nach dem Ursprungsbild. Er hat selber seine Werke immer wieder mit seiner Lebensgeschichte in Verbindung gebracht. Beispielsweise mit dem Tod seiner Schwester oder auch dem seiner Mutter. Und erzählt dann, er möchte mit seinen Werken diesen ersten Eindruck, diesen selbst erlebten Eindruck nahe kommen, und mit jedem Werk scheitert er, deshalb zieht er manchmal über 20, 30 Jahre hinweg ein Motiv mit sich und überarbeitet und überarbeitet stets von neuem dieses Gemälde oder diese Grafik."
Munch, 1863 geboren und 1944 gestorben, studierte in Oslo, lebte in Paris, und zwischen 1892 und 1908 in Berlin. Dort entdeckte er 1894 die Grafik - Holzschnitt, Radierung und Lithographie - und begann zu experimentieren. Zum Beispiel zu dem berühmten Bild "Der Kuss". Anfänglich zeigt Munch ein sich umschlingendes Paar in einem Raum am Fenster stehend. In den folgenden Blättern rückt er dem Paar immer näher, lässt den Raum weg, schneidet das Fenster an. Am Ende hebt er die Umschlungenen aus allen erzählerischen Zusammenhängen heraus und druckt sie auf einen grob gemaserten Holzstock.
"Munch hat das Holz aufweichen lassen in Wasser, damit es besonders stark die Maserungen vorbringt und hat dann mit dem Holz gedruckt. Also auch wieder eine ganz neue Technik, mit dem Holz umzugehen. Das macht er in der Grafik auf das Raffinierteste. Er zersägt beispielsweise im Holzschnitt die Platte und fügt diese einzelnen zersägten Holstöcke wie ein Puzzle wieder zusammen, färbt aber die einzelnen Teile in unterschiedlichen Farben ein. Das ist sehr, sehr experimentell, das hat vor ihm noch niemand gemacht, und das kann man an dieser Ausstellung sehr schön sehen."
Die Reduktion eines Themas auf einfachste Symbole, das ausschnitthafte Heranzoomen und expressive Formen sind typisch für Munchs Grafik. So auch bei dem "Kranken Kind", das er erst in einem Zimmer im Bett liegend zeigt, bis am Ende allein der skizzenhaft festgehaltene, wie schon in Auflösung begriffene Kopf das Blatt füllt - die meisten Zeitgenossen waren empört.
"Er hatte seine Bewunderer, das waren wenige, aber sehr enge Bewunderer, die ihn außerordentlich gefördert haben. Aber er hatte natürlich auch Ausstellungen, die Entsetzen auslösten, kann man wirklich sagen. Er hatte 1892 in Berlin seine erste große Ausstellung, die zu einem Aufruhr führte, die Ausstellung musste frühzeitig wieder abgebaut werden, die Leute empörten sich nicht nur was den Inhalt anbelangt, sondern auch über die Malweise."
Doch Munch stand mit dieser Vorstellung von Kunst nicht allein. Sie entsprachen dem Lebensgefühl der Leute, zwischen denen er sich bewegte: In Boheme-Kreisen herrschte um 1900 gepflegte Endzeitstimmung, Fin-de siècle, Decadence. Man litt schmerzhaft-gern an der Welt, am Leben, an der Liebe, an sich selbst. Bei allem, was Munch persönlich erlebte und in seinen Bildern festhielt - den frühen Tod von Mutter und Schwester, zwei unglückliche Lieben, Alkoholexzesse - seine Arbeiten zeigen immer auch dieses Lebensgefühl, mit dem man sich bewusst auflehnte gegen das konservative Bürgertum, dem Sittsamkeit und Ehe heilig waren.
"Das war um 1900 im so genannten Kreis "Zum schwarzen Ferkel", in dem sich die Bohemes versammelten, dort war das Thema Eifersucht, freie Liebe, revolutionäre Gedanken gegen das Bürgerliche en vogue. Und Munch war Teil dieser Boheme-Szene, genauso wie Strindberg oder Richard Dehlem oder Meyer-Graefe. Diese Leute trafen sich im "Schwarzen Ferkel" haben dort orgiastische Feten gefeiert und über solche Themen diskutiert."
Und sie in Kunst umgesetzt. Dass Munch dabei durchaus waghalsig experimentierte, bis er zu einer für ihn befriedigenden Bildlösung kam, zeigt die Ausstellung sehr anschaulich. Und damit auch, wie sehr er mit seiner Suche nach neuen Formen und einem neuen Umgang mit Farbe DAS Vorbild für die Expressionisten wurde.
Schade nur, dass ein Ausblick auf die Arbeit nach der Berliner Zeit fehlt. Munch, der 1908 nach exzessivem Alkoholkonsum einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, ging noch im selben Jahr zurück in seine Heimat. Befreit von der sich selbstbemitleidenden Stimmung der Decadence begann der 45-Jährige ganz Neues: Er malte lichtvolle, helle Landschaftsbilder, Fabrikarbeiter, Schneeschipper, Porträts. Im Mittelpunkt standen nicht mehr die mehr oder minder privaten Leiden einer müden, gequälten Boheme-Seele, sondern das wirkliche Leben.
Service: Die Ausstellung "Edvard Munch ... aus dem Seelenleben" ist vom 3. März bis zum 14. Mai 2006 im Hubertus-Wald-Forum zu sehen.
"Diese Lebensfriesbilder geben den Seelenzustand von Menschen wieder. Das sind die Themen Melancholie, Traurigkeit, Einsamkeit, Liebe, die zerstörte Liebe, die danach folgende Trauer, das sind die Themen, die wir hier zeigen."
Dieser Munch ist sattsam bekannt, könnte man sagen - aber die Ausstellung belehrt den Besucher eines Besseren: 13 Gemälde zeigt sie und 160 Grafiken, die zum großen Teil aus den eigenen Beständen stammen und erstmals präsentiert werden. Thematisch gegliedert wird deutlich: Was Munch bereits früh in großen Gemälden festhielt - die "Madonna", "Einsamkeit", "Das kranke Kind", "Eifersucht" - griff er ab den 1890er Jahren immer wieder in der Grafik auf, um dort viel radikaler nach einer adäquaten Form für diese Gefühle zu suchen.
"Das ist vielleicht exemplarisch zu sehen für seine Art, mit den Werken umzugehen. Er selber sagte: Ich muss mich an den Themen abarbeiten, ich bin auf der Suche nach dem Ursprungsbild. Er hat selber seine Werke immer wieder mit seiner Lebensgeschichte in Verbindung gebracht. Beispielsweise mit dem Tod seiner Schwester oder auch dem seiner Mutter. Und erzählt dann, er möchte mit seinen Werken diesen ersten Eindruck, diesen selbst erlebten Eindruck nahe kommen, und mit jedem Werk scheitert er, deshalb zieht er manchmal über 20, 30 Jahre hinweg ein Motiv mit sich und überarbeitet und überarbeitet stets von neuem dieses Gemälde oder diese Grafik."
Munch, 1863 geboren und 1944 gestorben, studierte in Oslo, lebte in Paris, und zwischen 1892 und 1908 in Berlin. Dort entdeckte er 1894 die Grafik - Holzschnitt, Radierung und Lithographie - und begann zu experimentieren. Zum Beispiel zu dem berühmten Bild "Der Kuss". Anfänglich zeigt Munch ein sich umschlingendes Paar in einem Raum am Fenster stehend. In den folgenden Blättern rückt er dem Paar immer näher, lässt den Raum weg, schneidet das Fenster an. Am Ende hebt er die Umschlungenen aus allen erzählerischen Zusammenhängen heraus und druckt sie auf einen grob gemaserten Holzstock.
"Munch hat das Holz aufweichen lassen in Wasser, damit es besonders stark die Maserungen vorbringt und hat dann mit dem Holz gedruckt. Also auch wieder eine ganz neue Technik, mit dem Holz umzugehen. Das macht er in der Grafik auf das Raffinierteste. Er zersägt beispielsweise im Holzschnitt die Platte und fügt diese einzelnen zersägten Holstöcke wie ein Puzzle wieder zusammen, färbt aber die einzelnen Teile in unterschiedlichen Farben ein. Das ist sehr, sehr experimentell, das hat vor ihm noch niemand gemacht, und das kann man an dieser Ausstellung sehr schön sehen."
Die Reduktion eines Themas auf einfachste Symbole, das ausschnitthafte Heranzoomen und expressive Formen sind typisch für Munchs Grafik. So auch bei dem "Kranken Kind", das er erst in einem Zimmer im Bett liegend zeigt, bis am Ende allein der skizzenhaft festgehaltene, wie schon in Auflösung begriffene Kopf das Blatt füllt - die meisten Zeitgenossen waren empört.
"Er hatte seine Bewunderer, das waren wenige, aber sehr enge Bewunderer, die ihn außerordentlich gefördert haben. Aber er hatte natürlich auch Ausstellungen, die Entsetzen auslösten, kann man wirklich sagen. Er hatte 1892 in Berlin seine erste große Ausstellung, die zu einem Aufruhr führte, die Ausstellung musste frühzeitig wieder abgebaut werden, die Leute empörten sich nicht nur was den Inhalt anbelangt, sondern auch über die Malweise."
Doch Munch stand mit dieser Vorstellung von Kunst nicht allein. Sie entsprachen dem Lebensgefühl der Leute, zwischen denen er sich bewegte: In Boheme-Kreisen herrschte um 1900 gepflegte Endzeitstimmung, Fin-de siècle, Decadence. Man litt schmerzhaft-gern an der Welt, am Leben, an der Liebe, an sich selbst. Bei allem, was Munch persönlich erlebte und in seinen Bildern festhielt - den frühen Tod von Mutter und Schwester, zwei unglückliche Lieben, Alkoholexzesse - seine Arbeiten zeigen immer auch dieses Lebensgefühl, mit dem man sich bewusst auflehnte gegen das konservative Bürgertum, dem Sittsamkeit und Ehe heilig waren.
"Das war um 1900 im so genannten Kreis "Zum schwarzen Ferkel", in dem sich die Bohemes versammelten, dort war das Thema Eifersucht, freie Liebe, revolutionäre Gedanken gegen das Bürgerliche en vogue. Und Munch war Teil dieser Boheme-Szene, genauso wie Strindberg oder Richard Dehlem oder Meyer-Graefe. Diese Leute trafen sich im "Schwarzen Ferkel" haben dort orgiastische Feten gefeiert und über solche Themen diskutiert."
Und sie in Kunst umgesetzt. Dass Munch dabei durchaus waghalsig experimentierte, bis er zu einer für ihn befriedigenden Bildlösung kam, zeigt die Ausstellung sehr anschaulich. Und damit auch, wie sehr er mit seiner Suche nach neuen Formen und einem neuen Umgang mit Farbe DAS Vorbild für die Expressionisten wurde.
Schade nur, dass ein Ausblick auf die Arbeit nach der Berliner Zeit fehlt. Munch, der 1908 nach exzessivem Alkoholkonsum einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, ging noch im selben Jahr zurück in seine Heimat. Befreit von der sich selbstbemitleidenden Stimmung der Decadence begann der 45-Jährige ganz Neues: Er malte lichtvolle, helle Landschaftsbilder, Fabrikarbeiter, Schneeschipper, Porträts. Im Mittelpunkt standen nicht mehr die mehr oder minder privaten Leiden einer müden, gequälten Boheme-Seele, sondern das wirkliche Leben.
Service: Die Ausstellung "Edvard Munch ... aus dem Seelenleben" ist vom 3. März bis zum 14. Mai 2006 im Hubertus-Wald-Forum zu sehen.