Klaus Englert, schreibt für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und den Hörfunk. Er war Kurator der Ausstellung "Architektenstreit. Brüche und Kontinuitäten beim Wiederaufbau in Düsseldorf" (Stadtmuseum Düsseldorf) und der Wanderausstellung von "Neue Museen in Spanien" und schrieb die Bücher "Jacques Derrida" und "New Museums in Spain".
Beide Seiten müssen sich ändern
Mit allen Mitteln versucht Spaniens Regierung zu verhindern, dass die Katalonen am Sonntag über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Klaus Englert meint, um den Konflikt langfristig zu befrieden, müssten beide Seiten ihre nationalistische Eitelkeiten überwinden.
"Die Katalanen können weder gewinnen noch verlieren. Gewinnen sie, dann werden sie gierig wie hungrige Wölfe. Verlieren sie, geben sie die Schuld den anderen und pflegen ihre Ressentiments."
Das sagte Josep Tarradellas, der vor und nach der Franco-Diktatur die Katalanische Regional-Regierung anführte. Der 1988 verstorbene Tarradellas würde sich heute wundern, wie sehr sich die Katalanen treu geblieben sind.
Im übrigen Spanien ist man davon überzeugt, dass sie ihren "victimismo", den Mythos vom "ewigen Opfermut", kultiviert haben. Tatsächlich gedenken die Katalanen an ihrem höchsten Feiertag – der Diada – nicht eines historischen Siegs, sondern ihrer größten Schmach, der militärischen Niederlage gegen die französischen und spanischen Truppen am 11. September 1714.
Katalonien, das bereits damals nicht mehr eigenständig war, verlor daraufhin auch jegliche Sonderrechte. Es folgte eine Serie von Niederlagen, die sich besonders in den 1930ern fortsetzte, als katalanische Regierungspräsidenten wiederholt damit scheiterten, sich von Spanien unabhängig zu machen.
Die katalanische Identität speist sich aus Demütigung
Die Katalanen berufen sich zwar immer wieder auf die Zeit des vermeintlich goldenen Mittelalters, als Barcelona die Hauptstadt des Königreichs Aragonien war. Doch die nachfolgenden Jahrhunderte des Verfalls prägen ihr Selbstbewusstsein bis heute. Daraus schöpfen sie paradoxerweise das Gefühl von Größe und Auserwähltheit.
Genau hier gründet das Kernproblem im Umgang mit den Katalanen: Es ist eines, das jeden politischen Dialog zwischen der katalanischen und spanischen Regierung erschwert. Katalanentum und katalanische Sprache gelten als etwas, was als besondere Auszeichnung gegenüber Nicht-Katalanen empfunden wird.
Deswegen das Misstrauen gegenüber "Madrid", dem Sitz von Zentralregierung und Königsfamilie, deswegen das hochmütige Verhältnis gegenüber den Spaniern, die oft als faul, rückständig und "faschistisch" angesehen werden.
Kultureller Nationalismus der Katalanen
Das tief verankerte Feindbild, das jedem Nationalismus eigentümlich ist, liegt auch der katalanischen Variante zugrunde. Und dennoch: Der katalanische Nationalismus entwickelte sich als kulturelles Phänomen, als etwas, das nicht vererbt, sondern von jedem angeeignet werden kann. Das ist die tolerante, offene Seite des Katalanentums. Trotz aller fanatischen Schübe, die sich auf den Straßen Barcelonas zeigten, kann diese kulturelle Grundierung des katalanischen Nationalismus auch eine Chance für den unabdingbaren Dialog sein, der am Tag nach dem Referendum beginnen muss.
Beide Seiten müssen sich zum Pluralismus bekennen
Das war beim baskischen Nationalismus anders, weil der stets auf dem Bewusstsein ethnischer Andersartigkeit gründete. Auch Francos erzkatholischer Nationalismus unterschied sich deutlich, weil er die Spanier als eine homogene Gemeinschaft verstand, die auf die Größe der Nation eingeschworen wurde.
Der spanische Nationalismus löste sich nach dem Tode Francos zusehends auf, während der baskische – nachdem sich die ETA ins Abseits manövriert hatte – immer einflussloser wurde.
Am Ende blieb auf spanischem Territorium nur der "Soft-Nationalismus" der Katalanen übrig. Diese Gemengelage bietet – trotz berechtigter Skepsis – eine Chance für beide Seiten, für Madrid und Barcelona, nach der Abstimmung, politische Vernunft walten zu lassen.
Der Glaube an die von der Verfassung garantierte föderale Struktur der Regionen müsste durch ein kräftiges Bekenntnis zum pluralen Spanien unterstützt werden, jenseits von nationalistischem Dünkel und dem ständigen Pochen auf die unverrückbare Verfassung.
Wandeln müssten sich beide Seiten, die hartgesottenen Nationalisten in Barcelona und die Zentralisten in Madrid.