Reflexionen über den Bürgerkrieg
In den Jahren 1990 bis 1992 schrieb die Philosophin und Schriftstellerin Etel Adnan an einen Freund in Paris. In ihren Briefen über das Leben der Frauen im vom Bürgerkrieg zerstörten Beirut analysiert sie, wie der Krieg die Stadt und ihre Bewohner verändert hat. Angesichts des neuen Krieges im Libanon haben die in "Von Frauen und Städten" versammelten Texte nichts an Gültigkeit verloren.
"Länder, die einen Krieg weder als Verlierer noch als Gewinner beenden, sind verdammt"
Das schreibt die libanesische Philosophin, Schriftstellerin und Malerin Etel Adnan und:
"Nichts hat sich beruhigt und ich vermute, dass es sich niemals beruhigen wird."
Das war im August 1992 in Beirut, das heißt zwei Jahre nachdem der 15 Jahre dauernde Bürgerkrieg zu Ende war, als Ruinen das Stadtbild prägten, ausgebombte Häuser wie Höhlen bewohnt wurden und Zementmaschinen und Generatoren trotzig die Rückkehr zur Normalität behaupteten, zum Neuanfang, der mit Vergessen einherging.
Erstaunt nimmt die Besucherin eine allgemeine "Schuldlosigkeit" zur Kenntnis, beziehungsweise die Gewohnheit, "immer den Anderen die Schuld zu geben" und diagnostiziert ein "gewaltiges Realitätsproblem".
Nur neue Formen des Denkens könnten Genesung bedeuten. Trotz unendlicher Traurigkeit hat Etel Adnan keinerlei Interesse an nostalgischer Verklärung der Stadt von einst. Dazu ist sie zu nüchtern, zu scharfsinnig.
"Unser altes Beirut ist so weit von uns entfernt wie die Steinzeit."
Gleichzeitig gibt es kaum jemanden, der dieses "alte Beirut" so kennt wie sie, die 1925 als Tochter eines muslimischen Vaters aus Damaskus und einer griechischen Christin aus der Türkei geboren und französisch erzogen wurde.
Doch in dem Wissen, dass keine Theorie über Banalität hinauskäme, verlaufen ihre Überlegungen jenseits religiöser Einordnungen oder politischer Konstellationen. Sie sind grundsätzlicher, gehen tiefer. Auch wenn der Krieg vorüber ist, so hat für sie "der Tod gesiegt". Ihrem Blick entgeht nicht, welche Auswirkungen Grausamkeit, Eingeschlossensein und Verzweiflung auf die einzelnen Menschen haben; wie sehr das Leben in der Stadt sich verändert hat, auch weil die Straße ausschließlich zur Männerdomäne wurde.
Die Briefe, die Etel Adnan zwischen 1990 und 1992 schreibt, kommen nicht nur aus Beirut, aber auch in Barcelona oder Rom, in Berlin oder Aix en Provence verschränken sich aktuelle Beobachtung und Erinnerung, Wissen und Spekulation. Schweifend Verbindungen herzustellen, bedeutet für ihren wachen, analytischen und optisch geschulten Geist: "denken". Genau dabei können wir ihr in ihren eigensinnigen Briefen zuschauen und werden mitgerissen von ihrer intellektuellen Kraft, ihren Emotionen, den poetischen Bildern und dem Willen die Welt zu begreifen.
Die Reise an unbekannte Orte gestaltet sich stets auch als Reflexion über Eigenes und Fremdes, und über Erfahrungen, die Seinsweisen begründen. Wo Frauen weder Autofahren noch gefahrlos einen Nachbarn grüßen dürfen, wie anders erleben sie die Welt, fragt sich die Autorin und damit ihren Adressaten, einen im Pariser Exil lebenden Freund und Publizisten.
Sie sollte ihm ihre Sicht auf die Frauen, auf das Leben als Frau, auf den Feminismus vermitteln. Und musste feststellen, dass sie nicht in Statements verfallen kann, sondern immer zuerst ausgehend von einer Umgebung schreibt und bezugnehmend auf einen anderen Fixpunkt, auf das Leben in Beirut.
Zwischen Paris und Kalifornien lebend, gehört Etel Adnan zu den rund zehn Millionen Auslandslibanesen, die mittlerweile überall in der Welt verstreut sind. Ihre Bücher betrachtet sie als "Häuser, die ich für mich baue". Allerdings sind es weder Rückzugs- noch Trostorte. Denn seit sie die Dimensionen der arabischen Welt in der Ferne, in Berkeley kennen gelernt hat, hat sie ein großes Thema, wurde früh schon eine warnende, prophetische Stimme.
Nachdem sie in den USA Philosophie gelehrt hatte, kehrte sie 1972 als Journalistin für die französischsprachige Zeitung Al-Safa in ihre Geburtsstadt zurück. Bereits 1970 entstand ein langes Gedicht "Der Express Beirut-Hölle": eine Warnung vor den drohenden Gefahren, der Zersplitterung in religiöse, politische und gesellschaftliche Einzelwelten.
Nach ihrem Roman "Sitt Marie-Rose" von 1977 erhielt sie Morddrohungen von den christlichen Falangisten und konnte nicht mehr publizieren. Die gnadenlose mit aller Gewalt durchgesetzte Loyalitätspflicht gegenüber der eigenen Religion war das Thema, denn die Hauptfigur, eine Christin, wird von ihrer eigenen Gemeinschaft ermordet, nachdem sie sich der muslimischen Seite angenähert hatte.
"Der Krieg ist vorüber und ist es nicht."
Das schreibt die Schriftstellerin 1992. Heute herrscht erneut Krieg in Beirut. Und wieder halten Briefe die Verbindung: aktuelle Zustandsberichte in den zahllosen Internetblogs oder reflektiertere, in westlichen Zeitungen abgedruckt. Doch die Dimensionen, die Etel Adnan eröffnet, haben nichts an Gültigkeit verloren.
Etel Adnan: Von Frauen und Städten
Aus dem Englischen übersetzt von Klaudia Ruschkowski
Edition Nautilus, Hamburg 2006
128 Seiten, 14,90 Euro
Das schreibt die libanesische Philosophin, Schriftstellerin und Malerin Etel Adnan und:
"Nichts hat sich beruhigt und ich vermute, dass es sich niemals beruhigen wird."
Das war im August 1992 in Beirut, das heißt zwei Jahre nachdem der 15 Jahre dauernde Bürgerkrieg zu Ende war, als Ruinen das Stadtbild prägten, ausgebombte Häuser wie Höhlen bewohnt wurden und Zementmaschinen und Generatoren trotzig die Rückkehr zur Normalität behaupteten, zum Neuanfang, der mit Vergessen einherging.
Erstaunt nimmt die Besucherin eine allgemeine "Schuldlosigkeit" zur Kenntnis, beziehungsweise die Gewohnheit, "immer den Anderen die Schuld zu geben" und diagnostiziert ein "gewaltiges Realitätsproblem".
Nur neue Formen des Denkens könnten Genesung bedeuten. Trotz unendlicher Traurigkeit hat Etel Adnan keinerlei Interesse an nostalgischer Verklärung der Stadt von einst. Dazu ist sie zu nüchtern, zu scharfsinnig.
"Unser altes Beirut ist so weit von uns entfernt wie die Steinzeit."
Gleichzeitig gibt es kaum jemanden, der dieses "alte Beirut" so kennt wie sie, die 1925 als Tochter eines muslimischen Vaters aus Damaskus und einer griechischen Christin aus der Türkei geboren und französisch erzogen wurde.
Doch in dem Wissen, dass keine Theorie über Banalität hinauskäme, verlaufen ihre Überlegungen jenseits religiöser Einordnungen oder politischer Konstellationen. Sie sind grundsätzlicher, gehen tiefer. Auch wenn der Krieg vorüber ist, so hat für sie "der Tod gesiegt". Ihrem Blick entgeht nicht, welche Auswirkungen Grausamkeit, Eingeschlossensein und Verzweiflung auf die einzelnen Menschen haben; wie sehr das Leben in der Stadt sich verändert hat, auch weil die Straße ausschließlich zur Männerdomäne wurde.
Die Briefe, die Etel Adnan zwischen 1990 und 1992 schreibt, kommen nicht nur aus Beirut, aber auch in Barcelona oder Rom, in Berlin oder Aix en Provence verschränken sich aktuelle Beobachtung und Erinnerung, Wissen und Spekulation. Schweifend Verbindungen herzustellen, bedeutet für ihren wachen, analytischen und optisch geschulten Geist: "denken". Genau dabei können wir ihr in ihren eigensinnigen Briefen zuschauen und werden mitgerissen von ihrer intellektuellen Kraft, ihren Emotionen, den poetischen Bildern und dem Willen die Welt zu begreifen.
Die Reise an unbekannte Orte gestaltet sich stets auch als Reflexion über Eigenes und Fremdes, und über Erfahrungen, die Seinsweisen begründen. Wo Frauen weder Autofahren noch gefahrlos einen Nachbarn grüßen dürfen, wie anders erleben sie die Welt, fragt sich die Autorin und damit ihren Adressaten, einen im Pariser Exil lebenden Freund und Publizisten.
Sie sollte ihm ihre Sicht auf die Frauen, auf das Leben als Frau, auf den Feminismus vermitteln. Und musste feststellen, dass sie nicht in Statements verfallen kann, sondern immer zuerst ausgehend von einer Umgebung schreibt und bezugnehmend auf einen anderen Fixpunkt, auf das Leben in Beirut.
Zwischen Paris und Kalifornien lebend, gehört Etel Adnan zu den rund zehn Millionen Auslandslibanesen, die mittlerweile überall in der Welt verstreut sind. Ihre Bücher betrachtet sie als "Häuser, die ich für mich baue". Allerdings sind es weder Rückzugs- noch Trostorte. Denn seit sie die Dimensionen der arabischen Welt in der Ferne, in Berkeley kennen gelernt hat, hat sie ein großes Thema, wurde früh schon eine warnende, prophetische Stimme.
Nachdem sie in den USA Philosophie gelehrt hatte, kehrte sie 1972 als Journalistin für die französischsprachige Zeitung Al-Safa in ihre Geburtsstadt zurück. Bereits 1970 entstand ein langes Gedicht "Der Express Beirut-Hölle": eine Warnung vor den drohenden Gefahren, der Zersplitterung in religiöse, politische und gesellschaftliche Einzelwelten.
Nach ihrem Roman "Sitt Marie-Rose" von 1977 erhielt sie Morddrohungen von den christlichen Falangisten und konnte nicht mehr publizieren. Die gnadenlose mit aller Gewalt durchgesetzte Loyalitätspflicht gegenüber der eigenen Religion war das Thema, denn die Hauptfigur, eine Christin, wird von ihrer eigenen Gemeinschaft ermordet, nachdem sie sich der muslimischen Seite angenähert hatte.
"Der Krieg ist vorüber und ist es nicht."
Das schreibt die Schriftstellerin 1992. Heute herrscht erneut Krieg in Beirut. Und wieder halten Briefe die Verbindung: aktuelle Zustandsberichte in den zahllosen Internetblogs oder reflektiertere, in westlichen Zeitungen abgedruckt. Doch die Dimensionen, die Etel Adnan eröffnet, haben nichts an Gültigkeit verloren.
Etel Adnan: Von Frauen und Städten
Aus dem Englischen übersetzt von Klaudia Ruschkowski
Edition Nautilus, Hamburg 2006
128 Seiten, 14,90 Euro