Reform an Haupt und Gliedern

Volkswagen sucht den Neuanfang

Ein VW Logo aufgenommen am 24.09.2015 im Gegenlicht in Wolfsburg (Niedersachsen).
Die Geschichte vom sauberen VW-Diesel war ein Märchen, wie sich jetzt herausgestellt hat. © picture alliance / dpa / Peter Steffen
Von Alexander Budde |
Die Geschichte vom sauberen VW-Diesel war ein Märchen. Der Volkswagen-Konzern bemüht sich nun um Schadensbegrenzung. Die Wolfsburger geloben schonungslose Aufklärung und werfen sich in Posen der Zerknirschung: Einblicke in einen tief verstörten Konzern.
Es war einmal ein Autobauer aus Wolfsburg, der wollte den Geschmack der US-Käufer für den Diesel wecken ... In seiner Kampagne hatte der VW-Konzern behauptet, dass seine Dieselautos wegen ihres vergleichbar geringen Schadstoffausstoßes besonders umweltfreundlich seien. In diesem Werbefilm geht eine Golf-Besatzung aus alten Damen vor dem Auspuff des Kleinwagens in die Knie. Dort unten reift die Erkenntnis, dass sie bislang dem falschen Riecher vertrauten. Denn so schmutzig wie gedacht, ist der Diesel ja gar nicht ...
Dann flog auf: Volkswagen hat elf Millionen Dieselmotoren des Typs EA 189 manipuliert – ein Konzernklassiker aus der in zahlreichen Modellen und Varianten verbauten TDI-Familie. Auch Sechszylinder-Motoren von VW, Audi und Porsche, darunter Neuwagen, bliesen bei Abgastests der amerikanischen Umweltbehörde EPA bis zu neunmal mehr gesundheitsgefährdende Stickoxide in die Luft als gesetzlich erlaubt. Fortgesetzter Betrug in der Oberklasse?
Womöglich ist VW mit dem jüngsten Eingeständnis von "Unregelmäßigkeiten" beim Ausstoß des Klimaschädlings Kohlendioxid den Prüfern aus Übersee nur zuvor gekommen. Denn die messen Schadstoffe auch unter realistischen Bedingungen – und drohen bei Verfehlungen mit empfindlichen Strafen.
"Und wenn Sie jetzt einfach mal auf Kick-down ... also, das Gaspedal durchtreten ... dann müsste der eigentlich umschalten, sehen Sie! Dann hat sich der Verbrenner nämlich dazu geschaltet ... Ein bisschen ruppig, weil wir jetzt auch provoziert haben ... dann haben Sie wirklich 'die Kraft der zwei Herzen' - sage ich auch immer so gerne - auf die Vorderachse geleitet!"
Rückblende: Oktober 2013, Wolfsburg, noch lächelt die Sonne vom Himmel. Der Reporter kommt langsam auf Touren: In nagelneuen Audi A3 e-tron – kräftig angespornt von Audi-Entwickle Oscar da Silva Martins, der grinsend den Beifahrer mimt. Im Plug in Hybrid - halb noch Verbrenner halb schon Elektro. Die Botschaft ist klar: Wieder einmal "Vorsprung durch Technik"!
"Sicher ist sicher! Dann kann nichts passieren! Schön, wir freuen uns, dass Ihnen das gefällt! Wenn Sie noch Fragen zum Exterieur, Interieur oder sonst irgendwie haben, können wir gern draußen auch klären ..."
Im System Volkswagen ist Widerspruch nicht vorgesehen
Zwei Männer lenken Volkswagen, damals vor zwei Jahren in Wolfsburg: der allgegenwärtige VW-Patriarch Ferdinand Piëch und dessen Zögling Martin Winterkorn. Ihr Führungsstil ist gelinde gesagt autoritär. Wer es damals schon wissen will, erfährt hinter vorgehaltener Hand, wie die mächtigen Männer Untergebene öffentlich abkanzeln, erfährt auch, wie schnell das Führungs-Duo Karrieren beendet - im System Volkswagen ist Widerspruch nicht vorgesehen.
Drei Jahre zuvor, beim Autosalon in Genf, hatte der damalige VW-Konzernchef Winterkorn verkündet, dass VW den CO2-Ausstoß seiner Autos bis 2015 um ein Drittel senken werde. Jetzt, im Oktober 2013, geben sich die Stars des Tech-Konzerns vor der versammelten Motorpresse die Ehre, um eine Art Öko-Bilanz zu ziehen. Das Elektro-Zeitalter ist angebrochen, frohlocken die Chefentwickler von Audi, Porsche sowie der Marke Volkswagen unisono:
"Es ist so, dass wir im Jahr 2020 mit unserer Flotte die 95 Gramm CO2-Emissionen erreichen wollen - das machen wir natürlich, indem wir gesamtheitlich an unseren Fahrzeugen arbeiten, indem wir die konventionellen Antriebe entsprechend verbessern. Technologien, die auf der einen Seite effizient sind, aber keinen Spaß machen, sind schwer am Markt durchzusetzen. Für einen Porsche muss der Fahrspaß immer ganz oben stehen! Wir werden schon 2015 in der Flotte des Konzerns die CO2-Anforderungen des Gesetzgebers deutlich unterschreiten und unserer Pflicht werden wir sauber nachkommen!"
Ulrich Hackenberg, Wolfgang Hatz und Heinz-Jakob Neusser – in besseren Zeiten als geniale Erfinder gefeiert, sind seit Wochen suspendiert. Denn offenbar ließen sich Abgasnormen und Kostenvorgaben nur mithilfe einer Software einhalten, die auf dem Prüfstand den Testmodus erkennt - und dann die Motorsteuerung so verändert, dass weniger Stickoxide entweichen. VW gestand überdies, den Behörden bei der Zulassung einiger Modelle zu niedrige Angaben zu Verbrauchswerten gemeldet zu haben – und damit auch zur tatsächlichen CO2-Belastung, denn die steigt mit dem Spritverbrauch.
VW-Chef Martin Winterkorn übernimmt die Verantwortung für die Abgasaffäre und tritt zurück.
Martin Winterkorn - "Fehler einiger weniger"?© picture alliance / dpa / Julian Stratenschukte
Kurz vor seinem Rücktritt als Konzernchef Ende September hatte Martin Winterkorn den größten Skandal der Firmengeschichte noch als "bezeichnet.
"Die Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren unseres Konzerns widersprechen Allem, für was Volkswagen steht! Auch ich habe zum jetzigen Zeitpunkt die Antworten auf alle Fragen, aber wir sind dabei, die Hintergründe schonungslos aufzuklären!"
Winterkorn deutete damals an, ein kleiner Kreis aus Ingenieuren und Managern auf niederen Befehlsebenen könnte den sonst so streng hierarchisch geführten Weltkonzern mit kriminellen Eigenmächtigkeiten überrumpelt haben. Tatsächlich lässt Volkswagen den Betrug derzeit untersuchen – Experten der US-Kanzlei Jones Day befragen Ingenieure und Manager, sichten Korrespondenz und Firmenunterlagen. Techniker, die vor der Revision auspacken, dürfen bleiben. Ein Whistleblower aus der Forschungsabteilung soll die neue Konzernspitze um den früheren Porsche-Chef Matthias Müller erst auf die Fälschung der CO2-Werte von weltweit mindestens 800.000 Fahrzeugen hingewiesen haben.
An einem Mittwoch Ende Oktober drängt sich ein Pulk aus Kameraleuten und Fotografen in einer Wolfsburger Werkshalle, wo gerade nagelneue VW-Golf mit Elektroantrieb vom Band laufen. Mit seinem demonstrativen Besuch des Stammwerks will der neue Konzernchef Müller die Moral heben. Er tut, was man in dieser Lage tun muss: Optimismus verbreiten. Müller stellt fest ...
"... dass ich sehr froh bin, dass der Volkswagenkonzern in dieser Situation so eng zusammenrückt, dass es eine Solidaritätsgemeinschaft gibt zwischen allen Marken, zwischen allen Hierarchiestufen und am Ende zwischen allen Mitarbeitern!"
Für all die betrogenen Autokäufer wirft sich der Konzern in Posen der Demut und Zerknirschung. Im Windschatten der Krise geht VW nun ein überfälliges Projekt an, das schon lange beschlossen ist: Im Zuge eines großangelegten Konzernumbaus will das Team um Konzernchef Müller den Einfluss von der mächtigen Zentrale in Wolfsburg verstärkt an die einzelnen Marken und Regionen delegieren. Kurze Entscheidungswege sollen der neuen Führung mehr Luft verschaffen, um über die großen Linien nachzudenken. Dazu gehört erstmals auch die Berufung eines Vorstands für die sogenannte Compliance: Die frühere Verfassungsrichterin und Daimler-Vorstandsfrau Christine Hohmann-Dennhardt soll aus der Führungsetage heraus darüber wachen, dass sich alle Mitarbeiter an die Gesetze, Moral und interne Spielregeln halten.
"Es ist ein Veränderungsprozess der stattfinden muss - und ein ganz einfacher und pragmatischer Weg ist das Vorleben von oben nach unten, also, die Mitarbeiter in einen offenen und ehrlichen Meinungsbildungsprozess zu involvieren - und damit ein Gefühl zu geben, dass wir ein transparentes, zukunftsorientiertes, junges Unternehmen sind!"
So beschwört VW-Konzernchef Müller den längst überfälligen Kulturwandel. Unterdessen drohen wohl immer neue Enthüllungen.
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