Was Schüler lernen sollten
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Müssen Schülerinnen und Schüler alles wissen, was in den Lehrplänen steht? Bloß nichts streichen, findet der Pädagoge Josef Kraus: Junge Menschen wüssten immer weniger. Die Pädagogin Simone Fleischmann plädiert für kompetenzorientiertes Lernen.
Ob Photosynthese, e-Funktionen oder Französische Revolution – was Kinder wissen und können sollen und was sie dafür in der Schule lernen müssen, wird in Lehrplänen festgehalten. Für jedes Fach, jede Klasse und jedes Bundesland gibt es jeweils einen eigenen Lehrplan: jede Menge Wissen, das in Zeiten des Distanzunterrichts vermutlich nicht annähernd unter die Schülerinnen und Schüler gebracht werden konnte. Auch deshalb diskutieren Bildungsexperten erneut darüber, ob man denn all dieses Wissen wirklich braucht. Kann man einen Teil davon auch einfach entrümpeln?
Kurse für angehende Studierende
Josef Kraus, Pädagoge, Psychologe und ehemaliger Präsident des deutschen Lehrerverbands, hält von einer Entschlackung der Lehrpläne nichts: "Weil ich einfach feststelle, dass unsere jungen Leute immer weniger wissen und können." Ausbilder und Hochschulen teilten diesen Eindruck. Viele Hochschulen richteten inzwischen Kurse für angehende Studierende ein, um ihnen das notwendige Wissen zu vermitteln, was sie eigentlich bereits aus der Schule mitbringen sollten. Auch das historische Wissen sei bei jungen Leuten leider inzwischen miserabel.
"Ich möchte, dass zum Beispiel junge Leute, die in eine Ausbildung gehen, die ins Studium gehen, die deutsche Sprache einschließlich Grammatik, Syntax und Rechtschreibung bestens beherrschen, und einen Überblick – wenigstens beim Abitur – über deutsche Literatur haben", plädiert Kraus.
Fächerübergreifendes Lernen
Simone Fleischmann, Pädagogin und Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, war unter anderem an der Neufassung der bayerischen Lehrpläne vor ein paar Jahren beteiligt. Sie spricht sich für kompetenzorientierte Lehrpläne aus, die "state of the art" seien. Gelerntes Wissen anwenden zu können, sei deutlich höherwertiger als Multiple-Choice-Tests richtig ankreuzen zu können.
"Exemplarisches Lernen, phänomenologisches Lernen ist das, was Jugendliche und Kinder interessiert", betont Fleischmann. "Sie fragen nach: Warum entsteht ein Regenbogen?"
In der Realschule stehe in der achten Klasse beispielsweise auf dem Lehrplan, warum Kriege entstünden. Für die Pädagogin ist ein solches Unterrichtskonzept, das nicht in erster Linie auf das Lernen von Jahreszahlen abzielt, eine Chance: um aktuelle kriegerische Auseinandersetzungen auf der Folie dessen, was historisch passiert sei, verstehen zu lernen.
Da unser Leben ganzheitlich sei, bräuchten wir ein fächerübergreifendes, projektorientiertes und phänomenologisches Lernen: "Die Welt tickt nun mal nicht in Fächern."
Josef Kraus steht dem projektorientierten Lernen skeptisch gegenüber. Beispielsweise könne man den menschengemachten Klimawandel am besten multiperspektivisch durch Lehrer verschiedener Fächer behandeln: Physik, Geografie, Biologie und Geschichte. "Den Tausendsassa-Lehrer, der alle diese Aspekte in einem Projekt vertieft behandeln kann, den gibt es nicht."
Ferien kürzen und Samstagsunterricht
Seit der ersten Coronawelle hätten Schülerinnen und Schüler – je nach Jahrgangsstufe – teilweise mehr als 800 Stunden Präsenzunterricht weniger gehabt, sagt Kraus. Um Freiräume in der Unterrichtsgestaltung zu gewinnen, müssten also zunächst einmal Unterrichtsstunden gewonnen werden: Dafür seien auch Kürzungen der Ferien, vorübergehender Samstagsunterricht oder ein freiwilliges zusätzliches Schuljahr für einen Teil der Schüler denkbar.