Reformator

Was wir von Luther heute noch lernen können

Denkmal des Reformators Martin Luther (1483-1546) mit der Stadtkirche im Hintergrund in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt).
Denkmal des Reformators Martin Luther in Wittenberg © dpa / picture alliance / Peter Endig
Von Knut Berner · 02.04.2015
Für manche ist Martin Luther geradezu ein protestantischer Heiliger, für andere ein Reaktionär und Antisemit. Doch diese Debatten verstellen den Blick für das eigentliche Anliegen des Reformators, meint der Theologe Knut Berner.
Bedeutende Persönlichkeiten verdammen die Menschen dazu, sie zu interpretieren. Das trifft auch auf Martin Luther zu. Die Reformation im 16. Jahrhundert, die zur Entstehung der Evangelischen Kirchen und zur Trennung vom Römischen Katholizismus führte, ist mit seinem Namen verbunden. Und angesichts des Reformationsjubiläums 2017 gibt es eine Fülle von Interpretationen - und Einseitigkeiten.
Für die einen ist er eine Kultfigur, fast ein protestantischer Heiliger, dessen Namen man nicht oft genug beschwören kann. Ausgerufen wird die Lutherdekade, es gibt eine Lutherbeauftragte, Pilgerfahrten zu Lutherstädten und Fanartikel wie Socken, auf denen das berühmte Zitat abgedruckt ist: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders".
Für die anderen ist Luther völlig überschätzt. Er sei glühender Antisemit, reaktionärer Verehrer von Obrigkeit und ein Feind der Bauern gewesen. Der Biologe Richard Dawkins behauptet, Luther habe in boshafter Weise die Vernunft verdammt. Derselbe Luther also, der von seinen Gegnern verlangte, ihn entweder durch die Bibel oder durch die Vernunft zu widerlegen.
Soll man Kafka nicht lesen, weil er gerne ins Bordell ging?
Ihn und sein Werk zu verstehen, misslingt, wenn Einzelaspekte verabsolutiert, die Komplexität des Denkens verkürzt und historisch Bedingtes nicht im Kontext der Zeit bewertet wird.
Wie relevant ist es, dass er viel Bier getrunken, deftige Tischreden gehalten und sich für die Tötung eines behinderten Kindes ausgesprochen hat? Stellt das seine theologischen Leistungen infrage? Soll man Kafka nicht lesen, weil der Autor gerne ins Bordell ging oder Dostojewskijs Romane gering schätzen, weil ihr Verfasser spielsüchtig war?
Glorifizierung oder Ablehnung einer Person tendieren dazu, Anliegen zu vergessen, die diesem Menschen wichtig waren. Dazu gehört bei Luther die Lehre, dass der Mensch nicht in seinen Taten aufgeht, deren Tragweite er ohnehin nicht abschätzen kann, sondern von Gott anerkannt und geliebt wird, ohne dass er sich dafür anstrengen muss. Für eine Leistungsgesellschaft ist eine solche Sicht recht provokant.
Dazu gehört ferner das Insistieren auf der kritischen Selbstbildung des Menschen, der Aufforderung zum Selber-Denken, die nicht erst im Zeitalter der Aufklärung proklamiert wurde. Zum Bruch mit dem Katholizismus kam es, weil Luther die Unvertretbarkeit des Individuums hervorhob: Zwischen Gott und Mensch bedarf es keiner vermittelnden Instanzen wie Priester, Päpste, Kirchenvorstände.
Bildung ist die Schwester des Glaubens
Alle sollen selber urteilsfähig werden und sich zum Evangelium verhalten, was auch zur Ablehnung von Glauben und Kirche führen kann. Es hilft einem im Leben und im Sterben nichts, wenn man sich auf die Ansichten anderer verlässt, sich in existentiellen Dingen selber unmündig macht oder Bildung mit einem Stichwortwissen à la Günther Jauch verwechselt.
Luther zielt auf den in weltlichen und geistlichen Angelegenheiten mündigen Einzelnen - eine Revolution, da im Spätmittelalter vielgestaltige Autoritäten über die Stellung anderer Menschen entschieden haben.
Bildung ist die Schwester des Glaubens. So wurden im Reformationszeitalter Schulen gegründet und die Bibel übersetzt, damit jeder sich mit komplexen Thematiken vertraut machen kann.
Luthers Namen muss man nicht beschwören, besser seine Schriften lesen. Und sich so über den Reformator ein eigenes Urteil bilden. Vor allem darüber, worauf es ihm ankam: Die Beantwortung der Frage, wie ich mich zum gnädigen Gott verhalte.
Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Knut Berner ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Knut Berner, Professor für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.© privat
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