Kein Agieren auf Augenhöhe
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„Reform“ ist für katholische Traditionalisten ein schwieriger Begriff. Ein Blick in die Geschichte zeigt allerdings, dass sich die katholische Kirche immer wieder reformiert hat. Und zwar auch in Fragen, die zentrale Glaubenswahrheiten betreffen.
Adam und Eva nackt im Paradies. So fing alles an. Sie liebten sich, sie bekamen Kinder. Und von ihnen, ihren Kindern und Kindeskindern stammt die gesamte Menschheit ab. So steht es zumindest in der Bibel. So hat es auch die katholische Kirche noch bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts unter dem Schlagwort "Monogenismus" gelehrt. Bis sie sich dann irgendwann heimlich, still und leise von dieser Lehre verabschiedete.
Unliebsame Lehren stillschweigend vergessen
Der katholische Theologe Michael Seewald ist Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster. Er erklärt:
"Papst Pius XII. hatte diese Lehre noch im Jahr 1950 mit hoher Verbindlichkeit eingeschärft. Den Päpsten nach Pius XII. war das dann eher unangenehm, und im Pontifikat Pauls VI. lässt sich eine stille Distanznahme gegenüber dem Monogenismus beobachten, und diese Lehre taucht zum Beispiel im Katechismus der Katholischen Kirche von 1992 überhaupt nicht mehr auf."
Die Strategie des stillschweigenden Vergessens unliebsamer Lehren ist Seewald bei seinen Forschungen in der Theologiegeschichte öfter begegnet. Und noch ein anderer Weg sei bei Papst und Bischöfen sehr beliebt, um Neuerungen unter den Teppich zu kehren, beschreibt Seewald:
"Das Lehramt tut sich natürlich schwer damit einzugestehen, dass auch offizielle katholische Positionen sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert haben und korrigiert wurden. Deswegen ist eine sehr beliebte Strategie, mit solchen Veränderungen umzugehen, die der Innovationsverschleierung. Also, de facto nimmt man eine neue Position ein, man verschleiert aber zugleich, dass eine Positionsveränderung stattfand."
Spätes Bekenntnis zu den Menschenrechten
Im Jahr 2011 sprach Papst Benedikt XVI. vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestags von den unveräußerlichen Menschenrechten. Dazu zählt auch die Religions- und Gewissensfreiheit:
"Von dieser vorchristlichen Verbindung von Recht und Philosophie geht der Weg über das christliche Mittelalter in die Rechtsentfaltung der Aufklärungszeit bis hin zur Erklärung der Menschenrechte und bis zu unserem deutschen Grundgesetz, mit dem sich unser Volk 1949 zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekannt hat."
Seewald kommentiert: "Papst Benedikt XVI. hat in einer Rede vor dem Bundestag eine sehr gerade Linie gezogen von der Antike über das Christentum über die Aufklärung bis hin in unsere Zeit. Eine Linie auf der so etwas wie universale Menschenrechte sozusagen gradlinig durchgesetzt wurden. Und diese gerade Linie ist eine historische Fiktion. Tatsächlich hat die katholische Kirche sich gegenüber der Idee universaler Menschenrechte lange sehr ablehnend verhalten."
Entscheidende Wende mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Erst in den 1960er-Jahren, im Zweiten Vatikanischen Konzil, hat sich die Kirche vollständig zu Religions- und Gewissensfreiheit bekannt und damit ihre bisherige Position korrigiert. Eine Art kopernikanische Wende.
Und das ist nicht der einzige Umbruch, den dieses Konzil bringt. Die katholische Kirche ändert grundlegend ihr Verhältnis zum Judentum und zu anderen nichtchristlichen Religionen, in denen sie fortan auch "Wahres" und "Heiliges" anerkennt. Auch die Messfeier wird grundlegend reformiert: Sie wird nicht mehr auf Latein zelebriert, sondern in der jeweiligen Landessprache. Der Priester steht nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde, sondern wendet sich ihr zu.
"Der Blick auf Lehrentwicklung, also auf die Darstellung der Glaubenslehre in ihrer zeitlichen Entfaltung, hat durchaus eine befreiende Wirkung", sagt Seewald. "Nicht, weil alles auf einmal der Beliebigkeit anheimgegeben würde, aber weil man durchaus sieht, dass manche Festlegung am Ende nicht so heiß gegessen wird, wie sie gekocht wird."
Sexualmoral ist schwer reformierbar
Was in der Vergangenheit möglich war, müsste auch heute möglich sein, findet Seewald und sieht erheblichen Spielraum für Veränderung. Zumindest in der Theorie. In der Praxis steckt die katholische Kirche im Reformstau.
Beispiel Sexualmoral: Seit Jahren gibt es die Forderung, dass gleichgeschlechtliche Paare in der Kirche nicht mehr ausgegrenzt werden, und dass es die Möglichkeit geben solle, diese Partnerschaften zu segnen. Doch das katholische Lehramt tut sich schwer mit dieser Forderung, erklärt Georg Bier, Professor für Kirchenrecht an der Universität Freiburg:
"Der Katechismus der katholischen Kirche spricht davon, dass Sexualität außerhalb der Ehe in sich schlecht ist. Ihren einzig legitimen Ort hat Sexualität in der Ehe, und die Ehe ist nach kirchlichem, Verständnis eine Angelegenheit zwischen Mann und Frau, zwischen einem Mann und einer Frau. Das hängt auch damit zusammen, dass Sexualität stark fortpflanzungsorientiert verstanden wird. Sexualität ist da, damit die Menschen sich fortpflanzen, und auch die Fortpflanzung geschieht legitimerweise nur in der Ehe."
Demnach kann sich die Kirche gleichgeschlechtlichen Paaren schwerlich öffnen, ohne sich über den Katechismus hinwegzusetzen. Und der Katechismus ist nunmal seit seiner Neufassung durch Johannes Paul II. das maßgebliche Lehrbuch für den Glauben der katholischen Kirche – allerdings kann er durch den Papst auch verändert werden.
Keine Augenhöhe beim Synodalen Weg
Die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist eines der Themen, die im aktuellen Reformprozess des "Synodalen Wegs "zwischen deutschen Bischöfen, Priestern und katholischen Gläubigen diskutiert werden. Dass sich hier etwas bewegen könnte, glaubt Kirchenrechtler Bier jedoch nicht. Allein schon deshalb, weil die Bischöfe die anderen Teilnehmer überstimmen können:
"Wenn es um die Beschlussfassung geht, haben die Bischöfe in der Synodalversammlung eine Sperrminorität. Wenn ein Drittel der Bischöfe dagegen ist, kommt ein Beschluss in der jeweiligen Frage nicht zustande. Wenn ich von diesem Ende her denke, kann ich nicht wirklich sehen, dass die Beteiligten der Synodalversammlung tatsächlich auf Augenhöhe agieren."
Gleichberechtigung gibt es in der katholischen Kirche eben nicht, das ist Teil des Problems. Und auch daran wird der "Synodale Weg" nichts ändern. Denn selbst wenn sich in Deutschland alle Bischöfe über eine Reform einig wären, Veränderungen zentraler Fragen der Kirche können nur durch den Papst und das Bischofskollegium weltweit geschehen.
Für große Veränderungen braucht es Rom
Mit Zustimmung aus Rom und der Weltkirche wäre vieles von dem, was aktuell diskutiert wird, denkbar, sagt Bier: Veränderungen bei der Sexualmoral, bei der Stellung von Laien in der Kirche oder auch beim Zölibat, also der Verpflichtung von Priestern zur Ehelosigkeit. In der hitzig diskutierten Frage, ob auch Frauen in der katholischen Kirche zu Priesterinnen geweiht werden können, sei das kirchenrechtlich letzte Wort jedoch bereits gesprochen, so Bier:
"Da sehe ich ganz klar keinen Spielraum, weil nach dem Selbstverständnis der katholischen Kirche, das der Papst auch jüngst nochmal bekräftigt hat, in dieser Frage eine endgültige Entscheidung gefallen ist. Die katholische Kirche spricht hier von einer unfehlbar vorgelegten, einer irrtumsfreien Lehre. Und Papst Johannes Paul II. hat 1994 erklärt, dass hier endgültig feststehe, dass die Kirche nicht die Kompetenz und die Vollmacht habe, Frauen zu Priesterinnen zu weihen."
Es gibt in der katholischen Kirche den Begriff der "unfehlbaren Lehre", auch wenn davon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht wird. Aber die Glaubenskongregation in Rom hat erst 2018 nochmal klargemacht, dass die Entscheidung zum Frauenpriestertum dazu zähle. Und selbst wenn einige Theologinnen und Theologen anzweifeln, ob eine solche Frage überhaupt unfehlbar entschieden werden kann – es müsste schon sehr viel passieren, damit die Kirche sich davon wieder verabschiedet.
Die Kirche soll sich ständig erneuern, dieses uralte Motto ist in der katholischen Kirche auch heute noch gültig. Aber in manchen Bereichen stößt das offenbar an Grenzen.