Regenerative Ökonomie - Mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie
Von Caspar Dohmen
Es sprachen: Rosario Bona und Sara Sommerfeld
Ton: Alexander Brennecke
Regie: Frank Merfort
Redaktion: Martin Hartwig
Regenerative Ökonomie
Das Potenzial von Bienen nutzen: ein Weg zur regenerativen Landwirtschaft. © Deutschlandradio / Caspar Dohmen
Mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie
30:00 Minuten
Unsere industrielle Wirtschaftsweise zerstört die natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten. Das müsste nicht sein: Es gibt Ansätze für eine Wirtschaftsweise, bei der die natürlichen Ressourcen nicht weiter schwinden, sondern wieder aufgebaut werden.
Der toskanische Sommer fährt noch einmal alles auf: Kastanien, wilde Brombeeren, Akazien, Klee.
"Das ist eine neue Familie, die ist dieses Jahr neu entstanden", sagt Giovanni Faini und hält sich mit Rauch die Bienen vom Leib.
"Das ist eine neue Familie, die ist dieses Jahr neu entstanden", sagt Giovanni Faini und hält sich mit Rauch die Bienen vom Leib.
Der Imker steht mit seinem Kollegen Umberto Paperini vor einem bunten Holzkasten. Behausung eines der 180 Bienenvölker der Fattoria la Vialla, einem der größten biodynamischen Landwirtschaftsbetriebe in Europa. Die Weiden, Felder und Wälder des Familienunternehmens sind ein Bienenparadies, viele Blumen, viele Sträucher, Pestizide verboten. Allerdings sei auch hier nicht alles in Ordnung, der Klimawandel mache sich bemerkbar, sagt Umberto:
"Im Januar war schon fast Frühjahr, der März war wunderbar für die Bienen, aber im April und Mai kam der Winter zurück. Da hatte es minus drei, minus fünf, minus sechs Grad und dann erfrieren die Blüten."
Das Nahrungsangebot der Bienen schrumpfte.
Naturwerte aufbauen, etwa durch Bienen
Umberto öffnet den Bienenstock und zieht einen Holzrahmen mit Honigwaben heraus.
"Für die Bienen ist das Leben auf la Vialla aber stressfrei." Das sei wichtig, sagt der Imker, und deswegen würden sie nur Honig ernten, wenn die Bienen genügend produzierten. Unabhängig von der Honigproduktion hätten die Bienen eine elementare Rolle im Ökosystem.
"Bestäubung ist existenziell für alle Pflanzen."
Die 150 Menschen, die in dem Betrieb auf 1600 Hektar Landwirtschaft betreiben und Nahrungsmittel herstellen, arbeiten nicht gegen, sondern mit der Natur. Das stärkt die Artenvielfalt. Mit ihrer Art der Landwirtschaft bauen sie wertvollen Humus auf und binden mehr klimaschädliches CO2, als sie abgeben. Es werden also Naturwerte aufgebaut. So etwas spielt in der gängigen wirtschaftlichen Betrachtung aber keine Rolle.
"Ökonomisches Denken bezieht die Natur als Produktionsfaktor nicht ein", sagt der angesehene Umweltökonom Sir Partha Dasgupta der BBC, als er Anfang Februar seinen Bericht über die "Ökonomie der Artenvielfalt" an die britische Regierung übergibt. Auf dem Cover ein Stück Waldboden und ein Fliegenpilz. Innen erschreckende Zahlen: Während sich das Sachkapital weltweit von Anfang der 1990er-Jahre bis Mitte der 2000er-Jahre verdoppelt hat und das Humankapital um 13 Prozent stieg, gab es ein fettes Minus beim Naturkapital. Ein Rückgang von 40 Prozent der Naturwerte.
Die Menschheit sei daran gescheitert, "eine nachhaltige Beziehung zur Natur aufzubauen", schreibt der Wissenschaftler. Statt einer die Natur zerstörende, bräuchte es eine die Natur aufbauende Ökonomie - eine regenerative Ökonomie.
"Regenerative Ökonomie ist für mich ein Begriff, den ich vor ungefähr zehn Jahren begann zu verwenden", sagt der Wissenschaftler, Aktivist und Unternehmer Daniel Dahm.
"Mit diesem Begriff habe ich auf den schrittweisen Ausgleich des sogenannten Earth-Overshoots, der Biokapazität des Planeten Erde, des Verbrauchs der Biokapazität des Planeten Erde reagiert."
Denn seit dem Jahr 1970 verschleißen die Erdenbewohner ihre natürlichen Lebensgrundlagen, weil sie seitdem jedes Jahr mehr Natur verbrauchen, als sich im gleichen Jahr regenerieren kann. Dabei spielt die Landwirtschaft eine große Rolle.
"Die Erde, auf der wir stehen, ist ja die, gegen die wir mit dem konventionellen Landwirtschaften arbeiten. Die konventionelle, das bedeutet also die industrielle, auf Monokulturen und maximale kurzfristige Erträge orientierte Agrarwirtschaft arbeitet gegen den Boden. Sie zehrt die Bodenfruchtbarkeit aus und beschädigt dabei Mikroflora und Mikrofauna und im Gesamten das Zusammenspiel der Mikrobiome, das heißt der Kleinstlebensräume, die im Boden miteinander verbunden sind und so Fruchtbarkeit erschaffen."
Energiefresser konventionelle Landwirtschaft
In einer Handvoll Ackerboden leben mehr Kleinstorganismen als Menschen auf dem Planeten. Sie bilden einen wichtigen Teil des Humus, also jener dünnen Schicht, auf dem unsere Nahrung wächst. Eigentlich müsste die Menschheit sorgsam mit den Böden umgehen. Denn nur ein gutes Drittel der Fläche ist für die Landwirtschaft geeignet und davon wiederum nur ein Drittel für eine intensive Landwirtschaft.
"Landwirtschaft sollte eigentlich regenerativ sein", meint Hans Rudolf Herren, der in der Schweiz auf einem Bauernhof aufwuchs, später lange in Afrika zu Insekten forschte und heute in den USA lebt und Präsident der NGO Millennium-Institute ist. Herren, der für seine Forschung über natürliche Schädlingsbekämpfungsmethoden 2013 den alternativen Nobelpreis erhielt, ist nicht aus romantischen oder ideologischen Gründen gegen die industrielle Landwirtschaft, sondern aus energetischen. Sie habe schlicht keine Zukunft, weil sie mehr Energie für den Antrieb von Maschinen oder die Produktion von Kunstdünger oder Herbiziden verschlinge, als am Ende an Nahrungsmittelenergie herauskomme.
Umgekehrt sei es im Biolandbau. Herren war Co-Vorsitzender des 400 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen umfassenden Weltagrarrats. Dessen für die Vereinten Nationen angefertigter Bericht machte 2008 Furore – auch wegen der klaren Forderung nach einem Paradigmenwechsel weg von einer industriellen hin zu einer biologischen Landwirtschaft.
"Es geht vor allem um den Boden und die Bodenfunktionen, das Leben im Boden. Bei Landwirtschaft denkt man eigentlich, das ist regenerativ, aber eben nicht mehr, wie es sein sollte. Und das wiederherzustellen, ist eben die große Arbeit heute."
Man dachte, man kann es besser machen als die Natur
Seit gut 10.000 Jahren betreiben Menschen Landwirtschaft - im Vorderen Orient beginnend wurde sie zum größten Flächennutzer. Heute werden 37 Prozent der weltweiten Landfläche bewirtschaftet. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Europa Hungersnöte, etwa in Irland, Schweden oder Finnland.
Die Industrialisierung – der Einsatz von Maschinen, von Kunstdünger und Pestiziden sowie die Einführung neuer Sorten ließen die Ernten explodieren. Man sprach von der grünen Revolution. Die globale Agrarproduktion wuchs deutlich schneller als die Bevölkerung. Aber die Nebenwirkungen sind gewaltig. Pestizide töten neben Schädlingen auch wertvolle Insekten. Dünger lässt nicht nur Nutzpflanzen sprießen, sondern vergiftet auch das Grundwasser.
"Biologisch hat man diese Ökosystemdienstleistungen, die gratis sind, die sind präsent, ob es über die Bestäubung geht von den Bienen, über Nährstoffzyklen im Boden, natürliche Schädlingsbekämpfung, die ist einfach da im normalen System drin. Das alles - auch den ganzen Wasserzyklus - hat man versucht zu ersetzen und zu verbessern. Weil man dachte, man kann das besser machen als die Natur und da kann man auch noch Geld verdienen dabei, warum ändert man das nicht? Und so hat man, anstatt diese natürlichen Prozesse zu regenerieren und zu fördern, sie beiseitegelassen und so zum Teil zerstört, um dann künstlich sie wieder in das System reinzubringen."
Synthetische Dünger als "Droge" für den Boden
Synthetische Dünger würden wie eine "Droge auf die bearbeiteten Böden wirken", hieß es in einer Fortschreibung des Agrarberichts 2013. Die natürliche Fruchtbarkeit, insbesondere der Humusaufbau werde verhindert, die Böden ermüdeten, versauerten und bräuchten entsprechend höhere Dosen von Mineraldünger. Landwirtschaft vernichtet sogar ihre Existenzgrundlage: den Boden. Wind und Wasser tragen jedes Jahr mehr als 24 Milliarden Tonnen der Erdkrume fort. Weltweit sind schon 20 bis 25 Prozent der Böden erodiert.
"Das muss nicht so sein, sagt Hans Rudolf Herren. Die Natur selbst habe effektive Mechanismen, die man wirken lassen solle. Und die Landwirte hätten über die Jahrtausende ein Wissen entwickelt, wie die Bodenfruchtbarkeit erhalten werden kann.
"Go right to Roundup herbicide. For top control and a rock bottom price." So warb Monsanto in den 90er-Jahren für sein Unkrautvernichtungsmittel. Als Roundup oder als Glyphosat vermarktet, ist es ein Weltbestseller. 2018 übernahm Bayer das US-Unternehmen, gegen das eine Vielzahl Menschen geklagt haben, weil sie überzeugt davon sind, dass sie krank sind wegen Glyphosat. Bayer sieht die Übernahme als einen strategischen Schritt im globalen Wettbewerb.
"Als Folge der Übernahme ist Bayer heute das führende Unternehmen im Agrarbereich", sagt Bayer-Vorstandschef Werner Baumann bei der Hauptversammlung 2019 in Bonn. Er spricht an dem Tag über die starke Stellung des Unternehmens in dem Markt für chemische und biologische Pestizide, traditionelles und gentechnologisch verändertes Saatgut und gute Perspektiven für die Aktionäre.
Glyphosat - gefährliches Pestizid
Draußen protestieren Menschen gegen Glyphosat, auch Schüler von Fridays for Future, darunter Theo: "Ich bin heute auf der Demo, um der Benutzung von vielen gefährlichen Pestiziden ein Ende zu setzen."
Ein Aktivist spricht auf der Ladefläche eines kleinen Lkws über das Gegenmodell: die agrarökologische Landwirtschaft.
"Es gibt Vorbildländer und -staaten wie zum Beispiel Österreich mit knapp 25 Prozent Ökolandbau. Aber auch Sikkim, ein Bundesstaat in Indien, der hundert Prozent Ökolandbau umgesetzt hat. In diesen Gebieten kommen die Leute nicht vor Hunger um. Im Gegenteil, es gibt ausreichend zu essen und die Produktionsmöglichkeiten der Zukunft werden gesichert."
Drinnen erklärt der Bayer-Chef Baumann: "Unsere Geschäfte sind darauf ausgerichtet, zur weltweiten Ernährung mit ausreichenden und hochwertigen Nahrungsmitteln beizutragen."
Vandana Shiva, Wissenschaftlerin, Ökofeministin, Trägerin des Alternativen Nobelpreises spricht nicht von Pestiziden, sondern von Gift. Ihr Engagement für eine regenerative Landwirtschaft begann 1984. Damals protestierten Kleinbauern im Punjab:
"Die Bauern protestierten gegen die Schäden, die die grüne Revolution angerichtet hatte: die Zerstörung von Böden, die Zerstörung des Wassers, die Zerstörung der bäuerlichen Souveränität, die Ausbreitung von Krebserkrankungen. Im gleichen Jahr starben in der Stadt Bhopal infolge eines Unfalls in einer Pestizidfabrik von Union Carbide tausende Menschen."
Wenige Jahre später bekamen Konzerne dann die Patentrechte für genmanipulierte Samen. Sie verhießen höhere Ernten, aber die Bauern mussten nun jedes Jahr Saatgut und Pestizide kaufen. Viele Bauern verschuldeten sich. Deswegen gründete Vandana Shiva 1987 die Bewegung "Navdanya". Übersetzen kann man dies mit "Neun Pflanzenkulturen". Sie reichen, um die kollektive Ernährungssicherheit Indiens zu gewährleisten. Die Organisation richtete Saatgutbanken ein, lehrte Bäuerinnen und Bauern, ihr eigenes Saatgut zu ziehen und die Vorteile der agrarökologischen Landwirtschaft. Mehr als eine Millionen Menschen hätten sie im Laufe der Zeit geschult.
"Die Erde ist lebendig und regenerierbar. Für eine wahre Regeneration ist es notwendig bei der Arbeit die ökologischen Gesetze zu beachten. Wir kennen diese Gesetze. Wir kennen das Gesetz der Diversität. Die Natur arbeitet nie in Monokulturen. Oder das Kreislaufgesetz: Die Natur kehrt immer wieder zurück. Das Kohlendioxid, das Tiere abgeben, nehmen Pflanzen auf und dieses Recycling geschieht ständig."
Bauer sein heißt: genau hinschauen
Chemikalien gehörten auch für Alceo Orsini zum Alltag. Zumindest während des ersten Teils seines Berufslebens als Leiter einer industriellen Hühnerfarm mit hunderttausend Federviechern.
"Wenn ich ein Problem hatte, studierte ich die Kataloge der Chemiekonzerne, um zu sehen, welches Produkt mein Problem lösen würde", sagt er.
Auf den Flächen der Fattoria la Vialla gedeihen Oliven, Weintrauben, Getreide, Gemüse. Es gibt Schafe, Pferde und Hühner einer seltenen Rasse. Wie im Bilderbuch. Anfang der 2000er-Jahre begann hier Teil zwei des Berufslebens von Alceo Orsini. In ihm, so erzählt der Chefagronom bei la Vialla, habe er gelernt, was es eigentlich bedeute, Bauer zu sein: genau hinzuschauen. Die Möglichkeiten der Natur zu erkennen, statt die Natur als notwendiges Übel zu betrachten. Die Natur finde selbst wieder zum Gleichgewicht, wenn etwa falscher Mehltau im Weinberg auftrete. Man müsse sie nur lassen.
"Jedes Mal, wenn man den Boden bearbeitet, stört man dieses natürliche Gleichgewicht von Mikroorganismen, Pilzen und Insekten. Wenn man den Boden pflügt, ist er nackt."
Und diese Nacktheit fördere die Mineralisierung und versetze den Boden praktisch in eine Schockstarre. Bei La Vialla greifen sie deswegen so wenig wie möglich in die Natur ein. Bei den Oliven praktisch gar nicht:
"Eigentlich bringen wir nur Kompost auf, der Grundgedanke ist einfach, den ganzen Hain fruchtbar zu halten. Also bearbeiten wir nicht jeden einzelnen Baum, sondern das ganze Ökosystem."
Die Fattoria - ein sich selbst versorgender Bauernhof
Im Weinberg arbeiten die Bauern zusätzlich mit Gründüngung: "Was wir praktisch aus dem Olivenhain und dem Weinberg an organischer Substanz holen, kompensieren wir mit dem, was wir dem Boden zurückgeben, sodass die Ernte von den Oliven oder die Ernte von den Trauben eine minimale Menge ist."
Sie ließen ein Labor im Abstand von fünf Jahren Bodenproben aus sieben ihrer Weinberge analysieren. Demnach stieg der Anteil des Humus, also der abgestorbenen organischen Substanz im Boden, von 2015 bis 2020 je nach Weinberg um elf bis 46 Prozent.
"Das ist eine sehr hohe Zahl", sagt der Agrarwissenschaftler Axel Don vom staatlichen Thünen-Institut in Braunschweig. Denn der Aufbau von Humus vollziehe sich nur sehr langsam. "Wir rechnen normalerweise mit einem halben Prozent Aufbau pro Jahr, wenn man das wirklich gut und ambitioniert betreibt. Das ist das, was man so erreichen kann."
Und der Aufbauprozess variiert abhängig vom Ausgangsgestein, Wasser und Temperatur.
Auf der Fattoria la Vialla wird das Olivenöl maschinell abgefüllt. Arbeiter schließen dann den Schnappverschluss per Hand. Als Fattoria bezeichnen die Menschen hier traditionell einen Bauernhof, der sich selbst versorgt. Aber diese Fattoria versorgt über ihren Direktvertrieb Menschen in vielen europäischen Ländern.
Rund hundert Produkte sind im Angebot: Pecorino, Salami, Pesto, Saucen, Olivenöl, Wein, Nudeln oder Cantucci. Für all das gab es keinen Masterplan. Vielmehr erwarben die Eheleute Giuliana und Piero Lo Franco, wohlhabende Textilfabrikanten aus dem nahegelegenen Arezzo, Anfang der 1970er-Jahre ein renovierungsbedürftiges kleines Landgut in der Chianti-Weinbauregion als Feriendomizil.
Aus einem Bauernhaus wurden mehrere Bauernhäuser. Aus dem Anbau zur Selbstversorgung entstand der Direktvertrieb. Weil sie für ihre Waren in Italien kaum Abnehmer fand, kutschierte die Familie ihre Produkte mit einem Fiat über die Alpen nach Deutschland. Heute gibt es dort Zwischenlager und eine moderne Logistik. Hergestellt werden die Waren aber fast alle in dem Betrieb bei Castiglion Fibocchi in der Toskana.
Biodynamische Landwirtschaft: in Kreisläufen denken
Aus einem Kloster stammt die Getreidemühle. Das Mehl wird auf althergebrachte Art gemahlen. Im Nebenraum werden Plätzchen gebacken. Eine Arbeiterin befördert das Gebäck vom Blech in eine Wanne und wendet es in Puderzucker.
Zwei Räume weiter eine metallisch blitzende Anlage. Hier werden die Saucen vollautomatisch produziert. Neben dem Hof in der Toskana bewirtschaftet der Betrieb Flächen in San Gemignano, Oltrépo Pavese und auf Sizilien. Die Leitung liegt in den Händen der drei Brüder Lo Franco: Gianni, Antonio und Bandino. Deren Eltern gehörten zu den Pionieren einer biologischen Landwirtschaft in Italien. Von Beginn an verzichteten sie auf chemische Pestizide und künstliche Düngemittel und förderten die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens durch traditionelle Methoden: Fruchtwechsel, Brachperioden, Gründüngung. 1997 stellten sie den Betrieb auf die noch strengere biodynamische Landwirtschaft um, deren Betreiber in Kreisläufen denken und handeln.
"Letztendlich ist dieser Kreislaufgedanke ein ganz wichtiger und wir haben ja in Deutschland auch und auch in der ganzen Welt eine immer stärkere Entkopplung zwischen Tierhaltungsregionen und Nichttierhaltungsregionen", sagt Agrarwissenschaftler Axel Don.
Etwa Argentinien mit den riesigen Rinderherden in der Pampa, Brasilien mit seinen riesigen Flächen für Sojaanbau, Nordamerika mit seinen gigantischen Flächen für Weizen und Mais oder Niedersachsen mit seiner Schweinemast. Damit wird Stallmist und Gülle zum Entsorgungsproblem:
"Man setzt diesen Dünger nicht mehr ein, weil er wertvoll ist für den Humusaufbau und mit seinem Stickstoff- und Phosphor und anderen mineralischen Komponenten für das Pflanzenwachstum, sondern man bringt ihn irgendwo aus, um ihn loszuwerden. Das ist ein Problem und davon müssen wir wegkommen. Und das macht so ein Demeterbetrieb vor, dass er diesen Dünger eben wirklich wertschätzt und zielgerichtet einsetzt, und da müssen wir auch in anderen Betrieben wieder hinkommen."
"Wir können zehn Milliarden Menschen ernähren"
Biodynamische Landwirtschaftsmethoden schonen die Natur. Aber Experten haben Zweifel, dass man mit einer solchen Art Landwirtschaft alle Menschen sättigen kann. Zwar zeigt eine Auswertung vorhandener Studien für Europa, Asien und Nordamerika eine ökologische Überlegenheit der Biobauern. Aber die Erträge auf den Biohöfen sind bis zu einem Viertel niedriger als auf den konventionellen Höfen. Weil im Jahr 2050 voraussichtlich 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben, müsste also in erheblichem Ausmaß Natur in Ackerland umgewandelt werden.
Forscher Hans Rudolf Herren widerspricht: "Wir könnten heute zehn Milliarden ernähren, das ist überhaupt kein Problem."
Er macht eine andere Rechnung auf: "Wenn die Leute sagen, mit dem Biolandbau produziert man nur etwa 80 Prozent von der anderen Landwirtschaft, damit kann man die Welt nicht ernähren. Ja, bitte. 40 Prozent werden in den Eimer geworfen, kompostiert vielleicht."
Und es gebe noch große Flächen, die landwirtschaftlich genutzt werden könnten, besonders in Afrika: "Afrika hat etwa 60 Prozent Land, das noch zugänglich ist für Landwirtschaft. Es gibt noch genug Land. Man muss es nur richtig bearbeiten."
Die Bauern in Afrika könnten ihre Erträge durch agrarökologische Methoden verdreifachen: "Ohne Kunstdünger. Das geht. Auch mit den lokalen Sorten, die ökologisch angepasst sind. Afrika kann sich ganz gut selbst ernähren und kann sogar noch Mango nach Deutschland exportieren oder in die Schweiz. Geht auch. Aber man muss es eben auch von der politischen Seite richtig anpacken."
Ohne Chemikalien den Nährwert verdoppelt
Wer die Möglichkeiten der kleinbäuerlichen Landwirtschaft einschätzen wolle, müsse nicht auf die absolute Menge schauen, sondern auf den Nährwert, sagt die Aktivistin Vandana Shiva und verweist auf die Erfahrungen von Kleinbauern, denen sie bei der Umstellung auf die agrarökologische Landwirtschaft hilft: "Wir haben tatsächlich eine Verdoppelung des Nährwerts, wenn man die biologische Vielfalt ohne Chemikalien vor Ort nutzt. Das propagieren wir."
Einige Regierende sind mutig und stellen sich gegen den globalen Mainstream.
"Sri Lanka hat sich jetzt entschieden, keine Pestizide mehr, kein Kunstdünger, Sikkim, das kleine Kingdom da in Indien, hat auch umgestellt, 100 Prozent, Bhutan. Wenn man will, kann man. Ich glaube, das muss von oben kommen. Ob die Leute das alles gerne haben oder nicht. Weil man eben sehr oft Entscheide fassen muss, die nicht populär sind."
Aber viele verfolgten den falschen Kurs, sagt der Forscher und erzählt von einer Begegnung mit Indiens Premierminister Narenda Modi:
Aber viele verfolgten den falschen Kurs, sagt der Forscher und erzählt von einer Begegnung mit Indiens Premierminister Narenda Modi:
"Wir waren da zu dritt, wir wollten ihn überzeugen, dass er das ganze Land umstellen sollte auf Agrarökologie, und dann sagt er uns, mach ich schon, sagt mir wie? Die Idee von Modi und das habe ich auch noch in Afrika viel gehört, die Länder wollen ein Großexporteur für landwirtschaftliche Produkte sein."
Indien als Vorbild - zum Teil jedenfalls
Modi wolle Indien sogar zum großen Fleischexporteur machen:
"Indien, Fleisch, die heiligen Kühe. Weil Amerika stark geworden ist, auch viel mit landwirtschaftlichen Produkten, oder Brasilien oder Argentinien, wollen alle diese Idee. Und das ist natürlich falsch, weil es uns auf die falsche Spur bringt, wie man Landwirtschaft macht."
Andererseits sei Indien ein Vorbild. "Es passiert eigentlich recht viel in Indien in Sachen Umstellung der Landwirtschaft."
"Ich arbeite mit sieben Bundesstaaten in Indien, die sich zu einer biologischen Landwirtschaft bekennen." Vandana Shiva beriet diverse Regionen bei der Umstellung auf eine regenerative, in Kreisläufen organisierte Landwirtschaft. Bhutan. Sri Lanka. Den indischen Bundesstaat Sikkim. Angetan ist sie auch von der Entwicklung in Kuba.
"Ich arbeite mit sieben Bundesstaaten in Indien, die sich zu einer biologischen Landwirtschaft bekennen." Vandana Shiva beriet diverse Regionen bei der Umstellung auf eine regenerative, in Kreisläufen organisierte Landwirtschaft. Bhutan. Sri Lanka. Den indischen Bundesstaat Sikkim. Angetan ist sie auch von der Entwicklung in Kuba.
"Niemand redet über Kuba. Dabei hat das ganze Land umgestellt, einschließlich der Städte. Es ist die größte Erfolgsstory einer Umstellung auf eine biologische Landwirtschaft."
Gezwungenermaßen. Als Anfang der 90er-Jahre die Sowjetunion zusammenbrach, fiel der Hauptlieferant Kubas für Lebensmittel weg. Gleichzeitig fielen wichtige Märkte für das bis dahin auf Kuba industriell hergestellte Zuckerrohr weg. Wegen des US-Embargos fehlten Pestizide oder Kunstdünger. Angesichts einer drohenden Hungersnot begannen die Bauern auf natürlichem Weg den Boden aufzubauen, Schädlinge zu bekämpfen und eigenes Saatgut zu züchten. In den folgenden zehn Jahren stieg die Ernte laut Welternährungsorganisation FAO jährlich um 4,2 Prozent. 2013 attestierte die UN-Organisation Kuba, den Hunger besiegt zu haben.
Regenerative Ökonomie braucht einen ordnungspolitischen Rahmen
"Wenn wir anerkennen, dass eine regenerative Ökonomie eigentlich das notwendige Paradigma ist", so der Wissenschaftler Daniel Dahm, "dann stellt sich natürlich die Frage, welchen ordnungspolitischen Rahmen benötigen wir dafür, damit sich der Aufbau der natürlichen Lebensgrundlagen, die Stärkung der Gemeingüter, der natürlichen Commons, der natürlichen Gemeinschaftsgüter für Unternehmen nicht nur lohnt, sondern dies auch zu einem Treiber wirtschaftlicher Prosperität und zu einem Treiber wirtschaftlichen Fortschritts wird".
Notwendig sei es, in den Wiederaufbau der Natur zu investieren. Es brauche einen neuen Kompass, um die Wirtschaft hin zu einer regenerativen Ökonomie auszurichten. Dafür hat der Wissenschaftler das Konzept der Nachhaltigkeits-Nulllinie entwickelt:
Sie definiert den fiktiven Zustand einer Ausgeglichenheit zwischen der globalen Biokapazität und dem globalen ökologischen Fußabdruck als Nulllinien-Maßstab. Um sie zu erreichen, brauche es andere Instrumente – etwa für einen zukunftsfähigen Umgang der Landwirtschaft mit der Natur eine neue betriebliche Erfolgsrechnung.
"Das bedeutet also, dass in der Rechnungslegung neben der Handels- und der Steuerbilanz auch die Naturwirkung des unternehmerischen Handelns sichtbar werden müssen. Hierzu ginge es darum, die Aufwendungen, die ein Agrarbetrieb tätigt, um Boden zu verbessern, um funktionale und biologische Diversität zu stärken, um die Biogeochemie im Agrarbetrieb zu balancieren und auch die Wasserkreisläufe zu stabilisieren und zu stärken, als Kostenfaktoren in der unternehmerischen Bilanz auftauchen, die Produktionsgrundlage des Unternehmens stärken und verbessern und somit den Unternehmenswert auch in Zukunft erhöhen."
Die Naturaufwendungen müssen eingepreist werden
An der praktischen Umsetzung solcher Bilanzierungsmethoden arbeitet der langjährige Biogärtner Christian Hiß. Der Gründer der Regionalwert AG in Freiburg entwickelt einen Ansatz, bei dem die Aufwendungen bewertet werden. Dafür gibt es rund 200 neue Buchhaltungsposten in der Bilanz. Wie man dabei vorgeht, erläutert er am Beispiel eines sogenannten Blühstreifens, also eines meist am Rande von Feldern oder Wiesen angelegten Streifens mit möglichst vielen unterschiedlichen Pflanzen.
"Mit diesem Geldwert arbeiten wir weiter. Wir interpretieren den, wir sagen, wir geben dem einen Korridor im Verhältnis zum Betriebserfolg, zum Umsatz zum Beispiel, und dann monetarisieren wir den bzw. über einen bestimmten Algorithmus wird das monetarisiert und dann kommt dabei raus, dass für einen Hektar Blühstreifen mit Kosten von 150 Euro, ist das ein Wert von 300 Euro pro Hektar, der letztendlich entsteht."
Das sei aber noch kein Preis, sondern ein Instrument für landwirtschaftliche Betriebe, um ihre Leistungen erfassen, bewerten und monetarisieren zu können. Damit hätten die Landwirte aber ein Dokument in der Hand, mit dem sie an ihre Kunden herantreten könnten. Nun gehe es darum, dass diese Leistung auch tatsächlich bezahlt würde.
"Wenn dann Geld in den Betrieb kommt, wenn dann jemand bereit ist, das zu bezahlen, dann entsteht der wahre Preis. Erst in der Transaktion, vorher ist es ein Wertvorschlag."
Zahlen müssten die Käufer, ob Privatpersonen, Firmen oder die öffentliche Hand. Geld ist dringend notwendig, damit die Umstellung auf eine regenerative Landwirtschaft gelingt. Der Markt versagt an der Stelle. Das beschäftigt auch Vandana Shiva:
"Ich habe mit vielen Regionen gearbeitet, die sich umstellen, auch in Italien. Sie stellen nicht nur die Produktion um, sondern die Nahrungsmittelwirtschaft. Denn man kann nur nachhaltig produzieren, wenn man eine Kreislaufwirtschaft betreibt. Eine ökologische Landwirtschaft benötigt robuste lokale Systeme zur Unterstützung."
Der Agrarmarkt ist "kaputt und korrupt"
Für die Betreiber der Fattoria la Vialla rechnet sich ihre Art der Landwirtschaft nur, weil sie wie alle landwirtschaftlichen Betriebe in der EU in einem gewissen Umfang Subventionen erhalten und weil sie die Wertschöpfung in ihrer Hand behalten, vom Feld bis zum Vertrieb. Das sei notwendig, sagt Chefagronom Orsini.
"Wenn man nur als Bauer davon leben will, egal was für tolles Obst und Gemüse man erzeugt, wenn das dein Einkommen ist, dann kann es nicht funktionieren, denn der Markt für frische Sachen ist so kaputt und korrupt, dass du nie Preise bekommen wirst, die es dir praktisch ermöglichen, nachhaltig im ganzheitlichen Sinn zu wirtschaften."
"Bienen sind ein guter Indikator dafür, wie gesund oder ungesund die Umwelt ist oder ob es Probleme gibt", sagt der Imker Giovanni Faini. Im Tal profitierten auch alle Nachbarn davon:
"Alle Bewohner, die um la Vialla herum ihre Gemüsegärten haben, haben eine bessere Produktion, größeres, geschmacklich besseres Gemüse. Sie denken vielleicht, sie sind tolle Gärtner, aber den größeren Anteil daran haben die Bienen von la Vialla und die Tatsache, dass wir hier so umsichtig wirtschaften."
Das gilt für alle agrarökologischen Landwirtschaftsbetriebe. Wenn sich diese Erkenntnis in den Köpfen der Menschen festsetzt und mehr Politiker handeln, könnte das regenerative Wirtschaften den Schub bekommen, den es für ein zukunftsfähiges Wirtschaften braucht – mit der Natur und nicht gegen sie.