Berlin will eine Schwammstadt werden
10:37 Minuten
Hier Starkregen und Überschwemmungen, dort Trockenheit und staubige Böden: Wassermanagement ist ein Zukunftsthema. Berlin lässt inzwischen nichts unversucht, um besser mit dem kostbaren Rohstoff umzugehen - unterirdisch ebenso wie auf den Dächern.
Auf einer großen Wasserfläche zwischen Wohnhäusern in Berlin-Köpenick hat das kleine rote Feuerwehrboot gerade das blaue Polizeiboot überholt. Auf einem Steg am Rand stehen Niklas und Julian. "Wir fahren hier Boot, mit einer Fernbedienung, wir fahren um die Wette. Das Wasser ist auch schön und manchmal ist es auch kühl."
Das Wasser hier ist schön und kühl und wertvoll fürs Klima und die Artenvielfalt. Der große künstliche Teich besteht aus Regenwasser. In der Siedlung 52 Grad Nord läuft das Regenwasser nicht einfach in die Kanalisation, erklärt Darla Nickel, die Chefin der Regenwasseragentur der Berliner Wasserbetriebe: "Das verdunstet. Und wenn es mehr regnet als das Becken fassen kann, dann läuft es über in die Dahme. Es ist so bemessen, dass das eben nur selten passiert."
Eine große Siedlung als Vorzeigeprojekt
Denn Berlin will Schwammstadt werden. Regenwasser soll nicht einfach in die Klärwerke oder Flüsse und Seen abgeleitet, sondern genutzt werden. Es soll vor Ort versickern und verdunsten und den Pflanzen und dem Klima zugutekommen. In Köpenick gibt es drei Becken für das Regenwasser, am Rand mit Schilf bewachsen, so dass sich das System selbst reinigen kann. Die Terrassen der Anwohner reichen bis fast ans Ufer.
Für Kerstin Braun bedeutet Regenwassermanagement deshalb auch Lebensqualität: "Wunderbar hier. Die Luft ist sauberer, das merkt man, es blüht alles schön, es hat einen hohen Lebenswert. In Wassernähe ist es immer kühler und vor allem: Ich bin Allergiker, ich habe hier keine Allergiebelastung."
Die große Siedlung mit mehreren hundert Wohnungen und Reihenhäusern ist ein Vorzeigeprojekt. Die Planungen begannen bereits 2016. Heutzutage ist bei jedem Bauvorhaben in Berlin Regenwassermanagement Pflicht, sagt Darla Nickel, Leiterin der Berliner Regenwasseragentur. "Wir haben neue Regeln in Berlin für den Umgang mit Regenwasser, und das ist wirklich auch ein Paradigmenwechsel. Das Regenwasser soll vor Ort bleiben, nicht mehr abgeleitet werden."
Neue Anforderungen an Bauherren
Das müssten die Menschen natürlich wissen und berücksichtigen, wenn sie bauen, fährt Nickel fort. "Als hier dieses Bauvorhaben angegangen wurde, war man noch nicht so weit. Nichtdestotrotz ist es ein Glück, dass es das gibt, denn so können wir zeigen, was die heutigen Regelungen dann bewirken und was sie erfordern an Maßnahmen."
Bauherren, Planer und Hauseigentümer nun dementsprechend zu beraten, das ist die Aufgabe der Regenwasseragentur. Im Mai 2018 ist sie gegründet worden.
Im vergangenen Jahr hatten dann fast alle Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus gefordert, dass angesichts der Klimaveränderungen das Regenwassermanagement in Berlin verbessert werden müsse, zum Beispiel Henner Schmidt von der FDP: "Mit der Klimaveränderung nehmen Starkregenereignisse auch in Berlin zu. In den Sommern der letzten Jahre hatten wir immer wieder die Situation, dass Teile der Stadt komplett unter Wasser standen. Schlimmer noch, es liefen ganz erhebliche Mengen an Mischwasser."
Mischwasserkanäle für Regen und Fäkalien
Mischwasser höre sich nett an, sagt Schmidt. "Aber das ist Regenwasser vermischt mit Fäkalien und allen möglichen anderen schlimmen Dingen. Von diesem Mischwasser lief in Spree und Landwehrkanal eine große Menge über. 2017 waren das 7,5 Mio. Kubikmeter. Und mit diesen Mengen an schmutzigem Wasser könnte der Landwehrkanal zweimal komplett gefüllt werden."
Denn in Berlins Innenstadt gibt es wie in fast allen Großstädten Mischwasserkanäle. Also Abwasser aus Toilette und Dusche fließt gemeinsam mit dem Regenwasser ins Klärwerk und dann in die Gewässer. Wenn es zu viel regnet, leiten die Überläufe die Brühe direkt in die Gewässer. In den Außenbezirken gebe es getrennte Kanäle, aber auch da sorge verdrecktes Regenwasser für eine Belastung der Flüsse und Seen, so Henner Schmidt.
Das Regenwasser abkoppeln
Das Regenwasser soll also nach und nach von der Kanalisation abgekoppelt werden – zunächst bei Neubauten oder wenn Häuser und Straßen im Bereich der Mischwasserkanalisation von Grund auf saniert werden, meint Darla Nickel:
"Daher gibt es ein Ziel des Landes Berlin, dass ein Prozent der Fläche, die heute in die Mischkanalisation entwässert, jährlich abgekoppelt werden soll. Aber einen nennenswerten Einfluss auf die Mischwasserüberläufe wird man erst dann haben, wenn man 20 bis 40 Prozent der Fläche abgekoppelt hat."
Dazu müssten nicht unbedingt immer künstliche Teiche angelegt werden, es gebe auch einfachere Verfahren, so Nickel: "Die herkömmlichsten oder üblichsten sind Dachbegrünungen. Es gibt auch noch die Möglichkeit, das Regenwasser gezielt zu versickern, in Versickerungsmulden oder auch in unterirdischen Speichern."
Diese Regolen hätten den Vorteil, dass man Regenwasser zur Versickerung bringen könne, auch wenn die Versickerungsfähigkeit des Bodens nicht so hoch ist. "Man kann aber auch Regenwasser speichern und nutzen, für die Bewässerung oder auch im Gebäude", sagt Agenturleiterin Nickel.
Förderprogramm für grüne Dächer
Mit dem Programm 1000 Grüne Dächer können in Berlin Dachbegrünungen gefördert werden, in manchen Fällen bis zu 100 Prozent. Drei bis fünf Prozent der Dachflächen in Berlin sind begrünt.
Ein begrüntes Dach ist das des Forschungsgebäudes der Helmholzgesellschaft in Berlin Adlershof, das den Teilchenbeschleuniger Bessy 2 beherbergt.
Ina Helms von der Helmholzgesellschaft öffnet eine Tür und zeigt auf das runde Dach, auf dem niedrige, gelb-grüne, krautige Pflanzen wachsen: "Darunter forschen die Leute an neuartigen Solarzellen, aber vor allem an Energiematerialien, die für die Klimaforschung mal irgendwann relevant sein könnten." Unter dem Dach wird also über das Klima geforscht, auf dem Dach wird etwas fürs Klima getan, erklärt Darla Nickel.
"Das, was wir hier sehen, ist ein extensives Gründach, und es nennt sich auch so, weil es nur extensiv gepflegt werden muss." Rasen gemäht werde zum Beispiel nicht, sondern es würden einmal jährlich oder alle zwei Jahre die Pflanzenarten entfernt, die nicht erwünscht seien, sagt Nickel. "Es wird einfach geschaut, dass es eine geschlossene Pflanzdecke gibt, gegebenenfalls wird nachgepflanzt, und damit hat es sich. Nicht mal bewässert wird so ein Gründach. Und wenn es mal trocken ist, kommen die Pflanzen auch wieder, wenn ein Wasserangebot da ist."
Ein solches Dach hält 50 Prozent des Jahresniederschlags zurück. Noch bessere und natürlich auch teurere Gründächer können fast 100 Prozent zurückhalten. Mit entsprechend mehr Substrat können dann auch Nutzpflanzen, Sträucher oder sogar kleine Bäume wachsen.
Waschanlagen reinigen das Regenwasser
Der Forschungsstandort Adlershof ist in Sachen Regenwasserbewirtschaftung vorbildlich, sagt Stefan Natz von den Berliner Wasserbetrieben. Auffällig ist, dass es an den Straßen keine Gullis gibt, sondern neben dem Gehweg flache Versickerungsmulden, ähnlich wie die früher üblichen Straßengräben. Weil die Straßen eine leichte Wölbung haben, läuft das Wasser darin ab.
Hinter dem Dach des Teilchenbeschleunigers zeigt Stefan Natz Richtung Autobahn. Dort befindet sich eine fußballfeldgroße Schilffläche – eine Art riesengroße Regenwasserwaschanlage: Oder anders ausgedrückt: ein Retentionsbodenfilter.
"Dieser Retentionsbodenfilter ist ein Art Betonwanne, die mit einem Granulat belegt ist und dieses Granulat ist oben nochmal mit Schilf bepflanzt. Der Laie sieht ein riesengroßes Schilfbeet und denkt, oh wie schön, dort wird das Regenwasser von den Hauptstraßen, zum Teil auch hier von der Stadtautobahn, gewaschen, bevor es dann sauber hier hinter dem Haus in den Teltowkanal geleitet werden kann."
Begrünung in der Senkrechten
Grundsätzlich sind Flächen, in denen Regenwasser versickern kann, in einer Großstadt knapp. "Entsiegelung" fordert also Georg Kössler von den Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. "Wir müssen uns fragen, wo kriegen wir den Raum her, dass Wasser wieder fließen kann. Welche Parkplätze von großen Einkaufszentren können entsiegelt werden, und wo sind Parkplätze, die vielleicht für Bäume herhalten können?"
Und wenn der Platz für Begrünung in der Waagerechten knapp ist, dann eben in der Senkrechten, so Stephan Natz. Am Mathematikgebäude der Humboldt Universität in Adlershof wachsen an einem vorgesetzten Rankgerüst Blauregen, Pfeifenwinde und wilder Wein vom Boden bis zum Dachfirst.
Ihr Wasser beziehen sie über Zisternen direkt vom Dach und sorgen für einen Klimaausgleich zu allen Jahreszeiten: "Und wenn Sie hier im Winter herkommen, dann sehen sie wirklich nur diese Lianen. Dann ist das ganze Laub runter, das ist auch gewollt so, damit eben im Winter das Sonnenlicht durchkann, dann spart man bei den großen Glasfronten wieder ein wenig Heizenergie. Und im Sommer verschattet das natürlich, das spart das zusätzliche Anbauen von Jalousien."
Unterirdische Abwasserparkplätze
Wenn es so richtig schüttet, reicht das alles aber nicht. Starkregen gibt es jetzt häufiger, auch in Berlin. Die Wasserbetriebe haben deshalb auch turnhallengroße unterirdische Abwasserparkplätze angelegt, wo Wasser zwischengelagert und dann langsam abgepumpt werden kann. Bis übernächstes Jahr soll es 300.000 Kubikmeter Stauraum geben, das bedeutet: das Berliner Olympiastadion zur Hälfte gefüllt mit Wasser.
In Starkregen-Gefahrenkarten werden Orte dargestellt, wo sich im Fall der Fälle Wasser sammeln kann, und in einem Forschungsprojekt wird ein Warnsystem erprobt, das mit Sensoren den Füllstand an Gullis und Kanalschächten misst, erklärt Dominik Kolesch von den Wasserbetrieben:
"Damit können wir schnellstmöglich gebietsgenau reagieren; die Feuerwehr kann ihre Einsätze besser planen, hat eine bessere Übersicht im Lageplan; die Rettungskräfte wissen, welche Routen überflutet sind und fahren dementsprechend Umleitungen; und das THW kann besser einschätzen, welche Pumpe wo verlangt wird, um diese im Katastrophenfall ja doch knappen Ressourcen entsprechend sinnvoll aufteilen zu können."
Einen Katastrophenfall wie gerade in Deutschlands Westen wird es aber in Berlin nicht geben, da ist sich Darla Nickel sicher. Berlin ist flach, es gibt keine Talengen, in denen Regenwasser sich sammeln, mit hoher Geschwindigkeit fließen und dann große Schäden anrichten kann.
Ende Juni 2017 sei zum Beispiel in Berlin innerhalb von 24 Stunden mehr Regen gefallen als kürzlich in der Eifel: "Dann gibt es auch unter den Unterführungen schon einmal große Mengen an Wasser und Autos können auch zusammengespült werden. Aber die Ausmaße der Schäden, wie man das jetzt in den letzten Wochen erlebt hat, das gibt es so in Berlin nicht."