Regenwolken in der App

Am Gängelband der digitalen Wetterpropheten

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Illustration: Sturm in einer Teetasse. Eine Regenwolke hängt über der Tasse mit stürmischen Wellen als Inhalt.
Der Regen macht dem ersehnten Restaurantbesuch einen Strich durch die Rechnung. © imago / Ikon Images / John Holcroft
Beobachtungen von Hans von Trotha |
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Die Covid-Inzidenz sinkt. Mancherorts dürfen die Menschen wieder die Außenterrassen von Restaurants besuchen. Doch das wird angesichts der Wetterkapriolen zur Mutprobe. Vorhersagen der Wetter-Apps machen es auch nicht einfacher, meint Hans von Trotha.
Inzidenzen lassen sich offenbar sehr viel zuverlässiger prognostizieren als das anstehende Wetter. Das wussten wir eigentlich immer schon. Früher haben wir deswegen ein- oder zweimal am Tag eine allgemeine Wettertendenz für unsere Region eingeholt und uns ansonsten auf eigene Beobachtungen und auf Erfahrung verlassen. Im Zweifelsfall haben wir vorgesorgt, wahlweise mit Regenschirm oder Gore-Tex.
Das ist anders geworden, seitdem jede ihr und jeder sein Smartphone hat – ein Produkt, das schon in der Selbstbezeichnung insinuiert, generell schlauer zu sein als diejenigen, die es bedienen, beziehungsweise von ihm bedient werden. Und generell schlauer heißt zuallererst: schlauer bei dem, was früher Wettervorhersage hieß.

Algorithmen treffen Wettervorhersagen

Was für ein schönes, großes Wort: Auf der einen Seite die Urgewalt des Wetters, auf der anderen die jahrtausendealte Kultur der Prophetie, die die Zukunft zu erkennen meint. An die Stelle der Vorhersage ist die App getreten. Und während der Unwägbarkeit der Vorhersage eine Art Zauber innewohnte, bedeutet die Unwägbarkeit einer App schlicht das technische Versagen eines Algorithmus.
Das erklärt, warum wir mit dem "Mix aus Sonne und Wolken" im "Bergland" oder in der "Kölner Bucht" in den Radionachrichten umgehen konnten, während vier blaue Striche in zwei unterschiedlichen Längen, die schräg unter einer stilisierten Wolke hängen, das Zeichen des vom Algorithmus gesprochenen Wetter-Verdikts, Ratlosigkeit erzeugen.

Wetter-Apps beeinflussen unsere Handlungen

Wetter findet jetzt zweimal statt: einmal draußen, wenn wir es am eigenen Leib erfahren – aber das ist zweitrangig, denn dann ist es ja zu spät. Viel wichtiger ist das Vorher, der Moment in dem wir einen potenziellen Außeneinsatz planen: die Stunde der Wetter-App.
Meistens handelt es sich tatsächlich eher um Stunden als um Momente, schon gar, wenn mehrere an dem Vorgang beteiligt sind, womöglich mit Smartphones unterschiedlicher Provenienz, also mit divergierenden Wetter-Apps. So mancher Familienausflug findet nicht mehr statt, weil es auf einer der Apps immer irgendeine Regenwahrscheinlichkeit gibt.
Dass die kleinen blauen Striche auch dann wie das Urteil des Donnergottes aus der Wolke niederfahren, wenn nur zu einer der vielen vollen Stunden eines Tages eine Miniaturwahrscheinlichkeit von ein paar Prozent besteht, zählt nicht, wenn unserem Auge und damit unserem Gehirn und damit unserer Lust, das Haus zu verlassen, das ikonische Signal für Regen zugespielt wird.

Fehlende Flugdaten erschweren Wettervorhersagen

Doch damit nicht genug: Dieses Korsett von Regenwahrscheinlichkeiten, in das wir uns zwängen lassen, ist von struktureller Ungenauigkeit geprägt. Denn die auf den Smartphones vorinstallierten Wetter-Apps erheben die Daten nach einem für Nord-Amerika entwickelten Modell, das für das meteorologisch kleinteiliger strukturierte Europa eher untauglich ist.
Dass das Verhältnis zwischen Mensch und App derzeit besonders angespannt ist, liegt auch daran, dass im Mai die Vorhersage noch schwieriger ist als sonst, da es dann in Europa weniger ausgeprägte Hochs und Tiefs gibt, die es Mensch und App erleichtern zu erkennen, wie das Wetter werden könnte. Und es fehlen aus dem letzten Jahr coronabedingt die Flugdaten, die zur Erstellung von Wettermodellen normalerweise genutzt werden.
Aber was gibt es denn heute noch für eine Alternative zur App? – Kachelmann. "Kachelmannwetter" betreibt einen "Wetterkanal". Und da heißt es, ganz aktuell: "Man muss für seine Vorhersage für seinen Ort auch ein bisschen selber überlegen und wird dann auch die perfekte Vorhersage haben." Ach so.

Hans von Trotha, 1965 geboren, ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Journalist. Nach ersten publizistischen Arbeiten für den Rundfunk und verschiedene Printmedien übernahm er für zehn Jahre die Leitung des Nicolai Verlags. Trotha gilt als Spezialist für die Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts. Derzeit arbeitet er selbständig als Publizist für diverse Medien und als Berater im Kulturbereich. Publikationen (Auswahl): "Der Englische Garten. Eine Reise durch seine Geschichte" und "Das Lexikon der überschätzten Dinge".

© Carsten Kempf
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