Bitte keine Nebelkerzen und Eitelkeiten mehr!
Es wird noch Wochen dauern bis Deutschland wieder eine stabile Regierung hat. Aber das ist noch lange kein Grund, auf die angebliche Unfähigkeit von Politikern zu schimpfen. Denn Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit, auch in Berlin.
Die Zeiten der klaren Mehrheiten sind vorbei. Im Deutschen Bundestag sitzen mittlerweile sieben Parteien, sechs Fraktionen. Doppelt so viele wie noch bis Anfang der 1980er-Jahre. Drei Fraktionen gab es damals. Geradezu paradiesische Zustände, wenn es um die Frage der Regierungsbildung geht, zumal sowohl Union als auch SPD sich auf breite Mehrheiten stützen konnten und die FDP wusste, dass ohne sie nur in Ausnahmefällen regiert wird.
Parteien sind nicht alle gleich
Mittlerweile ist theoretisch eine Vielzahl von Koalitionen möglich, die aber gleichzeitig auch mehr Kompromisse verlangen. Und so kostet es nun mal Zeit, eine stabile Regierung zu bilden, die sich die beteiligten Akteure auch zurecht nehmen und sich redlich bemühen – zumindest die meisten – etwas voran zu bringen. Auch wenn Nebelkerzen und Profilierung für manchen leider zum Spiel dazu gehören. Rückblick: Wer hätte noch im vergangenen Jahr gedacht, dass sich Schwarz, Gelb und Grün an einen Tisch zusammen zu setzen. Sogar die Grünen, die einen starken linken Flügel haben, und die CSU, deren Beschimpfungen in Richtung Grün oft weit unter der Gürtellinie waren, haben es geschafft, sich die Hand zu reichen. Dass sie wochenlang miteinander gerungen haben, ist auch das beste Argument gegen den Vorwurf, die Parteien seien alle gleich.
Liberale stehen an der Seitenlinie
Es ist auch völlig legitim als FDP, irgendwann zu einem solchen Bündnis "nein" zu sagen – denn sonst könnte man ja auch gleich einen Koalitionsvertrag unterschreiben, ohne groß zu verhandeln. Geradezu lächerlich ist allerdings die Vorstellung, die die Liberalen jetzt geben. Nun, wo klar wird, dass das Jamaika-Aus der FDP keinen zusätzlichen Bonus in den Umfragen bringt, schießen Lindner, Kubicki und Co. von der Seitenlinie gegen die CDU. Das ist genau das Gegenteil von "lieber gar nicht regieren als falsch zu regieren", dem Spruch, mit dem die FDP das Sondierungsende begründet hat und Parteichef Lindner suggerieren wollte, dass es den Liberalen vor allem um das Land ginge. Geradezu billig wirkt nun der Versuch, mit einem indirekten "Merkel muss weg" wieder um Umfrage-Punkte zu buhlen. Etwas mehr Zurückhaltung wäre geboten.
Auf die Inhalte kommt es an
Nun droht also eine Wiederauflage der Großen Koalition. Es ist sicher nicht das wünschenswerteste Bündnis für dieses Land. Denn die GroKo steht mehr für ein "Weiter so" als für frischen Wind. Es liegt nun an SPD und Union, das Beste daraus zu machen. Dazu gehört auch: Hart zu verhandeln. Das geht nun mal nicht in drei Tagen. Zumal wenn man die Ausgangslage der SPD betrachtet. Die älteste Partei im Parlament kommt nun seit Jahren nicht mehr aus dem Umfragetief heraus und muss sich fragen, ob sie noch eine Volkspartei ist. Eine Oppositionszeit, in der sie sich personell und inhaltlich neu aufstellen kann, hätte ihr gut getan.
In einer Großen Koalition stünde sie nun wieder vor dem Problem, dass sie schon die vergangenen vier Jahre begleitet hat: Auch wenn sie sozialdemokratische Themen wie die Einführung des Mindestlohnes umgesetzt hat, hat sich das am Wahltag für die Sozialdemokraten nicht ausgezahlt. Verständlich, dass die Genossen mit Martin Schulz an der Spitze nach der Wahl im September erst einmal eine Große Koalition ausgeschlossen haben.
Taktisch klüger wäre es sicherlich gewesen, dieses kategorische Nein nach dem Jamaika-Aus nicht zu wiederholen. Aber das hat die Partei mittlerweile revidiert, auch wenn noch nicht von einer GroKo gesprochen wird, sondern von ergebnisoffenen Gesprächen. Dass die Sozialdemokraten trotz des mageren Wahlergebnisses jetzt hart verhandeln wollen, ist nicht nur mit Blick auf die nötige Zustimmung der Parteibasis richtig und verständlich. Einfache und deshalb schnelle Sondierungen und mögliche Koalitionsgespräche werden das sicher nicht werden.
Die SPD nach zwölf Jahren Merkel
Und das liegt nicht nur an der SPD. Auch bei der Union geht es um mehr als nur das reine Regieren – in den eigenen Reihen wächst, nach zwölf Jahren Merkel, der Wunsch nach einem stärkeren, eigenen Profil. Dieses Ringen um eine stabile Regierung – die Deutschland, auch mit Blick auf wichtige europäische Entscheidungen so dringend braucht – ist bei genauerer Betrachtung also großartig. Zeigt es doch, dass es eben nicht nur um die reine Macht geht, sondern um Inhalte.
Und auf diese sollten sich die Gesprächspartner in den nächsten Wochen konzentrieren. Nebelkerzen zünden und persönliche Eitelkeiten ausleben, dafür ist keine Zeit mehr.