Eine lange Geschichte von Kränkungen
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In Sachsen-Anhalt regiert seit drei Jahren eine schwarz-rot-grüne Koalition – in Dauerkrise. Nun droht ein Streit um das Grüne Band, den ehemaligen Grenzstreifen, zu eskalieren. Die Grünen drohen mit Koalitionsbruch. Das hätte unabsehbare Folgen.
"Wir sind am Rande des Todesstreifens, damit auch am Rand des Grünen Bandes. Dadurch sind wir rundum betroffen von dem Vorhaben."
Landwirt Eberhard Reckleben zeigt auf ein zehn Hektar großes Feld, auf dem er Bio-Hafer anbaut.
"Dieses Biotop pflege ich seit 30 Jahren. Nicht der Landtag, die CDU-Fraktion, auch nicht die Grünen, sondern ich. Aber wenn Sie darüber gucken, müssen Sie mir erklären, warum der Acker ein Biotop ist. Das ist mein Acker. Wenn jetzt möglicherweise jemand kommt, der sagt, er will was anderes haben, dann kann er das gerne verfolgen. Dann muss er aber mit mir drüber reden."
Mauerstreifen soll Biotop werden
Eberhard Reckleben fühlt sich übergangen. Sollte das Grüne Band einen neuen Schutzstatus erhalten, dann könne er diesen Acker möglicherweise nicht mehr bewirtschaften. Die Landesregierung will den früheren Todesstreifen zu einem nationalen Naturmonument ausweisen lassen. So steht es im Koalitionsvertrag.
Vor allem für Bündnis 90/Die Grünen ein wichtiges Anliegen. Sie favorisieren eine möglichst lückenlose Unterschutzstellung der Flächen. Genau das aber treibt der CDU Zornesröte ins Gesicht. Der Vorwurf: Die Grünen wollten Landwirte, die Flächen auf dem früheren Todesstreifen haben, nach 1945 ein zweites Mal enteignen. Ein Tonfall, der Reckleben irritiert. Aber klar sei auch, sagt der Bio-Landwirt und studierte Forstwissenschaftler, dass er seine Flächen so einfach nicht hergeben wird.
"Bin weder CDU-Mitglied, noch habe ich sie eingeladen. Ich kann aber sagen, dass ich froh bin, dass sich einer mit der Frage befasst. Aber es ist falsch zu sagen, ich werde enteignet, weil es noch gar nicht klar ist."
Grenzgebiet als Rückzugsraum für Tiere
Seine Vorfahren bewirtschafteten schon vor mehr als 100 Jahren das Gut in Wülperode, das direkt an der Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt liegt. In der Ferne erhebt sich der Brocken. Nach dem Zweiten Weltkrieg floh die Familie in den Westen, die 400 Hektar großen Flächen der Recklebens wurden im Rahmen der sogenannten Bodenreform enteignet. Kurz nach dem Mauerfall sind die Recklebens zurückgekommen, haben die Flächen zurückgekauft, die Gebäude saniert. Ein Juwel ist die preußische Fachwerkkirche.
"Und das ist auch ein Grund, warum ich das sehr eng sehe. Es ist auch so, dass ich bei Tauschangeboten emotional ein großes Problem habe, die Flächen irgendwo hinzugeben. Ich bin hierher gekommen, weil es meine Heimat ist. Das soll es auch bleiben."
Für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist der einst 1400 Kilometer lange Todesstreifen eine Lebenslinie, bietet er doch zahlreichen bedrohten Pflanzen- und Tierarten einen Rückzugsraum. Doch diese Begeisterung können nicht alle teilen.
"Wenn ich höre, ein völlig durchgängiges Grünes Band. Ohne, dass man dann wieder die Naturschutzflächen betreten kann, das ist bei mir im Kopf und bei vielen Menschen – da entsteht wieder eine im Kopf gezogene Grenze. Wieder Trennung zwischen Ost und West."
CDU will mehr Gedenken
CDU-Mitglied Gabriele Brakebusch hat lange in Harbke gelebt. Der Ort lag früher im Sperrgebiet, in unmittelbarer Nähe zum einst größten deutsch-deutschen Grenzübergang Marienborn. Sie leide noch heute unter dem Trauma der deutschen Teilung, so die Magdeburger Landtagschefin Brakebusch.
"Ich bin mit 19 nach Harbke gezogen, wo das für mich unerträglich war. Das heißt, keine Familienangehörigen zweiten Grades durften rein. Man hatte keine Freiheit, einfach so auf den Straßen zu gehen, ohne einen Ausweis immer bereitzuhalten. Da sind so viele Dinge, die immer wieder hochkommen."
Unterstützung bekommt die CDU-Politikerin auch von der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker. Sie ist Mitglied der Grünen und steht dem Projekt des BUND trotzdem skeptisch gegenüber.
"Was bisher ein Stückchen zu kurz gekommen ist, dass dieses Grüne Band nicht irgendein Naturschutzgebiet ist, sondern eben die ehemalige innerdeutsche Grenze. An der es in Sachsen-Anhalt 88 Todesopfer gegeben hat. Und das Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat. Diese Erinnerung muss jetzt stärker in die Arbeit des Grünen Bandes hineinfließen. Die Sicherung von Erinnerungsorten, von Grenztürmen, von Grenzanlagen."
Landwirte fürchten Enteignungen
So argumentiert auch Sachsen-Anhalts CDU: In dem Projekt des BUND komme die Erinnerungskultur zu kurz und der Naturschutz bekomme zu viel Gewicht. Einzelne CDU-Landtagsabgeordnete finden harsche Worte für das Motto der Grünen: "Nationales Naturmonument. Vom Todesstreifen zur Lebenslinie." So auch der 52-jährige Betriebswirt Guido Heuer.
"Lebenslinien heißt für mich: Naturschutz als Verbotskultur. Das muss man mal deutlich sagen. Lebenslinien heißt auch Normalität, wo man sich ohne Einschränkungen über den ehemaligen Todesstreifen, über den ehemaligen Kolonnenweg bewegen kann."
Erst wenn alle rechtlichen Fragen geklärt seien – also ob letztlich Landwirte enteignet werden können, ob Landwirte ihre Äcker wie bisher bearbeiten können – erst dann könne der Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht werden, argumentiert Heuer. Reine Verzögerungstaktik, glauben die Grünen. Sie wollen, dass das Projekt am 9. November dieses Jahres in Kraft tritt, dem 30. Jahrestag des Mauerfalls. Und werfen der CDU Blockadehaltung vor.
Dazu Grünen Fraktionschefin Cornelia Lüddemann: "Die CDU muss jetzt beweisen, ob sie für oder gegen Grüne regieren will. Die CDU muss beweisen, ob sie für Klima- und Artenschutz oder dagegen ist."
Grüne drohen mit Bruch der Koalition
Verabredet ist, dass sich die drei Regierungspartner CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bis zum morgigen Donnerstag auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf verständigen wollen.
"Bis 13. Juni um 13:59 Uhr können Dinge für die nächste Landtagssitzung eingebracht werden. Das ist der Zeitpunkt, wo wir sehen, ob die Koalitionspartner an unserer Seite sind."
Andernfalls drohen die Grünen unmissverständlich mit dem Koalitionsbruch.
"Wir sind aus inhaltlichen Gründen in die Koalition gegangen. Wenn wir aber feststellen müssen, dass die Vertragsgrundlage nicht mehr besteht, dann gibt es für uns Grüne keinen Grund mehr in der Koalition zu bleiben."
Regierungschef appelliert an Vernunft
Den Ernst der Lage hat inzwischen auch CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff erkannt und appelliert an die Vernunft aller Beteiligten: "Wir sind gut beraten, wenn wir ein gerütteltes Maß an Professionalität an den Tag legen. Dass wir uns hüten vor zu schnellen Reaktionen, dass wir behutsamer miteinander umgehen."
Seit drei Jahren regiert in Sachsen-Anhalt Schwarz-Rot-Grün. Ein gewagtes Bündnis, kommentierten damals Politologen. Rückblickend kann man sagen, seitdem kriselt es.
Die "Kenia-Koalition": eine Geschichte von Kränkungen, vor allem zwischen der CDU und den Grünen. Ob der Streit um den Bau einer Seilbahn im Harz, die mehrfach gescheiterte Wahl des grünen Datenschutzbeauftragten, der Misstrauensantrag gegen einen grünen Landtagsabgeordneten oder der Vorwurf der CDU, die grüne Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert würde die Förster im Stich lassen. Die Konflikte zeigen, wie tief die Risse zwischen beiden Parteien sind. Man lasse sich nicht länger demütigen, heißt es nun bei den Grünen.
Angst vor dem Koalitionsende
Jetzt unken schon manche Politiker: Ein Paartherapeut müsse her. Doch der Stendaler Politikwissenschaftler Thomas Kliche ist sich nicht sicher, ob das der Koalition in Sachsen-Anhalt am Ende überhaupt noch helfen könne.
"Ich glaube, allen ist klar: Wenn die Regierung jetzt Neuwahlen ausrufen würde, wäre das ein Armutszeugnis für alle Beteiligten, das einen drastischen Vertrauensverlust zur Folge hätte. Mit sehr unberechenbaren Folgen für das Wahlergebnis. Deshalb gibt es innerhalb der Koalition starke Bestrebungen, diese Legislatur durchzuhalten. Um zu zeigen: Wir sind handlungsfähig, wir haben Sachlösungen, wir können etwas auf die Reihe kriegen."