"Kein Spielraum mehr für freies Handeln"
Die Situation der regierungsunabhängigen Organisationen hat sich in Russland zunehmend verschlechtert. Mit dem Duma-Gesetz über sogenannte "ausländische Agenten" sind die Möglichkeiten noch geringer geworden, beklagt Irina Scherbakowa, Mitarbeiterin der Organisation "Memorial".
Die Mitarbeiterin der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial" und Historikerin Irina Scherbakowa hat die Auswirkungen des Duma-Gesetzes über die sogenannten "ausländischen Agenten" auf die Arbeit regierungsunabhängiger Organisationen kritisiert.
Ziel dieser Gesetzgebung sei es, den Menschenrechtsorganisationen den Spielraum für freies Handeln möglichst schwierig und sie damit vom Staat abhängig zu machen, sagte Scherbakowa im Deutschlandradio Kultur:
"Wir können eigentlich gar nichts dagegen machen. Wir können unsere Arbeit nur fortsetzen."
Die Staatsanwaltschaft entscheidet alleine
Scherbakowa verwies darauf, dass jetzt alleine von der Staatsanwaltschaft entschieden werden könne, wer zu einer "unerwünschten" Organisation gehöre und wer nicht:
"Und das kann nicht angefochten werden."
Das bedeute, dass sich eine Organisation, die Geld von einer solchen "unerwünschten" Einrichtung erhalten habe, sich schnellstens von ihr lossagen müsse, weil man sich sonst strafbar mache.
Sind Sanktionen des Westens hilfreich?
Die Historikerin ging auch auf die Frage ein, wie hilfreich Sanktionen des Westens gegenüber Russland im Ukraine-Konflikt sein könnten. Hier müsse man feststellen, dass die das Leben der Bevölkerung betreffenden Sanktionen wie etwa die dramatische Erhöhung der Lebensmittelpreise von der russischen Regierung ausgegangen seien, meinte Scherbakowa:
"Das war die russische Antwort. Die Sanktionen, die vom Westen gekommen sind, die betrafen nicht den Lebensmittelhandel."
Das würde von der Bevölkerung allerdings meist nicht so verstanden werden. Es werde der Anschein erzeugt, dass der Westen an allem schuld sei:
"Dass wir nicht modernisiert werden. Dass womöglich unsere Raketen nicht wirklich fliegen können. Dass die Lebensmittel teuer geworden sind."
Die Organisation "Memorial"
"Memorial", die 1988 auf Initiative von Andrej Sacharow gegründete, älteste nichtstaatliche Organisation Russlands, konstituierte sich als ein Netzwerk verschiedener regionaler gesellschaftlicher Bewegungen. Irina Scherbakowa wird am 24.6.2015 einen Vortrag zum Thema "Memorial und die Chancen der Zivilgesellschaft in Russland" beim Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin halten. Die Historikerin und Publizistin ist auch Mitglied des Kuratoriums der Gedenkstätte Buchenwald in Weimar, des Beirats der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin und Vorstandsmitglied der Marion-Dönhoff-Stiftung. 2014 erhielt sie den Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg für Zeitgeschichte und Politik.