Filmbildung soll Schulfach werden
Kinder müssen lernen, wie man Filme "liest", sagt der Regisseur Andreas Dresen. Nur so verstünden sie, wie Filme funktionieren und ob diese sie manipulieren wollen. Deshalb sollten Film und Filmgeschichte in der Schule gelehrt werden.
Kinder haben grundsätzlich "mindestens die gleiche Medienkompetenz" wie Erwachsene, meint der Regisseur Andreas Dresen. Aber sie müssten lernen, die Sprache der audiovisuellen Medien auch zu verstehen. Deshalb solle Filmbildung ein Teil der Bildung in der Schule sein.
"Es ist ja heutzutage so in der Schule, dass Kinder ganz selbstverständlich Kunstgeschichte beigebracht bekommen, sie bekommen auch Musikgeschichte vermittelt", sagte Dresen im Deutschlandradio Kultur. Dagegen fehle es an einer Ausbildung, wie man einen Film liest. "Sie kennen die Filme der Filmgeschichte nicht, und sie wissen relativ wenig über Filmentstehung", so der Regisseur. "Und das ist halt die Basis, aber um überhaupt auf eine kompetente Art zu beurteilen, wie ein Film funktioniert, wie er zu einem selber spricht und ob er einen vielleicht auch auf eine unverhältnismäßige Art manipuliert."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: In der Adventszeit sind es ja vor allem Märchenfilme, die Kinder und Eltern gerne schauen, die Vorstellungen von "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" sind voll und "Der kleine Lord" gehört irgendwie auch dazu, aber wie sehen Kinder und Jugendliche eigentlich sonst Filme, Fernsehen, im Kino und vor allem am Computer. In Erfurt findet bis heute der Kongress des Netzwerkes für Film- und Medienkompetenz statt. Vision Kino: Film, Kompetenz, Bildung – diskutiert wird da die Bedeutung von Filmen und Filmbildung und die Frage, wie sollen Kinder fernsehen. Dort wird auch Andreas Dresens neuer Film "Tim Thaler oder: Das verkaufte Lachen" nach dem Buch von James Krüss, der erst im nächsten Premiere hat, und das ist der Anlass, deshalb haben wir uns auch mit dem Regisseur verabredet. Schönen guten Morgen, Andreas Dresen!
Andreas Dresen: Ja, schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck, hallo!
Kinder haben die gleiche Medienkompetenz wie Erwachsene
Billerbeck: Für’s Leben fernsehen: Wie sollten Kino, Fernsehen, Computer denn beschaffen sein, damit sie gut sind für Kinder und Jugendliche?
Dresen: Ich glaube, sie sollten Kinder und Jugendliche in erster Linie einfach ernst nehmen. Also man muss da nicht groß anders oder billiger oder einfacher erzählen als für Erwachsene. Man muss einfach das seriös machen. Ich glaube, man kann auch davon ausgehen, dass Kinder mindestens die gleiche Medienkompetenz haben wie wir alle, denn sie wachsen ja in viel stärkerem Maße auch mit diesen audiovisuellen Medien und Eindrücken auf, und leider ist es ja tatsächlich so, dass in der Bildung viel zu wenig dafür getan wird, dass sie die Sprache, die die audiovisuellen Medien benutzen, auch wirklich verstehen. Insofern bin ich ein großer Verfechter davon, dass Filmbildung ein Teil der Bildung in der Schule sein sollte.
Billerbeck: Wie sollen denn Filme und Fernsehen nun konsumiert werden, damit sie die Kinder nicht beherrschen, ihr Denken, ihre Gefühle, ihren Geschmack prägen, sondern das Kinder gestärkt werden, auch selbstbestimmt und sicher mit dem Geschehen und auch mit den Empfindungen dabei umzugehen?
Dresen: Also es ist ja grundsätzlich nichts dagegen, zu sagen, dass Filme und Kunst und Kultur den Geschmack der Kinder prägen. Man muss sie nur in die Lage versetzen, diese Dinge zu sehen und selbstständig zu beurteilen, und dazu gehört, wie gesagt, dass man sich auch mit den Gegebenheiten auseinandersetzt, wie diese Dinge entstehen. Also es ist ja heutzutage so in der Schule, dass Kinder ganz selbstverständlich Kunstgeschichte beigebracht bekommen, sie bekommen auch Musikgeschichte vermittelt, sie lernen die Oper des 18., 19. Jahrhunderts zu hören, jedenfalls teilweise, aber sie haben eigentlich keine Ausbildung darin, wie sie zum Beispiel Filme zu lesen haben. Sie kennen die Filme der Filmgeschichte nicht, und sie wissen relativ wenig über Filmentstehung, und das ist halt die Basis, aber um überhaupt auf eine kompetente Art zu beurteilen, wie ein Film funktioniert, wie er zu einem selber spricht und ob er einen vielleicht auch auf eine unverhältnismäßige Art manipuliert.
Kinder nicht mit Albernheiten ersticken
Billerbeck: Also einfach Filmgeschichte?
Dresen: Nicht nur Filmgeschichte, sondern auch … Beschäftigung mit Kunst ist ja auch immer Geschmacksbildung, aber natürlich gehört Filmgeschichte oder das Gucken von Klassikern auch dazu, damit man auch lernt, beispielsweise einen guten von einem schlechten Film zu unterscheiden.
Billerbeck: Welche Art von Filmen wären es denn, die Kindern besonders helfen, ihre Fantasie zu entwickeln, auch zu behalten?
Dresen: Das ist eine schwere Frage, weil das kann ganz unterschiedlich sein, glaube ich. Das hängt vom Alter der Filme ab, und das hängt auch natürlich vom Kontext ab, in dem das gezeigt werden sollte. Älteren Kindern kann man natürlich sehr viel mehr zumuten auch. Ich glaube grundsätzlich, wie gesagt, dass das Filme sein sollten, die die Kinder und auch die Welt, von der sie erzählen, ernst nehmen und nicht sie mit Albernheit ersticken. Man erlebt ja häufig in Kinderfilmen, dass das dann irgendwie auf eine infantile Art erzählt wird, die Schauspieler agieren übertrieben, und solche Sachen finde ich, ehrlich gesagt, überflüssig.
Ich glaube, dass Kinder grundsätzlich äußerst kompetente Filmzuschauer sind. Das merkt man ja schlicht an dem Umstand zum Beispiel, dass sie sich im Kino insofern nicht manipulieren lassen, dass wenn sie sich langweilen, sofort da Stimmung aufkommt, Unruhe aufkommt, die gehen dann raus, und das ist eine ganz normale Reaktion, wenn ein Film die Kinder nicht fesselt. Das ist eigentlich was, was sehr schön ist. Wir als Erwachsene lernen ja dann immer eher so ein höfliches Betragen.
Der Regisseur muss das Publikum fesseln
Billerbeck: Was erwarten Sie als Regisseur eigentlich von Ihren jugendlichen Zuschauern?
Dresen: Ach, sie sollen sich einfach darauf einlassen, was sie sehen, und darauf genauso reagieren, wie ich es eben gesagt habe. Einfach einen Moment sich die Zeit nehmen, sich vielleicht auch zu konzentrieren, wenn mal ein Film ein wenig fordernder ist, vielleicht nicht sofort zum Mobiltelefon zu greifen, aber eigentlich ist das, wie gesagt …
Billerbeck: Sondern noch zwei Minuten zu warten.
Dresen: Genau! Aber eigentlich ist es, wie gesagt, meine Aufgabe als Regisseur, nicht die Aufgabe der Zuschauer. Ich muss es schaffen, mit meinen Kollegen, mit denen ich den Film mache, die Kinder zu fesseln, und wenn mir das nicht gelingt, dann muss ich mich fragen, ob ich meine Arbeit richtig gemacht habe.
Billerbeck: Nun erleben wir ja auch eine Veränderung der Medien – das heißt, wir erleben sie nicht, die ist ja schon im vollsten Gange –, nämlich die Digitalisierung. Geschichten werden auch in Spielen, in Games erzählt. Wie verändert sich das, wie eröffnet das neue Möglichkeiten auch für Sie als Regisseur?
Dresen: Also ich habe mich damit als Regisseur noch nicht beschäftigt. Ich habe noch kein Game inszeniert, aber …
Billerbeck: Könnte ja noch sein.
Dresen: Aber es ermöglicht also aus meiner Sicht natürlich die Chance, Geschichten zu erzählen, die verschiedene Abzweigungen haben, also indem man selber sozusagen an einem bestimmten Punkt einer Erzählung Entscheidungen trifft und damit beeinflusst, wie die Geschichte weitergeht, also ein interaktives Erzählen von Geschichten und damit auch ein interaktives Behandeln von Charakteren könnte in dem Zusammenhang durchaus spannend sein.
Filme ohne moralisch-belehrende Attitüde
Billerbeck: Geht Kino und Fernsehen eigentlich auch mal ohne Bildungsauftrag, einfach nur als Unterhaltung für Kinder?
Dresen: Das ist das allererste, finde ich. Also ich finde nicht, dass man mit einer moralisch-belehrenden Attitüde antreten sollte, sondern vor allen Dingen sollten Filme für Kinder Spaß machen und überhaupt Filme für Zuschauer Spaß machen. Wenn sie das nicht tun, haben sie irgendwie ihr Ziel verfehlt, finde ich. Ich finde auch, das viel geschmähte Wort der Unterhaltung ist etwas sehr Wertvolles: Man geht ins Kino, man lässt sich auf gewisse Weise verführen von dem, was man dort sieht und hat dabei hoffentlich Spaß, und hinter dieser Verführung kann aber auch noch etwas anderes sein, das man dann als etwas mit nach Hause nimmt, was sich im Kopf und im Herzen noch ein Stück weiterbewegt. Das find ich eigentlich sehr schön, aber es sollte nicht so sein, dass zuallererst mal eine moralische Attitüde da ist, und dann dahinter wird auch noch eine Geschichte erzählt. Das sollte schon andersrum gehen.
Billerbeck: Der Filmregisseur Andreas Dresen – ich danke Ihnen!
Dresen: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.