"Hissa Hilal ist eigentlich nur eine Dichterin"
Eine TV-Show machte Hissa Hilal bekannt: Vollverschleiert trug sie gesellschaftskritische Verse vor. Andreas Wolff ist Co-Regisseur des Films über die saudische Lyrikerin - und erklärt, warum sie nicht zur Kinotour von "The Poetess" kommt.
Susanne Burg: 2010 ging dieses Ereignis durch die Medien: Eine vollverschleierte, saudische Dichterin belegte den dritten Platz in der in Abu Dhabi produzierten und in der Golfregion extrem populären Fernsehshow "Million's Poet", einer Art "Superstar"-Format, bei dem eine Jury und das Publikum über den besten Dichter beziehungsweise in diesem Fall die beste Dichterin abstimmt. Hissa Hilal heißt die Lyrikerin, und sie schaffte es in die Endrunde mit Versen, die ziemlich am patriarchalen und religiösen Selbstverständnis des konservativen Islam rüttelten.
"Das Böse sehe ich funkeln in den Augen der Fatwas. Wenn ich die Wahrheit enthülle, kriecht das Monster aus seinem Versteck."
Das sagt Hissa Hilal in ihrem Gedicht und bezog sich damit ziemlich direkt auf einen saudischen Prediger, der eine Fatwa verfasst hatte gegen die Mischung der Geschlechter. Der Dokumentarfilm "The Poetess" erzählt die Geschichte von Hissa Hilal und porträtiert die Dichterin. "The Poetess" läuft derzeit in einigen deutschen Kinos und eigentlich hätte Hissa Hilal auch bei der Kinotour dabei sein sollen, aber kurz vorher hieß es, dass sie aus Sicherheitsgründen nicht an der Tour teilnimmt. Im Studio in München begrüße ich einen der beiden Regisseure des Films, Andreas Wolff. Guten Tag!
Andreas Wolff: Guten Tag!
Burg: Vor knapp zwei Wochen sind fünf führende Frauenrechtlerinnen und zwei ihrer Anwälte in Saudi-Arabien verhaftet worden. Angeblich hätten sie eine Spionagezelle gebildet und religiöse und nationale Prinzipien beschädigt. Hissa Hilal war bei dieser Verhaftungswelle nicht dabei. Wie geht es ihr denn derzeit?
"Sie ist ja offiziell keine Aktivistin"
Wolff: Sie ist sehr eingeschüchtert, ein bisschen ängstlich, aber ich glaube, dadurch, dass sie jetzt nicht nach Deutschland gereist ist, fühlt sie sich sicher, denn sie ist ja offiziell keine Aktivistin. Das bedeutet, sie hat sich nicht aktiv an dem Einsatz der Frauen zur Aufhebung des Fahrverbots in Saudi-Arabien beteiligt beziehungsweise auch zur Aufhebung der Vormundschaft, das heißt zur Einsetzung für ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen beteiligt. Das sind so die wichtigsten Dinge, für die die Aktivistinnen in Saudi-Arabien kämpfen.
Hissa Hilal ist eigentlich nur eine Dichterin. Das heißt, sie kritisiert die Gesellschaft, kritisiert religiöse Bestandteile der Gesellschaft und gewisse traditionelle Riten, die dort noch stattfinden, und von daher fühlt sie sich eigentlich grundsätzlich sicher.
Burg: "Eigentlich nur" klingt erst mal harmlos, aber wenn man ihre Texte kennt oder hört, dann weiß man, dass die auch schon ganz schöne Wucht haben. Also die anderen sind ja auch beschuldigt worden, religiöse Prinzipien beschädigt zu haben, und ihnen wird auch vorgeworfen, sie hätten verdächtige Kontakte zu ausländischen Organen. Das könnte man doch Hissa Hilal auch in gewisser Weise vorwerfen, oder?
Wolff: In gewisser Weise schon. Die Situation in Saudi-Arabien ist etwas komplex. So wie ich das verstanden habe, jetzt in meiner Erfahrung, sind dort zwei Lager zugange, vor allem die Regierung auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Opposition, die Religiösen, und Hissa Hilal hat in ihren Gedichten, die sie in der Show vorgetragen hat, einmal die saudische Gesellschaft allgemein kritisiert und dann eben ganz konkret diese Religiösen und da einen besonders: den Abdurrahman al-Barrak, einer der bekanntesten saudischen Geistlichen, der eine Fatwa, eine Art gewalttätige Fatwa rezitiert hat.
Sie hat aber nicht den König kritisiert, sie hat nicht die Regierung oder das Regime kritisiert. Sie hat sich ganz gezielt in einer sicheren Zone aufgehalten. In der sicheren Zone kann sie zwar angegriffen werden von Religiösen, kritisiert werden, vielleicht sogar auch umgebracht werden, aber sie kann nicht verhaftet werden.
Burg: Also die Verhaftung bezog sich ja, wie Sie schon gesagt haben, eben auf die Autofahraktivisten. Ab 24. Juni dürfen Frauen Auto fahren. Es gab ja viele Meldungen vorab, die auf eine Liberalisierung hindeuten. Dann gab es eben diese Verhaftung. Experten erklären diese drastischen Maßnahmen damit, dass der Kronprinz Mohammed bin Salman klar machen will, der Wandel im Königreich einer absoluten Monarchie geht alleine von ihm aus. Ist das so?
"Eindruck, dass der Wandel sehr langsam stattfindet"
Wolff: So schätze ich das auch ein. Ich muss dazusagen, ich war jetzt seit unserem Dreh 2015 nicht mehr in Saudi-Arabien. Ich war damals öfter in Saudi-Arabien, und ich hatte den Eindruck, dass der Wandel sehr langsam stattfindet. Jetzt stehen ein paar Lockerungen – in Anführungszeichen – an, aber er hatte, glaube ich, Angst, dass am Ende diese Aufhebung des Fahrverbots in drei Wochen circa die Aktivistinnen, die dafür teilweise Jahrzehnte gekämpft haben, als Siegerinnen hervorgehen.
Sich auch feiern lassen auf den Plattformen, weil sie natürlich auch einen Großteil, so wie ich das jetzt einschätze, der Bevölkerung hinter sich stehen haben, und dann gleich mit der nächsten Forderung kommen: nämlich die Aufhebung der Vormundschaft der Frau, dass Frauen ein Selbstbestimmungsrecht haben. Das steht eigentlich ganz hoch auf der Agenda der Frauenaktivistinnen, und das will der Kronprinz noch nicht gewähren.
Burg: Also eine sehr, sehr gemächliche Liberalisierung, die in seinem Tempo erfolgt und nicht in dem Tempo der Frauenrechtlerinnen.
Wolff: Ja, und vor allem auch in einem Tempo, das er oder der König ausgehandelt hat mit den Religiösen, weil die sind immer in einem Dialog, die treffen Vereinbarungen, weil sie einander gegenseitig auch brauchen. Die Religiösen haben das Volk im Griff – in Anführungszeichen –, weil sie für die Bildung zuständig sind, sie sind für die Schulen zuständig, sie stellen die Lehrer für Grundschulen und Gymnasien, also den entsprechenden, und den Moscheen.
Also sie sprechen direkt zum Volk. Dadurch haben sie das Volk auch so ein bisschen in der Hand, und der König auf der anderen Seite regiert. Der hat die Armee im Griff und ist für gewisse Gesetze halt zuständig, aber er kann nicht einfach machen, was er will.
Burg: Sie haben gesagt, als Sie das letzte Mal da waren 2015, da hatten Sie ja Hissa Hilal schon begleitet. Sie waren auch, wenn ich das richtig verstehe, durch die Medien auf sie aufmerksam geworden und haben dann ihre Bekanntschaft gesucht. Der Druck wurde natürlich größer nachher, also auf Hissa Hilal, nach ihren Gedichten, die sie vorgetragen hat. Wie sehr war es Thema für Hissa Hilal, was sie vor der Kamera sagen darf und was nicht? Wie haben Sie sie da erlebt in ihrer Offenheit?
"Sie war hin- und hergerissen"
Wolff: Sie war hin- und hergerissen. Sie hat sich immer wieder erkundigt oder war vorsichtig. Sie hat vor allem es vermieden, die Regierung oder das Regime zu kritisieren. Sie hat aber keine Angst davor, gewisse Religiöse eben zu kritisieren, und das macht sie teilweise sehr stark, und da beruft sie sich auch auf die beduinische Tradition, denn sie weiß, sie ist in der Wüste geboren in den 60er-Jahren, und damals waren die Beduinen noch nicht so religiös.
Die Beduinen waren eigentlich vom Prinzip her immer eine Opposition zu den Religiösen, und die haben eigentlich die Religion als letztes angenommen. In der Wüste wollten sie immer Freiheit. Sie wollten sich nicht durch irgendwelche Regeln einschränken lassen, die Beduinen, über Jahrhunderte, und da stand ihnen die Religion eher im Weg. Deswegen ist sie, Hissa Hilal, als Beduinin ganz klar eigentlich gegen einen Extremismus, gegen eine Religion, die zu viele Regeln aufoktroyiert.
Burg: Das ist auch sehr zentral in ihrem Film und scheint mir auch irgendwie sehr wichtig, um Hissa Hilals Lyrik und ihre Sicht auf die Welt zu verstehen, oder?
Wolff: Ja, es ist ganz entscheidend, also für mich, das klarzumachen, dass dieser Extremismus, den wir heute in Saudi-Arabien beobachten können, eigentlich ein modernes Phänomen ist. Um noch eins draufzusetzen: Diesen Extremismus gibt es erst seit der Entdeckung des Öls. Das ist sehr interessant, und ich glaube, dass wir Westler da sogar eine gewisse Verantwortung haben, genau hinzuschauen.
Burg: Sie haben eine Situation, zeigen Sie im Auto, die ich ganz interessant finde, in der man so die Atmosphäre auch zu spüren bekommt. Da ist eine mitfahrende Frau im Auto, nicht verschleiert, und ein Mann aus dem benachbarten Auto filmt das. Mich würde interessieren, wie war es eigentlich für Sie zu drehen, wie haben Sie diese Atmosphäre in Saudi-Arabien erlebt?
"Es war sehr wichtig, jemanden dabei zu haben"
Wolff: Also genau diese beobachtenden Szenen in der Straße und im öffentlichen Leben hat meine Co-Regisseurin, die Stephanie Brockhaus, gedreht. Wir haben den Film zu zweit gemacht. Und es wäre auch gar nicht möglich gewesen für mich, den Film alleine zu machen als Mann, einen Dokumentarfilm über so eine saudische Frau, die aus dieser ganz tiefen Beduinenkultur kommt.
Also es war sehr wichtig, jemanden dabei zu haben, immer als Rückhalt, einen Saudi, einen Produzenten, der uns viel geholfen hat, auch bei den Drehgenehmigungen, und der konnte uns immer vermitteln, was geht, was geht nicht, und hat dann dementsprechend auch die Hissa gebrieft und ihr auch teilweise Mut gemacht und ihr gesagt, hier in dieser Mall, da können wir drehen. Wenn da jemand auf euch zukommt, musst du dir überhaupt keine Sorgen machen.
Und dementsprechend haben wir das dann ... , also hat Stephanie dann auch einfach gedreht und hat sich relativ sicher gefühlt. Es gab dann eben teilweise auch Momente, wo es heikel wurde, aber da war dann der Produzent, der Saudi, der Amr al-Kahtani, sofort da und hat die Probleme gelöst mit seiner saudischen Art zu reden einfach.
Burg: Nun ist ja auch Filmemachen neuerdings in Saudi-Arabien erlaubt, Kinos sind erlaubt seit ein paar Wochen. Saudi-Arabien will auch internationale Produktionen jetzt ins Land holen. In Cannes beim Filmfestival gab es dazu eine Pressekonferenz, bei der die Journalisten vom Chef der Kulturbehörde immer wieder wissen wollten, wie das denn genau aussehe, also wie es zum Beispiel aussehe, wenn US-amerikanische Frauen oder europäische Frauen in Saudi-Arabien drehen, ob sie sich dann auch den saudischen zum Beispiel Kleidungsgepflogenheit anpassen müssten.
Und die Antwort war immer, ja, man müsse mal noch einen Code of Conduct erarbeiten, also Verhaltens- und Spielregeln. Genaueres wurde da nie gesagt. Ihrer Einschätzung nach, wie sehr wird sich Saudi-Arabien in dieser Hinsicht öffnen. Also ist denen wirklich bewusst, was sie auch tun, wenn sie diese Produktionen ins Land lassen?
"Auf einmal die Polizei in der Wohnung"
Wolff: Also ich kann mir nicht vorstellen, dass jetzt auf einmal zum Beispiel Dokumentarfilme über saudische Frauen gedreht werden können, dass da auf einmal Drehgenehmigungen ausgestellt werden, zum Beispiel auch für unseren Film. Unter uns gesagt war die Drehgenehmigung jetzt nicht für einen Dokumentarfilm über eine saudische Frau.
Also wir haben da durchaus getrickst, so wie man das vielleicht auch aus dem Iran kennt, aber es wurden bisher einfach so wenige Filme gemacht, so wie wir das im Westen gewöhnt sind, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass die Saudis selbst noch nicht so genau wissen, wie das dann wirklich aussieht und auf was sie sich da einlassen, weil selbst wenn sie Drehgenehmigungen ausstellen: Wir hatten ja eine Drehgenehmigung, aber wir wurden zum Beispiel in dem Städtchen, in dem Hissa lebt, einfach rausgeschmissen.
Also da haben wir eine Woche gedreht mir ihr, vor allem die Stephanie, bei ihr zu Hause, und dann nach ein paar Tagen stand auf einmal die Polizei in der Wohnung und hat gesagt, wir müssen jetzt hier weg. Wir haben unsere Drehgenehmigung gezeigt, haben unsere saudischen Produzenten auch angerufen – der war nicht vor Ort aus verschiedenen Gründen –, und die haben zu uns gesagt, ist ja schön und gut eure Drehgenehmigung, aber die zählt hier nicht, ihr müsste bitte raus.
Das heißt, diese Männer – davon war auch ein offizieller Polizist, aber viele waren auch einfach nur Männer des Städtchens, Religiöse oder selbsternannte Polizisten – haben einfach beschlossen, sie haben keine Lust mehr auf uns, und deswegen mussten wir da raus. Ich glaube nicht, dass selbst der König solche Regeln einfach so durchpeitschen kann von heute auf morgen.
Burg: Andreas Wolff, einer der beiden Regisseure des Dokumentarfilms "The Poetess", der jetzt in einigen deutschen Kinos läuft. Herzlichen Dank, Herr Wolff!
Wolff: Danke auch!
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