Eine Frau befreit sich von ihrem Fluch
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Undine, die geheimnisvolle Wasserfrau, hat es dem Regisseur Christian Petzold angetan. Seine moderne Version des Märchens kommt demnächst ins Kino. An die Arbeit unter Wasser musste Petzold sich erst gewöhnen: "Da konnte ich keine Regieanweisungen geben."
Christian Petzold, preisgekrönter Regisseur von Filmen wie "Barbara" und "Transit", hat sich für seinen neuesten Film "Undine" von der Märchen- und Sagenwelt inspirieren lassen. Die studierte Historikerin Undine (gespielt von Paula Beer) lebt und arbeitet als Stadtführerin in Berlin. Doch hinter ihrem scheinbar gewöhnlichen Leben verbirgt sie ein schwerwiegendes Geheimnis.
Als sie von ihrem Freund (Jacob Matschenz) wegen einer anderen Frau verlassen wird, holt ein Fluch sie ein: Undine muss den Mann, der sie verrät, töten und ins Wasser zurückkehren, aus dem sie einst gerufen wurde. Doch die Undine im Film wehrt sich, anders als die Sagenfigur, gegen ihre Bestimmung. Sie will nicht töten und sie will nicht gehen. Im Moment des Verrats taucht Christoph (Franz Rogowski) auf und sie verliebt sich in ihn. Er ist Industrietaucher und zeigt ihr seine Welt unter Wasser – und am Ende gerät Undine erneut in eine Situation, in der sie sich entscheiden muss.
Bruch mit dem traditionellen Märchen
Die Geschichte greift den schon oft verarbeiteten Mythos von der geheimnisvollen wie unheilvollen Wasserfrau auf, die die Männer, die sie liebt, tötet. Warum gerade ein Märchen? Ihn habe eine moderne Auslegung des alten Stoffes interessiert, den er selbst noch aus seiner Kindheit kenne, sagt Petzold: "Die moderne Form davon ist, dass Menschen wie die Undine sich gegen den Fluch zur Wehr setzen. Weil in den Märchen doch meistens die Mädchen und die Frauen die Opfer sind."
Dass er für den Film viele Tage lang im und unter Wasser drehen musste, habe ihm eigentlich nicht so sehr behagt – "weil ich da als Regisseur keine Regieanweisungen geben kann. Und das gefällt den Schauspielern – eben weil ich keine Regieanweisungen geben kann".
Dennoch fühle er sich immer wieder berührt, wenn er im Fernsehen märchenhafte Filme wie etwa "20.000 Meilen unter dem Meer" von Richard Fleischer sehe – "das ist so traumhaft schön. Da habe ich mich daran erinnert, dass mich als Kind jede Unterwasseraufnahme – ob das nun 'Flipper', 'Der weiße Hai' oder ein Richard Fleischer-Film war – sofort begeistert hat".
Franz Rogowski war begeistert
Seine Crew jedenfalls scheint sich beim Dreh pudelwohl gefühlt zu haben. Schauspieler Franz Rogowski etwa, der vorher noch nie getaucht sei, "war begeistert unter Wasser – der wollte gar nicht mehr raus".
Derzeit sitzt Petzold an der Post-Produktion des Films, der im Frühjahr ins Kino kommen soll. Und nach dem Film ist vor dem Film: Als nächstes wird der Regisseur einen Romanstoff von Georges Simenon verfilmen: eine Dystopie, die Petzold von Frankreich nach Deutschland verlegt.
(mkn)
Ute Welty: Über die Jahrhundert ist Undine eine inspirierende Figur gewesen, dieser weibliche Wassergeist, der erst dann eine Seele bekommt, wenn er sich mit einem Menschen vermählt, aber dafür seine Unsterblichkeit verliert. Der heute schon erwähnte Oscar Wilde und auch Ingeborg Bachmann haben darüber geschrieben, die musikalische Verarbeitung des Stoffes reicht von Tschaikowski bis hinzu Genesis. Jetzt hat sich Regisseur Christian Petzold für Undine als modernes Märchen im Film interessiert – und das aus Gründen.
Christian Petzold: Peter von Matt hat mal ein Buch geschrieben, das hieß, glaube ich, Liebesintrigen. Und da tauchte ein Kapitel über die Undine auf, da erinnerte er noch mal an den Mythos der Undine. Der Mythos ist ja ganz interessant, diese Geschichte, die der Fouqué dann im 19. Jahrhundert aufgeschrieben hat, was auch ein großer Erfolg war. Das ist, wenn ein Mann eine Frau liebt und diese Frau liebt ihn nicht anständig zurück …
Welty: Was ist denn anständig zurücklieben?
Petzold: So, dass man auch sich geliebt fühlt. Und ist der Mann verzweifelt, dann hat er die Möglichkeit, in den Wald zu gehen, zu einem Waldsee, in dem die Undine lebt, und die Undine zu rufen, die dann aus dem Wasser kommt und nackt und schön ist und ihm ewige Liebe schwört – aber unter der Voraussetzung, dass er auch sie ewig lieben wird. Wenn er sie verlässt, muss sie ihn töten, das ist der Vertrag. Aber so ist das nun mal, wenn man von einer sehr schönen Frau geliebt wird, und die Welt sieht das, dann wird man wieder begehrenswert. Und dieser Mann wird auch wieder begehrenswert für die Frau, die er eigentlich liebt, die ihn dann umgarnt. Und er lässt sich umgarnen und möchte diese Frau heiraten. Und in der Hochzeitsnacht kommt dann die betrogene Undine in das Hochzeitsgemach in einer Wasserblase, nackt in einer Wasserblase, und umarmt den Mann, zieht in also in die Blase, bis er ertrunken ist. Dann fällt das Wasser ab von ihr, und sie sagt, ich habe ihn totgeweint, und geht zurück in den Waldsee. Diese Geschichte hat mir immer schon sehr gefallen, aber jetzt bei mir ist die Undine eine junge Historikerin in Berlin, die in einer Senatsstelle für Stadtentwicklung arbeitet.
Warum es wichtig ist, Märchen zu erzählen
Welty: Das klingt jetzt wenig romantisch.
Petzold: Ja, gegenüber ist das Märkische Museum, da beginnt schon wieder die Berliner Romantik.
Welty: Okay, bin ich beruhigt.
Petzold: Ja, und da in dem Café fängt der Film ja auch an. Da sitzt sie und wird verlassen – und sie sagt zu dem Freund, der sie verlässt, pass mal auf, das geht nicht. Du weißt, wenn du mich verlässt, du hast mir ja versprochen, dass du mich immer liebst, wenn du mich verlässt, dann muss ich dich töten. Ich gehe jetzt hier rüber, ich habe eine Führung in der Senatsstelle, dann komme ich wieder zu dir zurück. Du sitzt dann noch hier, nimmst mich in die Arme, du küsst mich, du sagst, du liebst mich, aber wenn du gehen solltest, dann musst du sterben. Das ist der Anfang. Dann geht sie hinüber und hält einen Vortrag über Berlin und sie kommt zurück, und er ist nicht mehr da, aber sie will nicht mehr töten. Und das ist ihre Geschichte.
Welty: Das heißt, die Geschichte bricht mit dem Mythos, aber trotzdem bleibt ja genug Sagenhaftes und auch Märchenhaftes übrig, denn Sie sagen ja selber von Ihrem Film, es ist ein modernes Märchen. Warum ist es so wichtig gerade in der jetzigen Zeit, Märchen zu erzählen?
Petzold: Na ja, in Märchen ist ja viel vorhanden. Ich kann mich selber erinnern, ich habe meinen Kindern und mir selber wurde auch das Gesamtwerk von den Grimms Märchen und Andersens Märchen und Hauffs Märchen vorgelesen. Und wenn zum Beispiel heute Hauff liest, dann weiß man heute sogar noch, was es bedeutet, einen Wald abzuholzen und was der Kapitalismus mit der Welt anstellt oder was der Bürgerkrieg oder der dreißigjährige Krieg mit Menschen anstellt. Und Ängste bleiben in den Märchen erhalten, und wir verstehen sehr, sehr viel. Die moderne Form davon ist Menschen wie die Undine, die sich gegen den Fluch und das Märchen zur Wehr setzen, weil in dem Märchen doch meistens die Mädchen und die Frauen die Opfer sind.
"Traumhaft schön"
Welty: Welche Rolle spielt Wasser für Sie als Sujet und auch das Verhältnis von Menschen zum Wasser?
Petzold: Na ja, das war so, wir haben viele, viele Tage in Babelsberg im Studio unter Wasser gedreht. Das ist etwas, was mir nicht gefällt, weil ich da als Regisseur keine Regieanweisungen geben kann, das gefällt den Schauspielern, weil ich keine Regieanweisungen geben kann.
Welty: Sprechen unter Wasser ist halt schwierig.
Petzold: Ja. Gleichzeitig fiel mir aber ein, dass ich zum Beispiel über Weihnachten, wenn man da noch in den dritten Programmen nachmittags Märchenfilme sieht, 20.000 Meilen unter dem Meer, Richard Fleischer zum Beispiel. Und da ist unter Wasser James Mason bei einer Unterwasserbeerdigung, das ist so traumhaft schön, da habe ich mich daran erinnert, dass ich als Kind jede Unterwasseraufnahme, ob das nun Flipper, der weiße Hai oder eben ein Richard-Fleischer-Film, mich sofort begeistert hat, weil Unterwasser ist eine Traumwelt.
Welty: Und eine Herausforderung.
Petzold: Ja, das war gar nicht so schlimm. Man hat das Gefühl, da gibt es eine Menge Spezialisten. Es gibt fantastische Kameraleute, die unter Wasser super Aufnahmen machen können. Der Franz Rogowski, der bis dahin noch nie getaucht ist in seinem Leben, war begeistert unter Wasser, der wollte gar nicht mehr raus. Die Paula Beer, die hatte vorher in Paris schon für einen französischen U-Boot-Film schon Tauchtraining gehabt und hat natürlich dadurch auch den Ehrgeiz vom Franz Rogowski angestachelt, weil sie ja wirklich dann Undine war und unter Wasser sich sehr anmutig bewegte, wo er dann wirklich unter Druck stand.
Mit "Transit" auf Barack Obamas Lieblingsfilm-Liste
Welty: Mit den Hauptdarstellern, mit Paula Beer und Franz Rogowski, haben Sie schon für "Transit" zusammengearbeitet. Den Film hat der ehemalige amerikanische Präsident Obama jetzt auf seine All-Time-Favourite-Liste gesetzt. Was sagen Sie dazu?
Petzold: Konnte ich erst nicht glauben, weil ich ja kein Twitter und sowas habe, ich bin ja nicht in sozialen Netzwerken zu Hause. Meine Kinder schon, die wussten das schon. Die erste Reaktion war wie meine erste Zwei in Mathe.
Welty: Also doch irgendwie top?
Petzold: Ja, das hat mich sehr gerührt und auch stolz gemacht.
Welty: Was bleibt jetzt noch zu tun für "Undine"?
Petzold: Jetzt für mich als Regisseur? Ich muss jetzt noch den Ton machen, das hat ja auch was mit unter Wasser zu tun, weil das eine Herausforderung ist, die Stille und gleichzeitig die Lautstärke, die unter Wasser herrscht. Und der Franz Rogowski spielt ja einen Industrietaucher, der an Staumauern im Rheinland und im Bergischen Land arbeitet.
Unter Wasser herrscht eine zauberhafte Stille
Welty: Da kann es ganz schön laut sein oder?
Petzold: Ja, das ist sehr, sehr laut und trotzdem ist es still. Das ist so eine … Es gibt da heute diese Kopfhörer, die so Rauschunterdrückung im Flugzeug machen. Da hört man dann erst mal, wie laut ein Flugzeug ist. Und so ähnlich ist es unter Wasser: Da ist jedes Geräusch, jeder Schall wesentlich stärker und gleichzeitig herrscht eine nonverbale Stille. Und das ist sehr zauberhaft. Ich war kein einziges Mal unter Wasser, ich bin noch nie getaucht – und das hat man mir auch ein bisschen zum Vorwurf bei den Dreharbeiten gemacht
Welty: Nach dem Film ist ja bekanntlich vor dem Film. Welche anderen Ideen haben Sie gerade im Kopf, bewegen Sie schon im Kopf für den nächsten Film?
Petzold: Na ja, ich habe ja jetzt sechs Jahre lang jedes Jahr einen Film gedreht. Das ist schon eine gewisse Erschöpfung, die sich da einstellt, weil ich die ja auch selber schreibe und finanzieren muss, Akquise betreiben muss, wie das so heißt. Aber ich habe die Rechte an einem Simenon-Roman erstanden, "Der Schnee war schmutzig", das ist eine sehr brutale Geschichte, die in einem besetzten Land spielt. Ich möchte das in Deutschland spielen lassen, das von sich selbst besetzt ist. Da bin ich gerade dran, das zu schreiben, ich hoffe, dass ich das Drehbuch so im April, Mai fertig habe.
Welty: Ein Dystopie?
Petzold: Ja, das ist eine Dystopie, die aber sehr real ist.
Welty: Kinostart von "Undine" ist sehr wahrscheinlich Ende März. Danke für den Besuch!
Petzold: Danke schön!
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