Ein neues Bild schwuler Männlichkeit
Homosexualität in Zeichnungen und Comics unterzubringen war noch vor wenigen Jahrzehnten nahezu unmöglich. Ein Pionier war hier der Zeichner Touko Laaksonen, besser bekannt als "Tom of Finland". Ein Film von Daome Karukoski erzählt jetzt dessen Geschichte.
Susanne Burg: Muskelprotze, die unrealistischer aussehen als griechische Statuen mit ihren schmalen Hüften und großen Oberkörpern – das sind die Männer, die die Zeichnungen von Touko Laaksonen bevölkern. Besser bekannt ist Laaksonen unter dem Pseudonym "Tom of Finland".
Ein neuer Spielfilm erzählt jetzt die Geschichte dieses Künstlers, der in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts mit seinen Zeichnungen ein ganz neues Bild schwuler Männlichkeit entwarf und zu einer der wichtigsten Figuren der Schwulenbewegung wurde. Assoziativ offenbart sich im Film ein Leben, das zunächst von Heimlichkeit geprägt ist: Laaksonen kommt nach dem Zweiten Weltkrieg in ein trostloses Finnland zurück, in dem Homosexualität illegal ist. Er muss seine sexuellen Begegnungen äußert diskret angehen, auch wenn sein Freund das anders sieht.
Das aber ändert sich dann im Laufe der Zeit. Aus Laaksonen wird in den USA "Tom of Finland" und viel später wird er dann auch in Finnland bekannt. Vor einigen Jahren wurde er sogar mit einer eigenen Briefmarke geehrt. Als ich den Regisseur des Films traf, Dome Karukoski, habe ich ihn zunächst gefragt, was sein Status bei Finnen ist und ob er inzwischen zu einem Helden avanciert ist.
Dome Karukoski: Also die Anerkennung erfolgte bei Tom of Finland erst relativ spät, als er im Sterben war, und 1991, als er dann starb und eigentlich in der Welt wirklich berühmt war, kannte man ihn in Finnland fast noch überhaupt nicht. Das hat sich mittlerweile verändert. 2014 ist ein Café nach ihm benannt worden, es hatte diesen Film gegeben, man hat plötzlich in Magazinen über ihn geschrieben. Er bekam diesen Stempel des guten Finnen aufgedrückt, jemand, der gekämpft hat, der ein Veteran war, der etwas getan hat für das Land. Selbst die Nationalisten freuten sich plötzlich, dass er ein guter Finne war, auch wenn sie mit seiner Kunst eigentlich gar nichts anfangen konnten. Aber da er eben gegen Unterdrückung gekämpft hat, sich für Meinungsfreiheit äußerte, war er dann irgendwann ein Held.
Einer, der sich auflehnt
Burg: Wann sind Sie erstmals seinem Werk begegnet? Es gibt ja einen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1991, und wann haben Sie dann beschlossen, einen Spielfilm zu drehen?
Karukoski: Ich war sehr, sehr jung, als ich das erste Mal irgendwie was von Tom of Finland mitbekommen habe, in irgendeinem Comic. Ich muss so 12, 13 gewesen sein, und damals, als Junge, denkt man ja nur, Mann, haben die Männer große Schwänze, werden die wirklich mal so groß, also so auf dem Level war das vielleicht. Erst sehr viel später, also im Jahr 2011, als ich mich viel näher mit ihm auch als Künstler befasste und auch merkte, mit wie viel Stolz er gearbeitet hat und dass er versucht hat, in seine Kunst, den Figuren, die er dort porträtiert hat, ihnen klarzumachen, schämt euch nicht, steht dazu, was ihr seid, steht zu eurer Sexualität, genießt es einfach. Es ging einfach auch um Freiheit.
Natürlich ging es auch um schwulen Sex, das war ein sehr wichtiges Element, aber ich hab vor allen Dingen gemerkt, er ist unterdrückt worden, das, was er tat, galt damals als illegal, seine sexuelle Orientierung, und er hat sich dagegen aufgelehnt. Insofern funktioniert, glaube ich, die Geschichte von Tom of Finland einfach auch als eine Geschichte von jemandem, der sich auflehnt, der nach Freiheit sucht, nach Meinungsfreiheit, und man muss seine Zeichnungen eigentlich gar nicht kennen, um diese Geschichte zu erzählen.
Burg: Im Film geht es ja um seine Biografie, um seine Entwicklung als Künstler, aber auch um die gesellschaftliche Situation von Schwulen in Finnland und in den USA. Es greift alles ineinander. Wie schwierig war es, all diese Handlungsbögen zusammenzuhalten?
Karukoski: Nun, das war schon sehr schwierig. Wir haben 39 Versionen dieses Drehbuchs geschrieben, und wir haben wirklich alles versucht. Es war so ein bisschen trial and error, man versucht etwas, spürt, was funktioniert, was nicht funktioniert. Wir haben beispielsweise versucht, gewisse Teile zu animieren, wenn es um seine Kunst geht, wir haben versucht, den ersten Akt erst in den USA zu erzählen und dann nach Finnland zu wechseln, und das hat sich dann so ganz langsam aufgebaut. Wichtig war uns, dass fünf bis sechs sehr wichtige Phasen seines Lebens einfach vorkommen, und der Krieg spielt da schon eine große Rolle. Ich finde, dass der Krieg in Finnland ein bisschen zu stark benutzt worden ist, das ist aber hier anders, weil den Zweiten Weltkrieg aus der Sicht von Tom of Finland zu sehen, das ist etwas ganz Einmaliges.
Der Krieg hatte gute und schlechte Auswirkungen in seinem Leben, weil er auf der einen Seite natürlich den Sex ausleben konnte, eben vor allen Dingen nachts, seine ganze Fetischisierung von Uniformen fängt praktisch mit diesem Krieg an, aber der Krieg ist eben auch tragisch, weil er zum Beispiel gezwungen ist zu töten. Und all das spielt eben eine sehr große Rolle, und das haben wir dann auch ins Drehbuch mit einfließen lassen. Es gab so gewisse Schlüsselwörter, die uns wichtig waren: Freiheit beispielsweise war das eine, oder Zuhause. Er war ja immer außerhalb von irgendwelchen Gemeinden und hat sein wahres Zuhause dann wirklich erst in Los Angeles gefunden.
Entwicklung eines Künstlers
Burg: Im Film geht es ja auch um seine Kunst. Ich fand interessant, wie Sie seine Kunst zeigen. Am Anfang seiner Karriere hat er im Geheimen gezeichnet. Als er bekannter wurde, hat ihn das auch in seiner Kunst bestätigt und er wurde selbstsicherer. Im Film sieht man seine Kunst als Zuschauer anfangs nur ganz, ganz flüchtig, sekundenlang, später dann sehr ausführlich. War das Teil des Konzepts, seine Haltung zur Kunst auch auf diese Weise im Film zu spiegeln?
Karukoski: Zu Beginn des Films sind die Zeichnungen durchaus anders als im Verlaufe des Films, da haben Sie vollkommen recht, das haben Sie richtig erkannt. Er wird immer ausdrucksstärker, und er wird auch als Künstler natürlich immer besser. Wir haben zusammen mit der Tom-of-Finland-Stiftung gearbeitet, die die gesamten Rechte an seinem Werk hält, und dadurch konnten wir das auch sehr gut darstellen, was sich in seinen Zeichnungen wirklich verändert hat, wie er immer selbstbewusster letztendlich auch wurde. Und wir haben dann diese Zeichnungen auch praktisch benutzt wie Schlagzeilen, wie so eine Art Kapitelüberschriften. Wenn man zum Beispiel einen Gefängniswärter in einer Zeichnung sieht, dann weiß man, was in der Szene danach passiert. Insofern üben diese Zeichnungen auch eine dramaturgische Funktion aus.
Burg: Tom of Finland wird dann auch in die USA eingeladen und sah dort in L.A. eine sehr lebendige, offene schwule Szene. Er tauchte dort in die Lederszene ein und begann das zu zeichnen. Er hat damit dem damaligen Klischee von Schwulen als feminin und schwach entgegengewirkt, aber heutzutage gibt es genügend Stereotype über genau diese Lederszene. Wie schwierig fanden Sie es, Bilder für diese Szene zu finden und nicht die Klischees zu bedienen?
Karukoski: Nun, Tom of Finland hat ja diesen Stereotyp wirklich geschaffen, und er wollte das ja. Er wollte ja wirklich diesen schwulen Mann in Lederklamotten mit Schnurrbart und so, das wollte er wirklich zeigen, und er wollte damit eben gegen ein anderes Klischee ankämpfen, nämlich gegen das Klischee des schwächlichen Homosexuellen mit so einer hohen Stimme. Er wollte diesen starken, kämpferischen Schwulen, und das war sein Fetisch, und das hat er gezeichnet. Und dann kommt er in die USA und merkt plötzlich, dass seine Zeichnungen lebendig geworden sind, dass das wahr geworden ist, was er sich immer gewünscht hat. Das war für ihn ein ganz revolutionäres Gefühl letztendlich.
Wie man heute mit zeitgenössischen Augen darauf schaut, das ist natürlich etwas schwieriger. Wenn heute ein junger 16-jähriger homosexueller Junge das sieht, das ist vielleicht eine interessante Frage, aber letztendlich geht es ja hier um die Geschichte. Es geht um die Geschichte von Tom und wie er sich entwickelt hat, und deswegen war ich jetzt nicht besonders vorsichtig oder habe versucht, irgendwelche Klischees zu vermeiden, sondern ich zeige einfach das, was damals geschehen ist, und das ist nun mal diese Story, das ist nun mal die Geschichte. Und ganz egal, wo man sich heutzutage in der Schwulen- und Lesbenszene verortet, ich glaube, dass man das auch versteht.
Burg: Er fand zuerst in den USA künstlerische Anerkennung. Sein Pseudonym Tom of Finland entstand, als ein Zeichnung 1957 Cover einer Zeitschrift war. Wie kam dieser Name zustande?
Karukoski: Das geschah ein bisschen so, wie wir es auch im Film darstellen. Da war eben dieser Redakteur, und der meinte nur, bei Tom denkt man an Tom und Jerry, Tom alleine reicht einfach nicht aus, wir müssen da noch was anderes finden. Und nach einem Briefwechsel, wo es ein bisschen hin und her ging und wo der Name Tom of Finland dann zum ersten Mal erwähnt wurde, hat er es dann irgendwann akzeptiert. Er wollte zunächst eigentlich eher Tom of London heißen, aber die Amerikaner fanden einfach, dass Tom of Finland irgendwie geheimnisvoller ist, ein bisschen seltsamer ist. Es war ja nicht so, dass Tom sich für Finnland geschämt hat, er mochte ja sein Land, er war in gewisser Weise auch stolz darauf. Er hatte ja im Unabhängigkeitskrieg gegen die Sowjetunion gekämpft, und insofern hatte er dann, glaube ich, keine Probleme mit diesem Namen.
Heute sind die Finnen stolzauf ihn
Burg: Sie haben ja beschrieben, dass es dauerte, bis Tom of Finland bekannt und anerkannt wurde. Das ist nun schon seit einiger Zeit der Fall. Wo steht er im Jahr 2017 in der Kunstgeschichte, und sollte man ihn in irgendeiner Hinsicht neu betrachten oder einordnen?
Karukoski: Ich denke, wir finden da eine Antwort in seiner Kunst. Er hat einen großen Einfluss hinterlassen. Einerseits sieht man heute wirklich 15-jährige Mädels, die mit Tom-of-Finland-T-Shirts durch die Straßen laufen – nicht alles in seiner Kunst hatte ja mit Sex zu tun, sondern sehr viel eben auch einfach nur mit einer gewissen Lebensfreude, mit einem gewissen Stolz. Tom of Finland war eben ein Künstler, der sehr detailgenau gearbeitet hat, der hat einfach auch sehr schöne Männer porträtiert.
Dann gibt es vielleicht noch den Einfluss, den er insgesamt auf die finnische Gesellschaft hatte mit seiner Kunst. Viele behaupten, dass er wahrscheinlich in der Top 5 der Leute ist, die in Finnland etwas bewegt haben, wenn es darum geht, wie man heute zum Beispiel auf Homosexuelle schaut. Und wenn man sich dann noch als Drittes zum Beispiel anschaut, wie Männer heute posieren, wenn man Instagram anschaut oder Werbung, wie Rafael Nadal in Unterwäsche in einem Boxershirt posiert, die ganze Lichtsetzung, all das stammt von Tom of Finland. Der ist einer der einflussreichsten Künstler überhaupt der letzten Jahre, und das sieht man in der Werbung, und das ist auch die Art, wie Männer sich heutzutage zeigen, ganz egal ob sie hetero oder homosexuell sind.
Burg: Thank you very much!
Karukoski: Thank you very much, danke schön!
Burg: Der finnische Regisseur Dome Karukoski – er hat den Spielfilm "Tom of Finland" geschaffen, der am Donnerstag bei uns anläuft. Der Film ist übrigens auch der finnische Kandidat bei den Auslands-Oscars.