Mannsbilder und Hundekämpfe

Es ist ein eiskalter und brutaler Film, den Kaan Müjdeci gemacht hat. Sein Streifen über Hundekämpfe in Ost-Anatolien ist in diesem Jahr der türkische Oscar-Beitrag. Im Interview erzählt er, was Hundekämpfe mit der Männerwelt gemein haben.
Susanne Burg: Sie haben 2012 einen Dokumentarfilm gedreht über Hundekämpfe in Zentralanatolien. Was hat Sie daran so fasziniert, dass Sie beschlossen haben, gleich noch einen Spielfilm hinterherzuschieben?
Kaan Müjdeci: Eigentlich schreibe ich zuerst ein Drehbuch, und danach wollte ich lernen, wie geht dieser Kampf und wie ist diese Hundepsychologie, wie ist die Beziehung von Hund und Besitzer. Und ich wollte diese Dinge wissen, und deswegen sind ich, Falko, unser Kameramann, und mein Bruder dort hingegangen und haben acht Kampfhunde genommen und dann angefangen zu drehen. Ich beobachtete die Hunde, und wenn ich Hunde beobachte, verstehe ich auch mehr von den Menschen. Es sieht so gleich, so ähnlich aus.
Burg: Was sieht ähnlich aus? Die Menschen sehen ähnlich aus wie die Hunde?
Müjdeci: Ja. Die Hundepsychologie, die Psychologie des Hundekampfes, Männerweltpsychologie, das war sehr ähnlich. Und dann schreibe ich weiter.
Burg: Diese Psychologie, die Sie beschrieben haben – klar, man sieht ganz viele Hundekämpfe, man sieht aber auch eben die Dynamik zwischen den Dorfbewohnern. Im Zentrum steht ja ein Junge, elf Jahre, Aslan, der so ein bisschen anders funktioniert als alle anderen. Was ist das für eine Psychologie zwischen diesem Jungen ...
Müjdeci: Ich habe drei verschiedene Elemente: Ein Element sind Tiere, Hunde, ein Element sind die Kinder, und das andere Element sind Männer. Aslan ist ein Zwischenelement. Er will entscheiden, soll er ein Tier bleiben oder will er ein Mann sein. Die Realität ist, so in Richtung Tier oder in Richtung Männerwelt zu gehen.
Burg: Was ist der Unterschied zwischen der Tier- und der Männerwelt?
Müjdeci: Zum Beispiel, wenn ein Löwe ein Zebra tötet, ist das kein großes Problem. Der Löwe braucht dieses Fleisch, tötet, jeder kann das verstehen. Aber wenn ein Mensch eine Katze tötet, ist das eine sehr andere Ebene der Gewalt.
Ein unglaublich brutaler Sport
Burg: Man versucht ja auch zu verstehen, was die Faszination ist der Dorfbewohner für diese Hundekämpfe. Das ist ja ein unglaublich brutaler Sport. Man sieht dann auch in dem Film sehr viele blutende Hunde, und offensichtlich funktioniert auch die Machtstruktur innerhalb des Dorfes über diese Hundekämpfe. Aslans Reputation steigt, als sein Hund die Hundekämpfe gewinnt.
Müjdeci: Ja, das stimmt. Diese Brutalität ist ein Element für mich, ich brauche dieses Bild. Und wenn ich einen Film über Ballettkunst machen würde oder über Picasso, benutze ich andere Elemente. Ich brauche ein Element für Gewalt, ich brauche ein Element für Macht. Für mich ist das eigentlich eine Metapher, so ein Hund. So groß, so hübsch, so kraftvoll, und auch so sehr tierisch. Deswegen habe ich dieses Element so genutzt. Und ich sagte ja, das passt gut zur Männerwelt. Die Männerwelt ist leider so, so brutal.
Burg: Sie selbst sind in Ankara aufgewachsen. Wie fremd waren Ihnen denn diese dörflichen Strukturen in Zentralanatolien?
Müjdeci: Ich gehe eigentlich in jedem Sommerurlaub dorthin, aber ich kann diesen Film auch in Marzahn drehen. Ich kann in Marzahn in ein Männercafé gehen mit vielen Deutschen, einen Pitbull mitnehmen – dann gibt es das auch hier in Berlin, Hundekampf. In Anatolien ist es günstiger, einen Film zu drehen, und ich habe kein Fördergeld. Es ist mein erster Film, ich kenne diesen Ort – deswegen habe ich ihn dort gemacht. Aber diese Männerwelt ist überall so ähnlich, leider. In Dänemark zum Beispiel. In Dänemark gehen viele Junge an die See und töten diese Delfine. Das ist auch sehr brutal, sehr blutig, aber in Dänemark, im modernen Staat.
Burg: Die ganze Szenerie ist kalt, die Männer tragen immer Jacken. Die Landschaft ist sehr karg. Welche Rolle spielt eigentlich die Landschaft?
Müjdeci: Danke schön für diese Frage! Das muss alles zusammenpassen, und ich habe extra im Winter gedreht, weil diese Brutalität ist immer sehr kalt. Ich habe extra sehr kalte Farbe benutzt. In diesem Dorf zum Beispiel kannst du keinen einzigen Baum mehr sehen, gibt es nicht. Ganz weit weg, in der Steppe. In Ostdeutschland ist es auch so ähnlich, zum Beispiel. Die Geografie in Ostdeutschland und der Charakter der Menschen, das passt. Und das spielt natürlich eine sehr große Rolle. Wenn ich hier an meinen Filmen arbeite, will ich das in Ostdeutschland machen. Das ist eine sehr gleiche Männerkultur, aber die Geografie ist auch ähnlich, fast gleich.
Manche Szenen wirken fast dokumentarisch
Burg: Man sieht also jetzt im aktuellen Film, wie dann die ganze Dorfgemeinschaft aufbricht zu einem anderen Hundekampf, der offensichtlich nicht ganz legal stattfindet. Und da trifft man sich, und es treten nun mehrere Hunde gegeneinander an. Das findet in so einem Kessel statt, und drumherum sind ganz viele Männer, die zugucken, und es ist so eine Spannung in der Luft. Diese Szene wirkt fast dokumentarisch. Wie haben Sie das gedreht?
Müjdeci: Ich habe nach ganz normaler Filmlogik gedreht, aber mit Dokumentarmaterial. Ich habe mehr als tausend Kinder ausgesucht, ich habe ein Casting gemacht und mich für ungefähr 40 Kinder entschieden. Damals habe ich dreimonatige Schauspiel-Workshops, und damals habe ich gesehen, diese Kinder sind superwild. Ich habe gesehen, die Hunde sind auch sehr wild. Da dachte ich, okay, dann brauche ich auch eine sehr wilde Kamera, und habe mich für diese Bilder entschieden. Ich habe extra viele Fehler gemacht. Ich denke, Kamerafehler führen näher an die Realität.
Burg: Ihr Film ist nun der türkische Oscar-Beitrag für das kommende Jahr. Was bedeutet es Ihnen? Sie leben ja seit 2003 in Berlin.
Müjdeci: "Sivas" war sehr erfolgreich. Eröffnung der Filmfestspiele Venedig –
Burg: 2014.
Müjdeci: Ja, 2014. Er war auf mehr als 60 Festivals und hat sehr viele Preise bekommen. Und in der Türkei gibt es Leute, 14 Leute von jedem Bereich, die dann entscheiden, welcher Film ist erfolgreich und kann passen für den Oskar. Diese Leute haben sich für meinen Film entschieden. Ich wohne hier, aber mein zweiter Film kann auch Deutschlands Beitrag sein. Für mich ist das wirklich egal. Ich mache Filme. Ich bin nicht Nationalsportler.
Burg: Sie haben in Berlin eine Bar betrieben, jetzt einen Laden. Finanziert wurde der Film "Sivas" überwiegend durch private Investoren. Ist das wichtig für Sie, um diese Unabhängigkeit zu behalten, Ihre Filmprojekte auch so zu machen, wie Sie sie machen wollen? Weil Sie könnten ja jetzt auch sagen, ich begebe mich in die Hände der deutschen Filmförderung.
Müjdeci: Das ist sehr wichtig für die Freiheit, natürlich. Mein Film ist für einen ersten Film keine gute Entscheidung: 30 Kinder, 30 Hunde, wildes Anatolien – also ehrlich ... wer zahlt für diesen Film und Erstling? Niemand. Aber für meine Freiheit ist das natürlich sehr, sehr wichtig, unabhängig zu bleiben. Ich kriege kein Fördergeld wegen solcher Risiken. Und für meinen zweiten Film wollte ich mich bewerben, weil es nicht möglich ist, das nur über privates Geld zu machen. Film ist super-teuer. Aber ich muss ehrlich sagen, wenn die dann anfangen, mein Drehbuch anzufassen, gebe ich dieses Geld wieder zurück.
Burg: Dann werden Sie zum Kampfhund?
Müjdeci: Ja... das passt nicht zu meinem Charakter. Ich bin leider ein bisschen ein Kontroll-Freak. Nein. Das geht nicht.
Burg: Dann sind wir gespannt auf das zweite Projekt.
Müjdeci: Mal sehen, was dann, wenn niemand mir Geld gibt ...
Burg: Den aktuellen Film, den kann man nach einer langen Reise durch die Festivals nun bei uns auch im Kino sehen. Seit Donnerstag läuft "Sivas" in den deutschen Kinos. Kaan Müjdeci ist der Regisseur – herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Müjdeci: Danke schön!
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