Porträt einer unvollkommenen Mutter
Im Mittelpunkt von Leszek Dawids Filmdebüt "Ich heiße Ki" steht eine alleinerziehende Mutter. Keine Heldin, die sich aufopfert, sondern eine Frau, die sich auch selbst verwirklichen möchte - und dafür Grenzen überschreitet. Der Regisseur erzählt, was ihn an Ki fasziniert.
Patrick Wellinski: Der Film ist ein sehr ungewöhnliches Porträt einer alleinerziehenden Mutter. Wie haben Sie diese Figur gefunden? Gibt es sie vielleicht sogar wirklich?
Leszek Dawid: Nun ja, Ihre beiden Fragen laufen komischerweise auf eine Antwort hinaus, denn die Idee für den Film haben wir direkt aus dem Leben geholt. Und: Ja, Ki existiert wirklich und so hat meine Filmfigur eine reale Entsprechung. Vor allem mein Drehbuchautor kannte sie sehr gut und hat seine Erfahrungen direkt in das Skript einfließen lassen.
Wellinski: Was war denn das Interessante, dass sie gesagt haben, daraus muss ein Film entstehen?
Dawid: Auf der einen Seite war an dieser Geschichte etwas Unberechenbares, das mich gereizt hat. Auf der anderen Seite gibt es hier auch einen sehr tiefen Einblick in das Leben einer gewissen Person, etwas das ich unbedingt inszenieren wollte. Der Film ist ja ein Porträt einer Mutter, einer polnischen Mutter um genau zu sein. Das ist ja das Idealbild einer Frau, die sich aufopfert und ihr ganzes Leben in den Dienst der Familie stellt. Ki ist nicht so – klar ist sie eine Mutter, aber sie will alle anderen Lebensbereiche trotzdem nicht aufgeben. Dafür überschreitet sie Grenzen. Ich gebe zu, ich hatte auch ein bisschen Angst vor dieser Figur und ihrem Handeln, aber als Regisseur will ich das ja dennoch zeigen. Genau in dieser Schnittmenge von Angst und Neugier liegt meine Faszination für diese Geschichte. Als wir den Film gezeigt haben, haben viele Zuschauer gesagt, dass sie selbst so eine Ki kennen oder kannten. Also haben wir wohl durchaus etwas erzählt, das man verallgemeinern kann.
Wellinski: Ki hat einen kleinen Sohn, und es gibt sehr zärtliche Momente zwischen Mutter und Kind, aber das sind nur ein paar Sekunden. Ist Ki denn eine gute Mutter?
Dawid: Das ist eine sehr schwierige Frage, sie ist kaum zu beantworten. Ich habe diesen Film auch nicht gemacht, damit man Ki in irgendeiner Form beurteilt. Der Zuschauer sollte nicht in die Verlegenheit kommen, diese Frau als Fallstudie zu begreifen. Es ging mir viel eher darum, auf unser aller Unwohlsein zu verweisen, das sich nun mal einstellt, wenn wir Kis Verhalten beobachten, dass wir sie eben be- und verurteilen wollen, weil eben alle es immer besser wissen.
Die Momente mit ihrem Sohn sind da ja zentral, weil Ki für den Kleinen verantwortlich ist. Für das Verhältnis zu ihm muss sie arbeiten. Sie ist ja sonst gegen die ganze Welt, jeder ist ein potenzieller Feind. Damit sie aber insgesamt nicht allzu unsympathisch wirkt, mussten wir die Szenen mit ihrem Kind anders inszenieren, da musste sie anders wirken. Für ihn will sie warmherzig sein, will nur das Beste für ihn, aber letztlich weiß sie einfach nicht wie sie das anstellen soll.
Wellinski: Genau, sie ist nämlich auch eine sehr nervige Figur. Keine wirkliche Symphatieträgerin. Was faszinierte Sie, Ihren ersten Spielfilm gleich mit einer so provokativen Figur zu gestalten?
"Ki macht es uns da wirklich nicht leicht"
Dawid: Ja das war die größte Herausforderung, denn wir sind ja alle daran gewöhnt, dass der Filmheld normalerweise zu 99 Prozent ein Sympathieträger ist. Dadurch können wir uns mit ihm identifizieren und erleben seine Reise besonders intensiv. Ki macht es uns da wirklich nicht leicht. Manchmal ist sie richtiggehend arrogant und dreist. Aber solche Figuren wie Ki umweht auch immer eine gewisse Unruhe, die sie letztlich wieder zu Helden machen kann. Das funktioniert dann nicht nur über die Empathie, wobei es übrigens Zuschauer gab, die Ki durchaus für sich einnehmen konnte. Zugegeben, es waren wenige, die meisten waren doch eher irritiert.
Und darum ging es mir: Ki sollte wie ein Ameisenhaufen sein, unmöglich zu ignorieren, man muss sich mit ihr auseinandersetzen. Ich gebe zu, im ersten Moment willst du sie einfach nur schütteln, doch dann fragst du dich, was ist eigentlich mit ihr los? Was genau ist ihr Problem? Und wissen Sie, diese Reaktion ist ja gewöhnlich – wir alle haben Menschen um uns herum, die uns mit ihrem Verhalten oder ihren Ansichten irritieren und verwundern, und wir können nicht alle einfach aus unserem Leben verbannen, wir müssen uns irgendwie zu ihnen verhalten. Vielleicht halten wir kurz inne und beginnen dann, diese Menschen zu verstehen. Das ist nicht immer leicht, klar, aber der einzige Weg um sie wirklich zu begreifen.
Wellinski: Dazu nimmt sich Ki, was sie will. Ihre eigene Welt ist sehr bunt und voller Extreme. Donn wenn dann Männer in ihr Leben treten, dann ändert sich auch der Look des Films, wird viel rauer, naturalistischer. Wie verhalten sich denn die Männerfiguren zu der Weltsicht von Ki?
Dawid: Das Stimmt, Kis Welt ist bunt, und sie ist auch bunt und überall wo sie erscheint, bringt sie eine ordentliche Portion Chaos mit. Natürlich passiert das auch, wenn sie Männer trifft. Als wir das Drehbuch verfasst haben, haben wir nach Figuren gesucht, die mit diesem Chaos umgehen können, die Ki auch die Stirn bieten können. Die meisten Männer können das nicht, aber Miko, gespielt von Adam Woronowicz, der hatte das gewisse Etwas, schon beim Casting war uns das aufgefallen. Denn Ki schafft es ja, jeden Menschen um den Finger zu wickeln, Männer sowieso, aber gegenüber Miko muss auch sie sich neu definieren, muss sich erklären, warum sie so ist wie sie ist, warum sie sich so verhält. Das macht sie nicht, um ihn zu verführen. Nein, ich habe die beiden nicht aus diesem Grund zusammengeführt, sondern damit beide etwas über sich und die Welt lernen. Auch Miko hat seine Probleme, er zeigt keine Gefühle, versteckt sich hinter seinen Gesetzen und Prinzipien, geht auf Distanz, und das Treffen mit Ki gibt ihm schließlich auch die Möglichkeit, sich etwas zu öffnen und seinen Panzer abzulegen.
Wellinski: Sie kommen ja eigentlich vom Dokumentarfilm. Wie hat sich das auf "Ich heiße Ki" ausgewirkt?
Dawid: Ich denke der Einfluss war groß. Ich habe ja gesagt, dass Ki auf einer realen Figur basiert. Ich habe sie aber nie kennengelernt. Mein Drehbuchautor hat mir aber immer mehr von ihr erzählt und ich wurde immer neugieriger, und das alles floss dann in den Aufbau dieser Figur. Dann hatte ich diesen Drang, ihr Leben selber zu erleben. So habe ich es auch immer mit meinen Dokumentarfilmen gemacht.
Agile Kamera, einer Dokumentarform ähnlich
Später dann, als wir schon drehten, wollte ich auch formal einen gewissen dokumentarischen Einfluss geltend machen. Wir haben mit einer sehr agilen Kamera gearbeitet, die, ganz wie in einer Dokumentation, versucht, hinter der Figur herzulaufen, sie einzuholen. Ki verschließt sich aber auch unserer Kamera, versucht zu fliehen und uns blieb letztlich nichts anderes übrig, als sie dabei zu beobachten. Diese Kamerabewegung spiegelt ja auch das, worüber wir gesprochen haben, dass wir den Drang haben, diese Figur besser kennenzulernen, ihr ins Gesicht zu gucken, mehr von ihr zu erfahren. Also Ki hat uns die Form diktiert, ihr Verhalten hat das Verhalten der Kamera bestimmt und nicht umgekehrt. Das ist jetzt keine reine Dokumentarform, aber sie ist ihr sehr ähnlich.
Wellinski: Ein Film, der so heißt wie seine Hauptfigur, der braucht auch eine ganz gute Schauspielerin, die diese widersprüchlichen Energien transportiert. Warum war Roma Gasorowska die perfekte Ki für Sie?
Dawid: Sie hatte Ki in sich. Wir haben uns einmal getroffen und ich gab ihr das Drehbuch und beim zweiten Treffen sagte sie, okay, das ist quasi ein Film über mich. Und ich habe erst während der Dreharbeiten gesehen, wie viel eigene Energie, wie viel eigenes inneres Chaos sie in diese Figur stecken konnte.
Wellinski: Jetzt kommt "Ich heiße Ki" vier Jahre nach seiner Premiere in die deutschen Kinos. In der Zwischenzeit haben Sie bereits einen weiteren Film gedreht, der dritte ist auch gleich fertig. Wie blicken Sie denn jetzt zurück auf ihren Debütfilm?
Dawid: Ich mag ihn sehr und habe ein richtig emotionales Verhältnis zu ihm. Es war eben mein Debüt und jeder Debütant kennt die Dämonen, mit denen man sich beim Drehen auseinandersetzen muss, um diesen ersten Film fertig zu stellen. Die inneren genauso wie die Äußeren, wenn es um das Budget geht, zum Beispiel. Aber mir ist es zum Glück gelungen, und durch diesen Film habe ich immerhin erfahren, welche Art von Regisseur ich werden und welche Geschichten ich in Zukunft erzählen möchte.
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