Jesus kämpft für die Rechte der Flüchtlinge
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Warum wird Jesus eigentlich immer als weiß dargestellt, fragt Milo Rau. In seinem Film "Das Neue Evangelium" ist Jesus schwarz - und viele Schauspieler sind Flüchtlinge. Für deren Rechte tritt Rau auch in der Kampagne "Die Revolte der Würde" ein.
Stephan Karkowsky: Egal, wie man das nun nennen möchte, Dokumentartheater oder politische Aktionskunst – neue Projekte des Schweizer Regisseurs Milo Rau sind immer auch eine Anklage. Am Samstag war der erste öffentliche Dreh seines geplanten Jesusfilms "Das Neue Evangelium", und davon soll er uns nun selbst erzählen. Milo Rau, guten Morgen!
Milo Rau: Guten Morgen!
Karkowsky: Man muss immer etwas weiter ausholen bei Ihnen, weil es so wahnsinnig viele Bezüge gibt in Ihren Projekten: der Drehort zum Beispiel – fangen wir mit dem mal an. Matera, ganz im italienischen Süden, wir erreichen Sie da auch gerade, Kulturhauptstadt Europas 2019, für Sie aber noch viel mehr, denn Matera war Drehort der großen Christusfilme. Richtig?
Rau: So ist es. Pasolini hat hier 64 seinen Christusfilm gedreht, das Matthäus-Evangelium (Originaltitel "Das 1. Evangelium – Matthäus"), und Mel Gibson hat auch einen Christusfilm, "The Passion of the Christ" gedreht 2004. Als ich angefragt wurde, was zu machen in Matera, hab ich sofort gesagt, ich will einen Jesusfilm drehen, hab dann auch Leute aus diesen Film gecastet. Also der Jesus von Pasolini, heute 74, ist mein Johannes der Täufer, oder die heilige Maria von Mel Gibson ist auch meine heilige Maria.
Aber mir wurde dann schnell klar, als ich mich umgeschaut habe in der Region um Matera, wo diese riesigen Flüchtlingslager liegen mit bis zu 500.000 Illegalen, die auf den großen Tomatenplantagen ausgenutzt werden, da hab ich mir gesagt, da muss ich, glaube ich, noch ein Stück weiter geht, als nur einen Jesusfilm zu machen.
Jesus gegen die Mafia
Karkowsky: Und was genau haben Sie jetzt vor? Ihr Jesusfilm orientiert sich an der Passion Christi, macht aber mehr.
Rau: Genau. Wir haben dann aus diesen Lagern Aktivisten, Flüchtlinge, auch Kleinbauern gecastet und haben eigentlich die Schauspieler aus den verschiedenen bisherigen Jesusfilmen gemischt mit diesen.
Wir haben den ersten schwarzen Jesus, einen kamerunischen Aktivisten, Yvan Sagnet, der vor zwölf Jahren den ersten Streik gegen die Mafia gemacht hat. (...) Es gibt im Grunde eher eine Transposition ins Heute, Christus wird gelesen als Sozialrevolutionär.
Und der Film – wir drehen alle Bibelfilme, haben im Mai angefangen zu drehen, jetzt machen wir ein paar öffentliche Drehs in diesen Herbsttagen – wird begleitet von einer Politkampagne, "Die Revolte der Würde", also eine Kampagne für die Rechte der Migranten in Süditalien.
Karkowsky: Die auf den Tomatenfeldern dort ausgebeutet werden von der Mafia, was auch tatsächlich durch Reportagen vielseitig belegt wurde. Nun war gestern ja der erste öffentliche Dreh in der historischen Altstadt von Matera, großartige Kulisse natürlich, Sie haben das Filmset aber nicht abgesperrt, sondern das Publikum, die Passanten, die da rumlaufen, sollten in den Filmdreh miteinbezogen werden. Wie hat das denn funktioniert?
Rau: Das war eine Transposition des Einzugs in Jerusalem, also die Szene, wo Jesus einreitet auf dem Esel, das erste Mal nach Jerusalem kommt und dann mit den Pharisäern und mit der römischen Besatzungsmacht konfrontiert wird. Bei uns war das eine Demo, wir haben in den letzten sechs Wochen sehr viele Demonstrationen gemacht, auch Besetzungen in den Lagern, versucht, Lagerschließungen zu verhindern, und das war gewissermaßen einer der Höhepunkt, diese Reihe von Demonstrationen – das war ein Demonstrationszug von 200, 300 Leuten.
Nicht in die Salvini-Echokammer
Karkowsky: Und wie lief das, kamen da tatsächlich Passanten und haben sozusagen mitgemacht, haben sich da provoziert gefühlt, wie war das?
Rau: Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Sehr viele machen einfach Fotos, sind verwirrt. Viele sind, was ich schön fand, mitmarschiert, weil das Thema ja tatsächlich sehr, sehr bekannt ist hier und es auch vielleicht der Skandal Italiens oder vielleicht sogar Europas im aktuellen Moment ist, dass diese Kulturhauptstadt inmitten dieser riesigen Flüchtlingslager liegt. Das ist auf ein sehr großes Verständnis gestoßen.
Karkowsky: Projektbegleitend hatten Sie in der "taz" eine Kolumne: "Milo Rau versus Matteo Salvini", dem für kurze Zeit als Innenminister mächtigsten Mann Italiens und zugleich dem zynischsten aller Flüchtlingsgegner. Jetzt ist Salvini entmachtet, die Sozialdemokraten regieren mit, Seenothelfer dürfen wieder anlegen, selbst Horst Seehofer nennt sich jetzt Flüchtlingshelfer. Packen Sie jetzt alles wieder ein und sagen, Ziel erreicht?
Rau: Nee, also dieser Sturz der Regierung hat ja nichts mit unserem Projekt zu tun. Wir haben von Anfang versucht, eigentlich nicht in diese Salvini-Echokammer einzutreten. Wir haben natürlich einige Provokationen, wo Projekte auch beantwortet wurden, aber wir wollten eigentlich auf einer anderen Ebene argumentieren, auf einer universelleren Ebene. Es geht um Menschenrechte, es geht nicht um diese oder jene rechtspopulistische Regierung.
Totale Entrechtung der Migranten in Süditalien
Karkowsky: Der Kampagnenteil Ihres Projektes läuft ja auch unter dem Stichwort "Revolution der Würde". Wie wollen Sie den Menschen die Würde wiedergeben, die dort auf den Tomatenfeldern ausgebeutet werden?
Rau: Ich glaube, die Würdelosigkeit der Situation liegt eigentlich in einer totalen Entrechtung und Vereinzelung dieser Menschen. Die haben keine Papiere, die sind illegal, was sie natürlich ideal ausnutzbar macht für diese Plantagenbesitzer beziehungsweise für die Menschenzwischenhändler, für die sogenannten "caporali", weil er Arbeit braucht, weil er keine legale Arbeit bekommen kann, arbeitet er unter allen Bedingungen, lebt unter allen Bedingungen, lässt sich extrem schlecht bezahlen und lässt sich auch wegschmeißen, wenn man ihn nicht mehr braucht oder wenn er aufmuckt.
Und das kann nur verändert werden, indem man die rechtliche Lage klärt, indem man quasi die Menschenrechte durchsetzt, indem man diesen Leuten Orte gibt, an denen sie wohnen können, dass das in Ordnung gebracht wird.
Karkowsky: Und indem das ein Regisseur, ich sag jetzt mal aus dem Norden, macht - lassen Sie sich da den Vorwurf des Paternalismus gefallen?
Rau: Nee, nee, wir arbeiten zusammen mit an die 40 Organisationen, die sich mit Flüchtlingen und den Dingen von Kleinbauern und so weiter auseinandersetzen. Mein Beitrag ist natürlich ein künstlerischer, es ist eine symbolische Revolte. Es ist mir sehr, sehr wichtig auch, einfach mal dieses Jesusbild zu ändern – also der erste schwarze Jesus, warum sind das eigentlich immer weiße Männer mit kleinen Bärtchen gewesen? –, und da findet ein sehr interessanter Shift statt.
Schneller als James Bond?
Karkowsky: Der Höhepunkt Ihres Projektes ist derselbe wie im Kirchennarrativ, nämlich die Auferstehung Jesu, die soll Mitte kommender Woche in Rom gedreht werden, auf einer politischen Versammlung im Teatro Argentina. Wie können wir uns das vorstellen, was wird da passieren?
Rau: Die öffentlichen Drehs – also wir haben etwa 50 Drehtage, wir drehen tatsächlich alle Szenen aus dem Matthäus-Evangelium noch einmal, natürlich in einer leicht modernisierten Variante –, und dort wird die Auferstehung stattfinden. Ich wollte die auf einer Bühne machen, also auf der Bühne des Nationaltheaters in Rom, weil ich selber nicht wirklich daran glaube, an die Auferstehung, weil ich sie auch nicht notwendig finde.
Dieser Teil ist für mich der fragwürdigere der Bibel, und deshalb wollte ich ihn einerseits quasi brechen und andererseits aufladen, politisieren – die Auferstehung von Jesus, das kann sich nur im Engagement der Zivilgesellschaft zeigen, dass eine Botschaft aufersteht. Aber dass ein Körper aufersteht durch göttliche Kraft, das scheint mir doch etwas zweifelhaft.
Karkowsky: Eine Frage am Rande: Ich hab gelesen, dass der Bond-Stuntman des kommenden James-Bond-Films "No Time to Die" bei Ihnen mitmacht. Welcher Film wird denn eher fertig, Bond oder Ihrer?
Rau: Das weiß ich jetzt nicht, meiner wird in einem Jahr fertig. Bond hat ja zwei Monate gedreht für eine Szene von sechs Minuten, also da sind wir schon schneller mit unserem Film. Es war aber angenehm, weil diese Techniker natürlich dann die ganze Zeit eigentlich im Grunde nur rumsitzen und warten und dann auf unserem Set mitarbeiten konnten. Ich denke, das dauert noch eine Weile.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.