"Die Kontrolle ging für uns zu weit"
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Der Regisseur Ersan Mondtag sollte zur Eröffnung des Dokumentationszentrums "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" in Berlin eine Performance inszenieren. Doch die Zusammenarbeit wurde nun beendet. Mondtag erklärt, warum.
Im Deutschlandhaus in Berlin entsteht derzeit das Dokumentationszentrum "Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Hier soll es Ausstellungen, eine Bibliothek mit Zeitzeugenarchiv sowie Veranstaltungen zu den "Ursachen, Dimensionen und Folgen von Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration in Geschichte und Gegenwart" geben, wie es auf der Website der Bundesstiftung heißt.
Der Regisseur Ersan Mondtag sollte noch vor der Eröffnung im Sommer 2021 eine Performance inszenieren. Die Zusammenarbeit wurde nun beendet. Auch ein geplanter Film, der coronabedingt statt der Live-Performance aufgeführt werden sollte, kam nicht zustande.
"Uns war wichtig", erzählt der 34-jährige Regisseur, "dass man den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg nicht von der Fluchtbewegung entkoppelt betrachten kann. Und uns fiel auf, dass die Stiftung dort einen Fokus setzen wollte, der anders gewichtet war."
Gewisse Themen ausblenden
Zeitweise habe es einen produktiven Austausch gegeben, erinnert sich Mondtag: "Im Zuge dessen ist die Bedeutung der Fluchtursachen immer kleiner und die der Fluchtgeschichten immer größer geworden." Das sei am Ende eskaliert, als es darum ging, "dass wir die Vereinnahmung der gegenwärtigen rechten Parteien dieses Themas ausblenden sollten." Daraufhin habe Mondtag der Stiftung mitgeteilt, das erreiche den Tatbestand der Zensur.
"Das ist für die Stiftung nicht untypisch, so Ersan Mondtag, "weil sie nicht mit Künstler*innen zusammenarbeitet, insofern habe ich da absurderweise ein Verständnis für. Aber diese Kontrolle und dieser Einfluss gingen für uns dann einfach zu weit. Wir waren für unsere Verhältnisse trotzdem viel zu kompromissbereit."
Mondtag hatte auch ein Zitat von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke verwenden wollen. Aus einer Rede in Dresden, in der Höcke eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte. Am Telefon habe Mondtag dann mit der Siftungs-Vorsitzenden Gundula Bavendamm auf ihren Wunsch hin besprochen, stattdessen eine fiktive Rede zu nutzen. Bavendamm habe dem zugestimmt. "Am Tag darauf ", erinnert sich der Regisseur, "kam plötzlich ein Anruf, da hieß es, dass das auch nicht ginge. Und sie müsse die Performance absagen, wenn der Systemkomplex nicht komplett gestrichen wird."
"Zensur durch die Hintertür"
Als am zweiten Drehtag ein Vertragsentwurf kam, ist der laut Mondtag eine überarbeitete Fassung gewesen. Darin habe sich die Stiftung plötzlich exklusives Recht für das Material über zehn Jahre sichern wollen. "Quasi Zensur durch die Hintertür", sagt Mondtag.
"Wir sind keine Werbefirma, sondern haben eine eigene Haltung", betont der Regisseur. "Wir waren fassungslos, wie eine Direktorin der Bundesstiftung, die der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters untergeordnet ist, so eine kunstfeindliche Haltung an den Tag legen kann."
Mondtag habe Monika Grütters daraufhin in einem Brief gebeten, dafür zu sorgen, dass er und sein Team das Geld ausgezahlt bekommen: "Die Stiftung hat uns die Bezahlung verwehrt. Ich habe das ganze Projekt mit über 50.000 Euro selber finanziert, weil die Stiftung Vergaberecht umgehen wollte und mit den Künstler*innen keine Verträge gemacht hat." Mondtag nennt das einen "dubiosen Vorgang". "Bis heute hat uns die Stiftung die Kosten nicht erstattet. Wir setzen jetzt eine Frist von zehn Tagen, sonst muss ich die Stiftung verklagen."
(mfied)