Regisseur Robert Schwentke über "Der Hauptmann"

"Die Tragödie in unserer Geschichte hätte nicht stattfinden müssen"

Robert Schwentke bei der Pressekonferenz zu "Der Hauptmann" auf dem 65. Internationalen Filmfestival San Sebastian im September 2017
Robert Schwentke bei der Pressekonferenz zu "Der Hauptmann" auf dem 65. Internationalen Filmfestival San Sebastian im September 2017 © imago/Future Image
Robert Schwentke im Gespräch mit Susanne Burg |
In "Der Hauptmann" erzählt Regisseur Robert Schwentke die Geschichte des jungen Gefreiten Willi Herold, der in den letzten Kriegstagen eine Offiziersuniform findet und in sie schlüpft - und damit auch in diese Rolle. Das ist der Auftakt zu einer Tragödie, die Schwentke nach und nach in sorgfältig komponierten Bildern entfaltet.
Susanne Burg: Robert Schwentke hat einen Großteil seiner Karriere in Hollywood verbracht. Er hat da bei großen Produktionen Regie geführt wie bei dem Thriller "Flightplan: Ohne Jede Spur" mit Jodie Foster in der Hauptrolle. Bei der Comicverfilmung "R.E.D.: Älter, Härter, Besser" oder bei "Die Bestimmung – Insurgent", dem zweiten Teil der "Die Bestimmung"-Reihe. Nun ist er nach Deutschland zurückgekehrt für den Film "Der Hauptmann". "Der Hauptmann" erzählt die unglaubliche Geschichte des jungen Gefreiten Willi Herold am Ende des Zweiten Weltkrieges, der auf der Flucht eine Hauptmannsuniform findet und in einen Rausch der Macht kommt.
Robert Schwentke: Also ich habe spezifisch nach einer Geschichte gesucht, die es mir erlauben würde, die dynamische Struktur des Nationalsozialismus zu durchleuchten. Also es bedarf vieler Menschen, damit diese Kulturkatastrophe stattfinden konnte, und ich habe dann auch festgestellt, dass es so einen Film noch nicht gibt im deutschen Kino im Gegensatz zu vielen anderen nationalen Kinos, und erst dann habe ich mich auf die Suche gemacht nach einer Geschichte und bin natürlich auf viele Geschichten gestoßen, aber ich hatte das Gefühl, dass keine von diesen anderen Geschichten mir die Möglichkeit gegeben hätte, die ganze Maschine unter die Lupe zu nehmen, also vom kleinen Gefreiten ganz unten bis zum Admiralsgeneral ganz oben. Diese Schichten der Maschine waren mir schon sehr, sehr wichtig, die auch vielleicht so ein bisschen analytisch mal abzuklopfen.
Burg: Da sind ja mehrere Protagonisten, und ein zentrales Rädchen dabei ist ja in dem Fall jetzt Willi Herold, der in diese Uniform schlüpft, und es folgt ja so ein bisschen der Idee, Kleider machen Leute, aber er übernimmt das ja dann auch und arbeitet damit. Was ist das eigentlich für ein Mechanismus, dass Willi Herold begreift, da geht was?
Schwentke: Ich glaube, Willi Herold geht es primär ums Überleben, er will essen, er hat Hunger, und er will in den letzten Kriegstagen nicht sterben. Also man weiß nicht genau, ob er ein Deserteur ist oder ob er was geklaut hat oder was er gemacht hat, aber er ist auf jeden Fall jemand, der vornehmlich um sein eigenes Wohl sich sorgt, und er sieht eine Möglichkeit, sich Essen zu verschaffen, indem er so tut, als sei er ein Offizier. Auch als Offizier war er natürlich sicher, weil als Offizier konnte er kein Deserteur sein, so hat er sich so ein bisschen – im Amerikanischen nennt man das ja con man –, hat er sich dann also von Situation zu Situation gehangelt und hat es tatsächlich geschafft, nicht erkannt zu werden als falscher Offizier, und natürlich hat das irgendwann was mit ihm gemacht. Natürlich hat diese Macht was mit ihm gemacht.

Die Geschichte einer vermeidbaren Tragödie

Die Tragödie in unserer Geschichte hätte nicht stattfinden müssen. Die war verhinderbar, und die hätte von jeder der Figuren im Film verhindert werden können, aber keiner hat es getan. Alle sind irgendwie mitgegangen, weil sie alle davon profitiert haben, weil sie alle eigene Ziele verfolgt haben, und weil sie auch wirklich nicht in moralischen oder ethischen Kategorien gedacht haben. Ich sehe das immer so ein bisschen, als hätten sich fünf Leute in einem Raum auf einen Vertrag geeinigt, aber sie können sich nicht einigen, wer jetzt da unterschreibt und die Verantwortung dafür übernimmt, und Herold taucht auf und sagt, ihr wollt, dass ich da unterschreibe, kann ich machen, ist ja sowieso nicht mein eigener Name. Er setzt dadurch eigentlich eine Maschine in Bewegung, die aber schon drauf gewartet hat und schon aufgebaut war, in Bewegung gesetzt zu werden. Also es geht nicht nur darum, was mit diesem Menschen passiert, wenn er die Uniform an hat.
Burg: Was meinen Sie damit, der Maschine, die darauf gewartet hat? Also dann auch konkret der Akt des… Er geht in ein Arbeitslager und bringt quasi Menschen um.
Schwentke: Diese Maschine, von der ich spreche, ja, das ist das Massaker. Also es geht darum, dass es eine Gruppe von Gefangenen gibt, alles Angehörige oder ehemalige Angehörige der Wehrmacht, die dem Feind nicht in die Hand fallen dürfen, und jetzt geht es darum, wie man die am besten – in Anführungszeichen – legal möglichst um die Ecke bringt, und alle wissen, dass es passieren wird, daran gibt es keinen Zweifel, aber ihnen fehlt halt das letzte Puzzlestück, und das letzte Puzzlestück ist der Willi Herold, der dann kommt und sagt, okay, diese Pattsituation zwischen der Justiz und der SA, das beseitige ich, und natürlich müssen die erschossen werden, und jetzt machen wir das. Aber er legt ja auch lange, lange Zeit keine Hand an. Er ist ja wirklich so eine Art Katalysator, und ich will seine Schuld überhaupt nicht schmälern… Er ist natürlich schon auch verantwortlich dafür, aber es ist mir wichtig, dass es auch ein System war, das nicht nur er benutzt hat, sondern das auch ihn benutzt hat.
Robert Schwentke (2. v. l.) mit seinen Schauspielern bei der Premiere in Berlin
Robert Schwentke (2. v. l.) mit seinen Schauspielern bei der Premiere in Berlin © imago/Future Image
Burg: Sie verzichten ja auch auf eine Psychologisierung, also Sie versuchen ja nicht zu erklären, was ihn eigentlich antreibt. Ist es auch genau deswegen, weil Sie dieses System beschreiben wollen?
Schwentke: Ja. Also dafür gibt es verschiedene Gründe: Er ist der einzige Charakter, er ist die einzige Figur in der Geschichte, die nicht klar erklärt wird, und dieser weiße Fleck, der ist natürlich mit Absicht da. Ich wollte vermeiden, dass man sich von seiner Figur distanzieren kann, also dass der Zuschauer sagen kann, na ja, der ist halt ein Psychopath, ein Soziopath oder er macht das deshalb oder er macht es deshalb. Also ich wollte den Zuschauer eigentlich dazu einladen, diese Leerstelle selbst zu füllen.

Ein Film, den er auf Deutsch drehen musste

Burg: Nun muss man sich ja als Regisseur natürlich auch überlegen, wie man dafür Bilder findet, gerade auch natürlich beim Thema wie im Nationalsozialismus, wo es ja sehr viele schon gibt. Sie haben sich für, na ja, sagen wir mal: keine sozialrealistische Darstellung entschieden, sondern für eine sehr stilisierte, inszenierte, man sieht: sehr sorgfältig komponierte Bilder, zum Beispiel vom Lager mit geometrisch angeordneten Häusern und einem Weg in der Mitte, sie arbeiten in Schwarzweiß, es gibt nur eine einzige kurze Farbeinstellung. Sie haben, wie in anderen Filmen zuvor schon, mit dem Kameramann Florian Ballhaus zusammengearbeitet haben. Können Sie was sagen, wie Sie dieses visuelle Konzept entwickelt haben?
Schwentke: Uns ging es darum, ganz klar einen modernen Film zu machen, der ganz klar heute gedreht wurde, der rückblickend mit unseren Vorurteilen und unseren Filtern in die Vergangenheit schaut, deshalb ist er auch in vieler Hinsicht sehr abstrakt. Ich denke, dass es einen interessanteren Film ergibt, weil man den Film natürlich auch heute anguckt, und der Film ist auch relevant heute. Also der spielt zwar spezifisch im Zweiten Weltkrieg oder 1945, aber er ist natürlich generell auch über einen Zustand der Welt.
Burg: Nun muss man ja auch sagen, Sie haben jetzt die letzten Jahre in den USA verbracht. Es ist interessant, dass Sie mit dem Film jetzt nach Deutschland kommen. Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. Wäre eine solche Produktion in Amerika gar nicht möglich gewesen, so wie Sie sich ihn vorgestellt haben?
Schwentke: Also ich glaube, den Film kann man gar nicht nicht auf Deutsch drehen. Schon allein die deutsche Sprache mit den spezifischen Euphemismen und Redewendungen aus der Zeit. Es gibt keine totalitären Systeme ohne eine totalitäre Sprache, und das war unabdingbar für das Thema des Films.
Burg: Also es war wirklich dann der Film, der Stoff selber, der Sie dazu geführt hat, nicht, weil Sie auch dachten, dann kann ich auch mal sozusagen als Autorenfilmer mal tätig werden und ein Thema selber entwickeln und selber durchführen?
Schwentke: Nein. Also das könnte ich drüben auch, wenn ich das wollte. Ich lebe mittlerweile lang genug dort. Ich habe so langsam das Gefühl, dass ich die Kultur genug durchdrungen habe, um dann eben auch, sage ich jetzt mal, soziale Kommentare abzugeben oder kulturelle Kommentare. Das kommt vielleicht noch.
Burg: Ich würde gerne auch noch in anderer Hinsicht auf Ihren beidseitigen Blick – Hollywood und Deutschland – kommen, und zwar sprechen Filmemacher, die in Hollywood gelebt haben, immer wieder von so einem professionell geölten System, das gut funktioniert, wo auf sehr hohem Niveau gearbeitet wird. Jetzt waren Sie in Deutschland. Was würden Sie denn gerne aus den USA nach Deutschland übertragen, aus Ihren Erfahrungen, die Sie mitgebracht haben?
Schwentke: Also unsere Produktion war extrem geölt.
Burg: Habe ich auch gerade gedacht, als ich das formulierte. Das klang so, als würde hier nicht professionell gearbeitet werden. Dem ist natürlich nicht so. Das meine ich nicht, aber vielleicht von Abläufen, von … Na ja, ein bisschen was haben Sie ja eben auch schon erwähnt.

In Deutschland fehlt es an Talentförderung

Schwentke: Also was Abläufe angeht, finde ich es ganz wichtig, dass Filmemacher ihre eigene Handschrift finden. Was ich damit meine ist, ein Filmemacher muss es hinkriegen, diese Riesenmaschine – also ich habe teilweise 800 Leute am Set bei den größeren Produktionen –, man muss irgendwie es hinkriegen als Filmemacher, sich davon nicht erschlagen zu lassen, sondern das tatsächlich zu reduzieren. Also man muss es eigentlich schaffen, diese Riesenmaschine so zu reduzieren, dass sie einem als nicht mehr als ein Stift erscheint, den man genauso wie alle anderen Stifte dazu benutzt, um das zu schreiben, was man schreiben will. Was ich sehr gut finde, ist, dass in Amerika für die Entwicklung, für die Stoffentwicklung tatsächlich Geld ausgegeben wird. Das finde ich sehr, sehr wichtig. Also dass man den Autoren Zeit einräumt und ihnen Zeit erlaubt, wirklich einen Stoff zu durchdringen, und das gibt es in Deutschland nicht, dass man sagt, okay, wir brauchen Geld für die Stoffentwicklung, dass man einfach sich erlauben kann, mal zwei, drei Fassungen zu schreiben, weil es vielleicht auch ein Stoff ist, der nicht so einfach zu schreiben ist. Manchmal braucht man sehr lange für ein Drehbuch.
Ich glaube auch, was fehlt, ist Talentförderung, natürlich ist auch in Amerika es so, wenn man zwei Flops gemacht hat, dann wird es schwierig, den nächsten Film zu machen, aber es geht dann doch immer wieder, und ich denke mal, in Deutschland bitte, bitte mal Talente fördern, und diese Idee, dass man komplett fertig aus der Filmschule kommt, das finde ich auch immer sehr gefährlich, also der Abschlussfilm ist dann immer irgendwie die Vorzeigekarte und das Resümee, die dann alles entscheidet. Ich finde das ein sehr, sehr gefährliches System, weil es eigentlich den Filmemachern nicht die Möglichkeit einräumt, sich selbst auszuprobieren.
Burg: Sehen Sie denn auch in den Jahren, die Sie weg waren und auf Deutschland geguckt haben, was sich Gutes bewegt?
Schwentke: Nein, es bewegt sich immer was Gutes, aber das meine ich ja. Also man muss es aber halt auch fördern. Also ich glaube, auch durch die Förderstruktur in Deutschland zensieren sich viele Filmemacher selbst, weil sie natürlich auch wissen, wenn sie nicht die komplette Finanzierung zusammenkriegen, machen sie keinen Film, und wenn der Film vielleicht kontrovers diskutiert wird in den Fördergremien, dass sie dann unter Umständen nicht die Förderung zusammenkriegen, und dann haben sie zwei oder drei Jahre darauf hingearbeitet, einen Film zu machen und gehen dann leer aus. Also das ist ja auch das Problem, dass wir von unserer Förderstruktur das Besondere, das Andere, das Experimentelle auch nicht wirklich fördern.
Burg: War "Der Hauptmann" denn für Sie jetzt ein Ausflug nach Deutschland oder könnten Sie sich vorstellen, auch wieder so ein bisschen mehr hier anzudocken?
Schwentke: Also mein Ziel war es ja immer, in Amerika zu studieren und zurückzukommen, habe ich ja auch gemacht, um in Deutschland Filme zu machen. Dann gab es halt den Umweg nach Hollywood. Mein Traum wäre es eigentlich, den Spagat hinzukriegen. Ich habe viele Geschichten, die ich gerne in Deutschland erzählen möchte und die ich in Europa erzählen möchte, ich glaube, auch dadurch, dass die Bandbreite der Hollywoodfilme immer schmaler wird. Also alle Studios machen ja mittlerweile denselben Film. Das war früher nicht so, da konnte man einen Paramount-Film von einem Warner-Brothers-Film unterscheiden, sowohl in Form als auch Inhalt. Ich glaube, dass das aber für uns in Europa eine wahnsinnige Möglichkeit ist, weil wir einfach dazu in der Lage sind, Filme zu machen, hier, noch, die in Amerika gar nicht mehr gemacht werden, und das interessiert mich sehr. Der europäische Film ist ja auch der Film, der meine Liebe zum Kino begründet hat. Also ich war kein Fan von Spielberg und Konsorten, sondern das waren eher Carlos Saura und Jacques Rivette und Godard, also so der Kanon Antonioni, der Kanon der europäischen Meister, und ich würde sehr gerne mehr hier arbeiten, absolut.
Burg: Nun ist erst mal der Anfang mit "Der Hauptmann" gemacht.
Schwentke: Genau!
Burg: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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