Hören Sie hier auch unsere Filmkritikerin Anke Leweke über die Erzählwelten von Ron Howard.
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"Die Wahrheit ist ja wirklich seltsamer als die Fiktion"
05:42 Minuten
Die Jugend von US-Autor J.D. Vance war von Drogen und Armut geprägt, später schrieb er darüber das Buch „Hillbilly Elegy“. Regisseur Ron Howard hat es verfilmt. Entstanden ist ein Film über die Resignation einer ganzen Bevölkerungsschicht.
Das Buch "Hillbilly Elegy" von J.D. Vance galt als Trump-Erklärbuch. Er erzählte darin sein von Armut und Drogen geprägtes Heranwachsen in der weißen Arbeiterschicht im US-Staat Ohio, eine Geschichte vom gescheiterten Aufstieg und von der Resignation einer ganzen Bevölkerungsschicht. Der Oscar-Preisträger Ron Howard hat daraus nun einen Film gemacht, der beim Streamingdienst Netflix erscheint.
Es ist der amerikanische Aufstiegstraum, der J.D.s Familie von den Appalachen Kentuckys nach Ohio im Mittleren Westen treibt. Ein Traum, der sich lediglich für J.D. erfüllen wird. Er studiert an der Eliteuniversität Yale und wird Anwalt. Aufgewachsen ist er in einer Familie, die mit "zerrüttet" noch eher harmlos beschrieben ist.
Seine Mutter Bev (Amy Adams) ist medikamentenabhängig und verprügelt ihren Sohn, bis die Polizei kommt. Seine Oma (Glenn Close) erinnert den Jungen an den Code, die Familie müsse zusammenhalten, um jeden Preis. Die Polizei rückt unverrichteter Dinge wieder ab.
"Mich interessierte die Geschichte der Familie, die Komplexität dieser Familie, die geprägt war von den kulturellen Eigenheiten der Region, von der Dysfunktionalität ihrer Generation", sagt Regisseur Howard. Die soziopolitische Dimension, die J.D. Vance in seinen Memoiren eröffnet, hat Howard weniger beschäftigt:
"Er sieht seine Familie als beispielhaft für eine Region und spricht dann über die Politik des Landes. Das hat mich nicht interessiert. Der Film sollte ehrlich sein, was die wirtschaftlichen Schwierigkeiten angeht, die Hürden, die sie nehmen müssen. Aber es ist keine Polemik. Es ist eine Geschichte des persönlichen Wachsens und Reifens."
Nach "Apollo 13", "Frost/Nixon" und "A Beautiful Mind" hat Howard nun einen weiteren Film gedreht, der auf einer wahren Geschichte beruht. Es sei die Gelegenheit, Figuren in extreme Situationen bringen zu können, die ihn reize. "Man kann die Menschen im Film in einer unglaublich dynamischen Art und Weise auf den Prüfstand stellen. Die Zuschauer akzeptieren es, weil sie wissen, dass es passiert ist," sagt Howard. "Die Wahrheit ist wirklich seltsamer als die Fiktion."
"Hillbilly Elegy" erscheint am 24. November beim Streamingdienst Netflix.
Das Interview im Wortlaut
Susanne Burg: Der Film basiert auf den Memoiren von J.D. Vance. Sie waren von Anfang an bei dem Projekt dabei. Was hat Sie an den Memoiren interessiert, welchen Teil wollten Sie stärken, welche Aspekte vielleicht auch vernachlässigen?
Ron Howard: Mich interessierte die Geschichte der Familie, die Komplexität dieser Familie, die geprägt war von den kulturellen Eigenheiten der Region, von der Dysfunktionalität ihrer Generation. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass es eine allgemeinere Geschichte ist. Denn jeder von uns kommt aus einer Familie mit kulturellen Eigenheiten. Es ist also eine sehr eigene Geschichte, aber auch eine, die universeller ist. Ich hatte das Gefühl, das ist eine Gelegenheit, neue Perspektiven für mehr Menschlichkeit aufzuzeigen.
Burg: Die Familie kommt ursprünglich aus Kentucky. Sie erwähnten die kulturellen Eigenheiten. Welche sind das?
Howard: Die Familie kommt aus den Bergen Kentuckys, aus den Appalachen. Sie ist dann vom Südwesten der USA nach Ohio in den Mittleren Westen gezogen. Auch wenn der Titel "Hillbilly Elegy" ist, so ist J.D. Vance kein wirklicher Hillbilly, kein wirklicher ungehobelter Hinterwäldler. Aber er fühlt das Echo dieses Codes, dieser Verhaltensmuster und der Probleme, die dadurch entstehen, aber auch der Stärken, auf die er vertrauen kann.
Ich fand das interessant. J.D. eröffnet in seinem Buch auch eine soziopolitische Dimension. Er sieht seine Familie als beispielhaft für eine Region und spricht über die Politik des Landes. Das hat mich nicht interessiert. Der Film sollte ehrlich sein, was die wirtschaftlichen Schwierigkeiten angeht, die Hürden, die sie nehmen müssen. Aber es ist keine Polemik. Es ist eine Geschichte des persönlichen Wachsens und Reifens. Es ist eine Geschichte, die anerkennt, wie die Frauen in J.D.s Familie für ihn kämpfen.
Seine Mutter hat ihm Schwierigkeiten bereitet, ja. Aber seine Schwester, seine Großmutter, seine Freundin Usha, die er später heiratet, all diese Frauen bewirken etwas in seinem Leben. Ich wollte das feiern und zeigen: Auch, wenn Menschen im Leben Entscheidungen getroffen haben, die sie später bedauern, so gab es doch Momente, in denen sie gute Entscheidungen getroffen haben, die dem Jungen und jungen Mann J.D. halfen. Das wollte ich in dem Film anerkennen.
Burg: Sie haben schon früher wahre Geschichten verfilmt, etwa in "Apollo 13", "Frost/Nixon", "A Beautiful Mind" und jetzt "Hillbilly Elegy". Warum fühlen Sie sich zu diesen Geschichten hingezogen?
Howard: Ich glaube, es ist die Gelegenheit, Figuren sehr extrem zeichnen und in extreme Situationen bringen zu können. Man kann die Menschen im Film in einer unglaublich dynamischen Art und Weise auf den Prüfstand stellen. Die Zuschauer akzeptieren es, weil sie wissen, dass es wirklich passiert ist. Die Wahrheit ist wirklich seltsamer als die Fiktion.
Wenn du dir so etwas ausdenkst, einige der Szenen wie jetzt in "Hillbilly Elegy" zwischen J.D. und Mamaw, gespielt von Glenn Close, oder J.D.s Mutter, ich bin mir nicht sicher, ob das Publikum sie glauben würde. Aber auch jetzt mussten wir diese Szenen besonders glaubwürdig gestalten. Das war schmerzhaft. Es war schmerzhaft für J.D., uns im Detail zu erklären, wie diese Momente der Gewalt und der Übergriffe aussahen. Aber das war wichtig für die Glaubwürdigkeit des Films.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.