"Das Feld der Sexualität ist ein Spiegel unseres Lebens"
Im Spielfilm "A Thought of Ecstasy" sucht Frank in der kalifornischen Wüste nach einer alten Liebe, gerät dabei in einen Sog aus Träumen, Visionen und in ein Spiel um Sex, Macht und Intrige. Den Zuschauer animiert der Regisseur RP Kahl, sich selbst mit bestimmten Szenen ins Verhältnis zu setzen.
Susanne Burg: "A Thought of Ecstasy" – so heißt ein neuer Film von Regisseur RP Kahl, und Gedanken der Ekstase sind es auch, die den Film in gewisser Weise umtreiben.
Frank, der Protagonist, gespielt von RP Kahl, hat ein Buch gelesen, und glaubt, im Buch eine Beziehung zu einer Frau vor 20 Jahren wiederzuerkennen. Er reist in die Wüste Kaliforniens, auf der Suche nach dieser verlorenen Liebe und gerät in einen Sog aus Erinnerungen, Träumen und Visionen, in ein Spiel um Sex, Macht und Intrige. Was dabei Traum und Wirklichkeit, Gegenwart und Vergangenheit ist, lässt sich weder für ihn noch für den Zuschauer wirklich ausmachen. Es ist ein faszinierendes Spiel mit Wahrnehmung und auch ein visuelles Ereignis, und ich freue mich, den Regisseur und Hauptdarsteller begrüßen zu können. RP Kahl, guten Tag!
RP Kahl: Hallo!
Burg: Frank macht sich auf den Weg, auf die Suche, und Sie wählen dafür die Form des Roadmovies. Bei vielen Roadmovies ist der Held am Ende gereift, kommt irgendwo an, physisch, emotional. Trifft es auch auf Frank zu?
Kahl: Er ist schon gereift. Er ist zwar tot am Ende, aber ich glaube, er ist trotzdem, obwohl er tot ist, ziemlich lebendig, nämlich er hat sich gespürt, er hat sich weggeworfen, er hat sein Leben hinter sich gelassen und hat in der Verschwendung, in dem Wegwerfen den Sinn des Lebens gesucht. Ein Paradox, klar: im Tod das ultimative Leben zu finden, aber das könnte vielleicht auch eine Vision für uns heute sein, dem Suchen nach dem ultimativ nachhaltigen Tollen im Jetzt auch nicht immer hinterherzurennen, sondern dass es vielleicht auch noch was anderes gibt, was lohnt zu suchen im Leben.
Burg: Dieses "verschwende dein Leben" ist ja irgendwie so ein zentraler Aspekt, und geht es zurück auf Georges Bataille, und was war dann zuerst, Bataille oder die Idee zum Film?
Kahl: Ich glaube, Bataille war zuerst, weil ich habe mal geguckt, wann der so tot ist, und ich glaube, 2022 ist er 70 Jahre tot, dann kann man machen mit seinem Werk, was man will, und da bereite ich mich jetzt schon ein bisschen drauf vor. Nein, aber ganz ernst: der Bataille ist ja nicht nur ein Schriftsteller von besonderer Literatur, sondern auch ein philosophischer Soziologe, und ich finde diese Idee von ihm oder diese Beschreibung, eben dieses Lebendige zu suchen in diesem Wegwerfen, verschwende dich selbst, finde ich ein interessantes Moment.
Auch heute, wo wir natürlich auch suchen, was es neben Kapitalismus und unserer hedonistischen, aufgeklärten Lebensweise noch geben kann, war das für mich irgendwie ein ganz interessanter Moment zu entdecken, und das habe ich dann versucht, auch in den Film einfließen zu lassen. Hat auch was damit zu tun von der Location. Der Film spielt ja in Amerika, in Kalifornien, Nevada, im Death Valley, Hitze, Weite, Größe, und da hat man auch eine ganz andere Empfindung zu sich selbst, eine ganz andere Wahrnehmung durch diese Weite, durch diese Größe und auch durch dieses Ausgeliefertsein in der Natur, in diesem Kosmos, und ich glaube, da gibt es irgendwelche Verbindungen.
Burg: Wie zentral ist denn Kalifornien gewesen für die Entwicklung des Films?
Kahl: Sehr zentral. 2013 hatte ich eine Einladung von der Bundesregierung in die Villa Aurora – das ist ein Künstlerort in Los Angeles – und war sehr fasziniert von der Stadt, von diesem Land, von diesem widersprüchlichen Land und vor allem auch von der Landschaft und von den Locations. Ich habe mich da verliebt, habe auch gleich immer gedreht, wie so ein kleines Videotagebuch, und daraus, aus diesen Skizzen, sind dann die ersten Momente für den Film entstanden, und step by step ist dann dieser Film entstanden, den ich dann auch über einen längeren Zeitraum gedreht habe, also so ein Horizont von vier Jahren, wo ich mich mit diesem Thema beschäftigt habe.
"Ist für mich ein wichtiges Thema, über Intimität nachzudenken"
Burg: Ich würde gerne noch weiter über Kalifornien sprechen, aber vielleicht sprechen wir erst mal noch über einen anderen zentralen Aspekt, nämlich das Begehren, die Lust. Wenn wir noch mal über Bataille reden, er wollte ja auch anregen, über traditionelle Einstellungen zur Lust nachzudenken. Inwieweit manifestiert sich das auch im Film?
Kahl: Ich glaube, dass man so ein bisschen vielleicht so als Filmemacher, Künstler ein Thema hat, was man immer wieder auch in unterschiedlicher Weise in seinen Filmen bearbeitet. In meinem letzten Film "Bedways" war das ein wichtiges Thema, wie stellt man Sexualität im Film dar. Ich dachte, ich bin jetzt durch mit dem Thema, aber wie ich jetzt gemerkt habe, nein, gerade nicht. Ja, es ist für mich schon ein wichtiges Thema, über Sexualität, Intimität nachzudenken, wie wir dieses scheinbar doch minenbehaftete Feld – merken wir ja gerade in der aktuellen Diskussion –, wie wir das miteinander ausdiskutieren und wie wir das üben, ohne uns in Gewissheiten zu verlieren oder durch Auflagen, Gesetze, Richtlinien uns zu verzetteln, weil ich glaube, das Feld der Sexualität ein Spiegel unseres Lebens, unserer Sehnsüchte, unserer Düsternis auch ist und sich dort all das, was uns ausmacht, auch widerspiegelt.
Und ich glaube, das ist eine gute Art, dort auch über uns nachzudenken, wie wir miteinander leben wollen, wie wir miteinander in die Kommunikation treten wollen, weil Sexualität ja auch eine Form von Kommunikation ist, und da bin ich der Verfechter, Dinge zu zeigen, damit man was darin lesen kann, lernen kann, sich selber dazu ins Verhältnis setzen kann, um dann für die Zukunft vielleicht auch mit einer selbstbewussteren oder bewussteren Form da wieder los zu starten und mit den Leuten, mit denen man da kommunizieren will, ins Benehmen sich zu setzen.
"Der Zuschauer soll fast durch die Augen von Frankschauen"
Burg: Sie inszenieren das ja auch sehr interessant. Frank macht sich auf den Weg, er ist dann in der Wüste, in einem Bunker, da wohnt er einer SM-Inszenierung bei, er selber guckt zu. Man weiß nicht genau, findet das wirklich statt, ist das seine Vision. Es gibt aber auch eine Kamera, die das Ganze filmt, und insofern spielen Sie ja auch mit den verschiedenen Dimensionen: also der Kunde, der dort ist, Frank mit der Kamera, und wir auch als Zuschauer. Also welche Rolle, würde mich interessieren, spielt der Zuschauer in diesem ganzen Geflecht?
Kahl: Der Zuschauer soll fast durch die Augen von Frank, unserem Protagonisten, schauen. Warum das – weil ich glaube, dass es gut ist, wenn man als Zuschauer in eine Konfrontation auch kommt, nicht so draufgucken kann und das so nebenbei gucken kann, sondern sich ins Verhältnis setzen muss, weil die Energie bei einem selber ankommt, weil wenn man etwas anguckt, was einen vielleicht verstört, was ungewöhnlich ist oder was auch mit den eigenen Fantasien vielleicht was zu tun hat oder genau gar nichts zu tun hat, dann kommt man in Kommunikation, was ich gerade gesagt habe, muss sich selber befragen, wie man das findet: Findet man das zu doll, ist einem das zu explizit, findet man das unangenehm, denkt man, das sind Männerfantasien et cetera pp.
Kahl: Der Zuschauer soll fast durch die Augen von Frank, unserem Protagonisten, schauen. Warum das – weil ich glaube, dass es gut ist, wenn man als Zuschauer in eine Konfrontation auch kommt, nicht so draufgucken kann und das so nebenbei gucken kann, sondern sich ins Verhältnis setzen muss, weil die Energie bei einem selber ankommt, weil wenn man etwas anguckt, was einen vielleicht verstört, was ungewöhnlich ist oder was auch mit den eigenen Fantasien vielleicht was zu tun hat oder genau gar nichts zu tun hat, dann kommt man in Kommunikation, was ich gerade gesagt habe, muss sich selber befragen, wie man das findet: Findet man das zu doll, ist einem das zu explizit, findet man das unangenehm, denkt man, das sind Männerfantasien et cetera pp.
Da ist keine Antwort im Film schon vorhanden, sondern der Zuschauer muss sich selber ins Verhältnis setzen und dadurch seinen eigenen Standpunkt finden. Das ist mir wichtig, und dafür braucht es dann auch diese Inszenierung, also dass es eben auch nicht so ein banaler realer Akt ist, der dort abgefilmt ist, und dann kann man sagen, oh Gott, Hilfe, was haben die da gemacht, sondern es hat schon auch immer eine gewisse Art von Überhöhung, Ästhetisierung vielleicht auch. Ich glaube, das ist dann auch die Hilfestellung, dass man sich auch in einer gewissen Fantasiewelt oder abgeschlossenen künstlichen Welt befindet, wo man dann auch vielleicht einfacher sich auch als Zuschauer bewegen kann und das für sich vielleicht auch ein bisschen als Märchen nehmen kann.
"Hat eine gewisse Form von Todessehnsucht"
Burg: Für Frank selber, wenn wir noch mal auf das Konzept des Verschwendens kommen, welche Rolle spielt es, ob sich Wünsche, die er hat, Begehren, dann real erfüllen oder ob es in seiner Vorstellung ist?
Kahl: Ich glaube, das ist relativ wurscht, um es mal relativ platt und direkt zu beantworten. Ich glaube, dass er auch zufrieden ist, wenn es in seinem Kopf ist und wenn sich dann ein Bild manifestiert. Das ist auch, glaube ich, was Heutiges. Also ich glaube, dass sich ja auch immer stärker wir in so einer visuellen Zeit leben, und das ist vielleicht manchmal gar nicht so gut, dass wir manche Dinge gar nicht mehr wirklich machen müssen, sondern uns nur vorstellen oder in Videospielen nachspielen oder in Bildwelten uns hineinbegeben, um sozusagen eigenes, wirkliches, echtes Erleben auch zu sublimieren.
Ob das jetzt gut oder schlecht ist, das will ich gar nicht bewerten. Aber ich glaube, für Frank ist es jetzt fast egal, ob das wirklich passiert, er sich das nur einbildet, er sich in andere hineinversetzt oder ob er das selber macht. Was, glaube ich, immanent ist, und das ist, glaube ich echt und wirklich, dass er so eine gewisse Form von Todessehnsucht hat, dass er bereit ist, sein bürgerliches Leben hinter sich zu lassen und sich in etwas anderes hineinzubegeben und fast lustvoll diesen düsteren Todesmarsch, in sein eigenes unbewusstes, finsteres Begehren etwa hineinzukommen. Das ist, glaube ich, echt und wirklich und sein Motor.
Burg: Und da spielt dann wiederum wahrscheinlich auch Kalifornien als Ort eine wichtige Rolle, weil Sie ja auch Kalifornien inszenieren als einen Ort, die Wüste, wo viel ja Verlassenes ist, wo vieles…, also Sie zeigen Schilder, die von vergangenen Zeiten erzählen, wo Orte, die verlassen sind.
Kahl: Ich habe das ja als Science Fiction betitelt, diesen Film. Es spielt im Jahr 2019 in Amerika, mit großer Hitze, Dürre, die Mauer zu Mexiko ist gebaut, der ideologische Kampf ist weitergegangen, was ja vielleicht auch so eine Dystopie ist für unsere Zukunft von Naturkatastrophe, ideologisches Aufeinanderzuprallen. Klar, das war in Kalifornien wie so ein Sinnbild für mich dafür: auf der einen Seite dieses Naturschöne, dieses Besondere der Natur und diese Energie, die da ist, die trotzdem aber auch was Feindliches zeitgleich hat und etwas Endzeitartiges. Das hat mich schon sehr fasziniert. Also was da möglich ist an Drehorten, an Plateaus, wo man einfach nur seine Kamera aufstellen muss und losdrehen muss und dann schon relativ untalentiert sein müsste, um da gar nichts hinzukriegen. Das ist schon faszinierend. Das hat schon einen Grund, warum Hollywood in Kalifornien beheimatet ist.
"Ich finde die Kameraarbeit wirklich phänomenal"
Burg: Und man hat auch fast das Gefühl, Sie wollten auch diese einzelnen Bilder stehenlassen. Sie arbeiten viel mit Tableaus. Das sind so fast Gemälde. Wie ist denn das Verhältnis vom einzelnen Bild zum Kontinuum Film?
Kahl: Das ist, glaube ich, ein bisschen auch eine Stilistik von mir, mir solche Plateaus zu bauen, weil ich vielleicht nicht so schnell als Filmemacher bin, so Abfolgen von Bildern mir vorzustellen. Irgendwie bin ich da doch eher wie so ein Maler, der ein Bild braucht, in dem etwas passiert, in dem man dann mit Details arbeiten kann und mit einem großen Ganzen. Ich habe mir auch einen Fotografen als Kameramann genommen, genau um diesen Effekt zu bekommen, der dann eben einen anderen Blick hat, der eben nicht diese Abfolge von Einzelbildern sieht, sondern er komponiert das einzelne Bild.
Das hat dann Vorteile in dieser ästhetischen Betrachtung, hat dann vielleicht manchmal Nachteile, wenn man so eine Szene ganz normal klassisch auflösen muss, dann haben wir natürlich länger gebraucht, weil wir dann erst schauen mussten, wie wir das machen wollen und machen können und man da dann vielleicht als Fotograf nicht ganz so erfahren ist. Ich finde aber die Kameraarbeit wirklich phänomenal und toll. Markus Hirner heißt er. Ich glaube, der wird auch weiter als Kameramann bestimmt arbeiten, weil er weiß einfach, glaube ich, es eine sehr besondere Arbeit von ihm war.
Burg: Ich hoffe, wir haben Sie jetzt neugierig gemacht. "A Thought of Ecstasy", so heißt der Film, der nächsten Donnerstag in die Kinos kommt. RP Kahl ist der Regisseur und auch der Hauptdarsteller. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Kahl: Sehr gern!