Regisseur Tom Lass

"Wir wollen kein Drehbuch"

Regisseur Tom Lass mit dem German Independence Award für den besten deutschen Film Kaptn Oskar bei der Closing Gala zum 20. Internationalen Filmfest Oldenburg am 15.09.2013
Regisseur Tom Lass ist auch Hauptdarsteller in seinem Film "Kaptn Oskar". © imago / Future Image
Tom Lass im Gespräch mit Susanne Burg · 06.12.2014
Der Film "Kaptn Oskar" kommt am Donnerstag in die Kinos. Es ist der zweite Langfilm von Tom Lass. Der Regisseur schildert im Gespräch die improvisatorische Produktion des Filmes: Ohne feste Vorgaben, könne man sich darauf einlassen, was überhaupt passiert.
Susanne Burg: Oh, du bist so hübsch! Ich will dich, und du gehörst mir. So besingt Jack Johnson seinen Beziehungsstatus in "From the Clouds". Kaptn Oskar würde in diese Melodie wahrscheinlich eher nicht einstimmen, denn bei dem Protagonisten in dem gleichnamigen Film, also "Kaptn Oskar" von Tom Lass, ist es mit dem Beziehungsstatus eher schwierig.
Oskars Ex-Freundin hat zum Abschied noch ein Feuer bei ihm in der Wohnung gelegt, und mit der neuen Freundin, Masha, soll nun alles anders werden. Beziehung ja, aber weniger gefährliche Leidenschaft, also kein Sex.
Das Problem bei solchen Vorsätzen: Sie gehen häufig nicht auf.
Einspielung:
"Kaptn Oskar: Ja, ich wollte nur sagen, weil ich gesagt hab, wir sollten uns nicht küssen und nicht miteinander schlafen, also das ... ob das ...
Masha: Nicht dazu stehen, dass wir uns nicht küssen, oder ...
Kaptn Oskar: Ob wir das bei der Abmachung lassen oder ob wir das noch mal zur Diskussion freigeben, wollte ich einfach ...
Masha: Ich dachte, das ging von dir aus."
Burg: Ein Ausschnitt aus "Kaptn Oskar". Der Film kommt am Donnerstag in die Kinos. Es ist der zweite Langfilm von Tom Lass, finanziert mit nur ein paar Tausend Euro. Und jetzt ist der Regisseur des Films, der Koproduzent, der Cutter, Produktionsleiter, Hauptdarsteller hier im Studio.
Guten Tag, Tom Lass!
Tom Lass: Hallo!
Burg: Hallo. Habe ich noch eine Funktion vergessen?
Lass: Nee, ich glaube, da war jetzt fast alles dabei. Ja, ich weiß es selber gar nicht mehr. Ich habe zu viel gemacht.
Burg: Was es nicht gibt bei Ihnen, das ist der Drehbuchautor. Ich habe ja ein bisschen die Ausgangssituation des Films geschildert. Im klassischen Sinne passiert nicht so viel. Wir beobachten zwei Menschen dabei, wie sie versuchen, eine Beziehung einzugehen und all die Ängste, Neurosen und Hoffnungen sehen wir, die es dabei so gibt. Da würde normalerweise ein Drehbuchautor unter Umständen Jahre an den Dialogen feilen, um sie möglichst echt wirken zu lassen. Warum haben Sie das nicht so gemacht?
Im Kopf entstanden
Lass: Das ist eine Arbeitsweise, die über die Jahre so entstanden ist, auch schon bei meinem ersten Film. Wir haben einfach gemerkt, dass gerade so Dialoge gar nicht so geschrieben werden können eigentlich. Und wenn man sie so aufschreiben würde, könnten die Schauspieler sie so auch gar nicht umsetzen, weil einfach die Improvisation ein ganz andere Prozess in der Schauspielerei ist.
Also man sagt dann tatsächlich etwas gerade zum allerersten Mal, so wie es einem so im Kopf entstanden ist und dann über die Lippen kommt. Und nur dadurch entsteht das, was das Publikum dann immer so als Authentizität bezeichnet.
Burg: Nun muss man die ja auch erst mal herstellen und dann auch gemeinsam diese Geschichte, wo es ja eben - wo man sich ja nicht von Handlung zu Handlung hangeln kann, irgendwie entwickeln. Wie sind Sie da vorgegangen?
Lass: Ich habe hier für "Kaptn Oskar" eine halbe Seite Ausgangssituation geschrieben, aber an die haben wir uns eigentlich gar nicht gehalten. Also das Ziel war von Anfang an eben tatsächlich, so eine Beziehung zu beobachten und da so einzutauchen und einfach zu gucken, was passiert denn, was sind eigentlich die tatsächlichen Konflikte zwischen mir und meiner Hauptdarstellerin? Und wir können wir das benutzen für die Geschichte?
Dann habe ich gedacht, ich brauche aber auch noch eine Ex-Freundin, und da war irgendwas abgebrannt, während wir gedreht haben, so eine Bar, und ich dachte, wir könnten da auch drehen. Das ging dann aber nicht, und dann habe ich gesagt, na gut, dann hat sie halt meine Wohnung angezündet. So hat sich halt nach und nach die Geschichte entwickelt.
Burg: Sie haben gesagt, die Konflikte, die es zwischen Ihnen beiden gibt. Wie würden Sie die beschreiben? Was sind das für Konflikte?
Jeden Tag Sex-Szenen drehen
Lass: Man muss dazu sagen, ich hatte davor eben einen Film gedreht, "Papa Gold", da schlafe ich eben, also meine Figur, mit ganz, ganz vielen Frauen. Das hatte auch wiederum eine Hintergrundgeschichte, weil ich in einem Film davor jemanden gespielt habe, der einfach keine Freundin finden kann. Und dann war das so ein bisschen die Reaktion darauf, so, jetzt muss ich sie aber alle haben. Und dann dachte ich, gut, jetzt habe ich die zwei Varianten, was gibt es denn jetzt noch. Okay, ich hab eine Freundin, aber wir schlafen nicht miteinander. Das hatte ich mir irgendwie so ausgedacht.
Dann habe ich aber während des Drehs gemerkt, dass ich Amelie, die Hauptdarstellerin, einfach wahnsinnig heiß fand und einfach jetzt eine Sex-Szene drehen wollte. Ich wollte eigentlich jeden Tag Sex-Szenen drehen, und dann hat sie aber gesagt, so, jetzt - sie möchte aber gerade nicht. Und dann habe ich gemerkt, na ja - ich war dann sehr traurig einige Tage und dachte, ich kriege keinen Film.
Und eigentlich sind während dieser traurigen Tage die besten Szenen entstanden. Das merkt man auch erst nachher, dass halt meine absolute Verzweiflung einfach wahnsinnig glaubwürdig war.
Burg: Also es war dann mehr als nur Improvisation. Das war dann das reale Leben, das in den Film geschwappt ist.
Lass: So ein bisschen. Ich meine, ich rede auch ein bisschen Quatsch. Aber doch, absolut, und gerade in der Improvisation ist man - man ist ja eigentlich bei jeder künstlerischen Tätigkeit irgendwie gezwungen, aus sich selbst zu schöpfen, und gerade bei der Improvisation bietet sich das halt an.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Amelie Kiefer und Tom Lass in einer Szene des Films "Kaptn Oskar" © picture alliance / dpa / Filmfest Oldenburg
Burg: Masha wiederum, diese andere Figur, die hat ja auch in dem Film mit vielen anderen Männern Sex, und sie will die danach immer nicht gehen lassen, sondern am liebsten, dass die ihr die ewige Liebe oder Ähnliches schwören. Sie stellt dann häufig Fragen nach dem Motto: Auf einer Skala von eins bis zehn, wie gut war es? Wie sehr liebst du mich, et cetera. Deswegen jetzt die Frage an sie: Auf einer Skala von eins bis zehn, wir neurotisch sind die Protagonisten Masha und Oskar?
Lass: Sagen wir mal, sieben. Ich finde, das ist eine gute Zahl. Aber letztendlich - alle haben so ihre Neurosen.
Burg: Kommen wir mal zur Produktionsweise. Sie haben den Film ohne Filmförderung produziert, in einem Land, wo ja doch es eine recht üppige Filmförderung gibt. Warum?
Ein paar Türen weiter offen
Lass: Bei meinem ersten Film war es ja die gleiche Prämisse, dass ich - ich habe einfach gesagt, wir wollen kein Drehbuch, gerade aus den Gründen, weil dann eben bestimmte Dinge entstehen können, die man mit einem Drehbuch so nie machen könnte, und weil auch die Produktionsweise dann überhaupt erst möglich ist ohne diese Vorgabe, wenn man sich einfach darauf einlässt, was passiert überhaupt. Weil wir wissen nicht, was passiert und fangen einfach etwas ein. Und damit zu einer Förderanstalt zu gehen, ja, hallo, wir haben kein Drehbuch, geben Sie uns bitte ganz viel Geld, wäre damals unvorstellbar gewesen. Und erst jetzt durch diese Filme, durch meine, aber auch die meiner Kollegen, wie von meinem Bruder, Jakob Lass, oder auch Axel Ranisch oder auch Aron Lehmann, und die ganzen Erfolge, die diese ganzen Filme hatten, sind jetzt inzwischen ein paar Türen etwas weiter offen, dass es theoretisch auch ginge, dass man in so eine Filmförderung geht.
Aber die wollen immer noch was lesen, also eine halbe Seite ist denen, glaube ich, immer noch zu wenig. Das Schöne ist, dass ich jetzt für meinen dritten Film tatsächlich dann auch ein Budget haben werde, wovon ich dann auch meine ganzen Mitarbeiter und Schauspieler bezahlen kann.
Burg: Sie haben gerade eben noch ein paar andere Namen erwähnt, eben Axel Ranisch, der "Dicke Mädchen" gemacht hat, oder Ihren Bruder, Jakob Lass, der mit "Love Steaks" ja dieses Jahr für den Deutschen Filmpreis nominiert war als bester Spielfilm. Und es gibt jetzt auch ein Label, Darling Berlin, das sich eben um Low-Budget-Filme kümmert. Formiert sich da so was wie eine selbstbewusste Low-Budget-Filmszene?
Lass: Oh, ich glaube, Low Budget ist auf jeden Fall ein Begriff, den wir gar nicht damit assoziieren wollen. Das waren zwar die Anfänge, aber das macht man halt so vielleicht bei den ersten paar Filmen, um die Tür aufzumachen, weil wenn sie danach nicht offen ist, muss man irgendwann ja auch sagen, okay, ich kann jetzt nicht den Rest meines Lebens mich selbst ausbeuten, alle meine Mitarbeiter ausbeuten.
Das kann kein Dauerzustand sein. Insofern, wir wollen alle ganz gewöhnliche Budgets haben, damit wir die Leute so bezahlen können, wie es bei allen anderen Produktionen auch üblich ist, denn die Leute müssen von irgendwas leben. Wir begreifen uns auch so gar nicht als Bewegung. Das begreifen dann, glaube ich, eher die anderen so. Aber wir kennen uns eben alle und haben wirklich viel Zeit miteinander verbracht. So entstehen dann eben diese einzelnen Philosophien, diese Ansichtsweisen, wie man eben auch alternativ auch Filme machen kann.
Burg: Ich frage mich, warum gerade jetzt so eine Bewegung entstanden ist, eben andere Wege zu suchen. Haben Sie da eine Erklärung?
Das hat den Prozess so beschleunigt
Lass: Ich glaube also auf jeden Fall, dass die technische Entwicklung eine große Rolle gespielt hat, weil eben damals auch, als ich "Papa Gold" gedreht habe, das war 2009, da kamen gerade diese Kameras auf den Markt, diese neuen Kameras. Die haben so einen großen Chip, der so empfindlich ist, dass man tatsächlich auch bei Laternenbeleuchtung dann tolle Bilder hinbekommen hat. Und wir mussten einfach keine, wahnsinnig viele Lampen aufstellen, sondern wir konnten einfach so drehen, da, wo wir waren. Und das hat schon mal einfach den Prozess so beschleunigt.
Darüber hinaus ist es eben die Digitalisierung. Wenn wir das, was wir jetzt machen, ich weiß nicht, vor 20, 30 Jahren versucht hätten, hätten wir auf Film drehen müssen. Das geht gar nicht. Aber ich glaube, dass es gar nicht nur mit der Technik zu tun hat, sondern eben auch mit einer gewissen Frustration, die wir alle erlebt haben, wenn wir klassisch gedreht haben, ob nun als Schauspieler oder als Regisseur oder in irgendeiner anderen Position. Was ich eben wahnsinnig oft miterlebe, sind diese 14-Stunden-Tage, wo man um fünf aufsteht und irgendwann um zehn noch nicht im Bett ist und dann noch Text lernen muss.
Ich dachte einfach, wie wäre es, wenn wir das umdrehen, wenn wir nicht sagen, ja, wir müssen das und das in dieser kurzen Zeit schaffen, sondern einfach sagen, wie viel Geld haben wir, wie viel Zeit können wir uns dafür lassen, und dann lass uns in dieser Zeit drehen. Und zwar auch nur noch so lange, wie wir überhaupt noch kreativ sind oder leisten können. Und wenn wir müde sind, gehen wir nach Hause. Und so war es auch.
Burg: Klaus Lemke hat den Film gelobt. Er sei "electrifying", sagt er, wie Sie mit dem wenigen umgehen, was Sie haben. Er ist ja einer der wenigen, die immer wieder sich auch bewusst von der Filmförderung abgesetzt haben, selbst finanzierte Filme drehen. Sehen Sie sich selber auch in dieser Tradition?
Lass: Klaus Lemke ist auf jeden Fall unglaublich cool. Kommt aber natürlich auch aus einer anderen Zeit. Er ist sehr kritisch, was das Fördersystem betrifft. Seine lobenden Worte bedeuten mir natürlich wahnsinnig viel. Als er mir das auf die Mailbox gesprochen hat, sein ganzes Lob, konnte ich das dann jetzt für die Ewigkeit festhalten.
Burg: Für die Ewigkeit, und auch bei YouTube dann zu hören. Aber vor allem gibt es einen neuen Film zu sehen, den zweiten Film von Tom Lass, "Kaptn Oskar" kommt am Donnerstag in die Kinos.
Vielen Dank für Ihren Besuch!
Lass: Vielen Dank! Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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