"Da war meine große Liebe zu diesem Buch"
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Millionen Schülerinnen und Schüler sind mit Hermann Hesses "Narziss und Goldmund" aufgewachsen. Höchste Zeit, der schönen Sprache schöne Bilder zu geben, dachte sich der Regisseur Stefan Ruzowitzky. Er hat den Stoff jetzt erstmals verfilmt.
Patrick Wellinski: Der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky gewann für seinen Holocaust-Film "Die Fälscher" 2008 einen Oscar. Danach folgten einige Ausflüge ins Genrekino, jetzt kehrt er zurück mit einer groß angelegten Kino-Adaption des Klassiker von Hermann Hesse, "Narziss und Goldmund". In den Hauptrollen die jungen Kinostars Jannis Niewöhner und Sabin Tambrea.
Wie schon bei Hesse ist auch die Ruzowitzky-Fassung des Stoffs eine Geschichte zweier Freunde, die nach dem richtigen Lebensweg suchen. Und während sich der schöne Goldmund der Liebe und der Kunst verschreibt, bleibt Narziss im Kloster und lebt im Glauben, in Askese und entsagt vielen anderen Freuden. Als ich Regisseur Ruzowitzky zum Interview traf, wollte ich zunächst von ihm wissen, ob es in seinem Leben jemals eine richtig harte Hermann-Hesse-Phase gegeben hat.
"Den 'Steppenwolf' mochte ich nicht"
Stefan Ruzowitzky: Ja, schon – so wie jeder mit 15, 16, 17. Das war "Narziss und Goldmund", das fand ich ganz großartig, in das habe ich mich verliebt. Und dann habe ich sofort "Steppenwolf" angefangen, fand es aber ganz doof und habe es auch nicht zu Ende gelesen. Im Zuge der Arbeit an dem Film habe ich jetzt auch noch mal versucht, "Steppenwolf" zu lesen, aber ich mag das immer noch nicht, weil ich diesen Typen nicht mag, den kenne ich auch aus dem wirklichen Leben. Diese zynischen, überheblichen Intellektuellen, das ist mir ganz unangenehm.
Wellinski: Was ist es denn an "Narziss und Goldmund", das Sie so begeistert hat, dass Sie jetzt letztlich sogar einen Film darüber gemacht haben, es verfilmt haben?
Ruzowitzky: Ach, es kam die Anfrage, und ich habe mich erinnert, da war doch was eben in der Teenagerzeit, da war doch diese große Liebe zu diesem Buch. Ich glaube, das war schon eine Mischung aus allem, also die Kunst, aber auch sehr die Freundschaft, um die es da geht. Und dann sind da viele Sachen drin, die einen halt so als Heranwachsender beeindrucken. Die Entdeckung der Liebe und der sexuellen Identität und so diese ganzen Sachen. Und ich habe jetzt einige Leute kennengelernt oder von Leuten gehört, die regelmäßig bis ins hohe Alter dieses Buch oder andere Bücher von Hesse immer wieder lesen, von einem, der liest "Narziss und Goldmund" jedes Jahr im Urlaub, so als Lebenskompass. Er hat da schon geschafft, etwas zu schreiben, was Menschen berührt.
Wellinski: Sie müssen auch etwas Zeitloses noch mal entdeckt haben an dem Stoff, denn ich hatte das Gefühl beim Sichten des Films, dass Sie besonders junge Kinogänger im Blick haben, allein schon die Besetzung verweist darauf. Aber worin liegt Ihrer Meinung nach die Zeitlosigkeit einer Geschichte für einen Mitte 20-Jährigen heute – einer Geschichte, die ja zu großen Teilen in einem mittelalterlichen Kloster spielt?
Ruzowitzky: Ja, also, dass wir jetzt so auf die Jungen gehen, würde ich nicht sagen. Die junge Besetzung, das rührt schon auch daher, dass es – wie gesagt – um die Entdeckung der Liebe, um die ersten Gefühle geht, und wenn ich da irgendwie 30-jährige Schauspieler habe, da lachen Sie mich doch aus, das geht ja nicht. Und ich finde die zwei, gerade Jan ist erst 27, dem glaubt man das noch, das ist ein toller Schauspieler. Also, warum sollte man da irgendwie ältere Kollegen suchen. Das hat schon sehr viel damit zu tun, sonst: Das Ganze ist eine Parabel, die Geschichte spielt ja auch in einer sehr diffusen … irgendwo in Deutschland, irgendwann Ende des Mittelalters. Das ist ja irgendwie nicht gebunden und das sind ja Themen, die universell sind und bis heute ihre Gültigkeit haben. Und das ist noch nie verfilmt worden, erstaunlicherweis. Deswegen war ich da natürlich sofort Feuer und Flamme.
Wellinski: Aber Sie legen schon sehr viel Wert darauf, dieses klösterliche Leben in allen Details zu zeigen. Wie erarbeitet man das mit Schauspielern, die wahrscheinlich Ende 20, Anfang 30 sind und die wahrscheinlich auch mit diesem religiösen Kontext eher wenig anfangen können?
Ruzowitzky: Die sind ja ganz brav beide ins Kloster gegangen, aber ich weiß nicht, ob das ihnen so die Augen geöffnet hat. Es geht aber mehr darum, also, für mich, als jetzt nicht religiösen Menschen, dass ich auf der einen Seite diesen Narziss habe, der ganz verinnerlicht ist, der sich also nicht mit der Realität konfrontiert und eigentlich das macht, was heute Intellektuelle machen. Wie man ja auch sagt, ich gucke mir das aus der Ferne an und analysiere das dann. Oder – demgegenüber – dann halt das Lebenskonzept, wo ich mich reinstürze, wo es eben auch dazugehört, Fehler zu machen und für diese Fehler dann zu büßen und daraus was zu lernen.
Das Kloster ist natürlich eine schöne bildliche Metapher: Da gibt es keine Farben, da ist eine gewisse Strenge, die Uniformiertheit der Kutten, das erzählt sich ja alles sehr schön optisch. Aber wie gesagt, im Prinzip geht es mehr um diesen Widerspruch zwischen einem kopfgesteuerten Intellektuellen und dann dem, der ganz auf Emotion, Bauch und Herz ist.
"Ich führe als Regisseur eine klassische Narziss-Existenz"
Wellinski: Wie ist das eigentlich, sind das die zwei Extrempole, die es gibt? Der Geistesmensch und der Lebemensch? Oder ist am Ende so eine aristotelische Mitte eher das richtige Prinzip?
Ruzowitzky: Die ganz reinen Formen gibt es selten, obwohl ich sagen muss, mit Jannis Niewöhner und Sabin Tambrea habe ich da schon ziemlich reine Formen gefunden. Das war wirklich lustig. Und auch bei den Kinderdarstellern: Wie sehr diese beiden Goldmund-Darsteller so hundertprozentige Goldmünder sind, da geht die Sonne auf, wenn die in den Raum kommen. Und jeder liebt Jannis, und Jannis liebt alle Menschen und er lächelt immer und ist nie schlecht gelaunt. Und Sabin ist so eher der Ruhige, Intellektuelle, Analytische und so. Das war schon sehr interessant.
Bei mir ist es irgendwie ganz schön, das teilt sich auf, dass ich halt als Autor so eine klassische Narziss-Existenz führe. Ich sitze in meinem Kämmerlein und baue mir da meine Welt und als Regisseur am Set, wo also immer die Gefühle da sind und der Adrenalinspiegel immer auf Anschlag, das ist halt dann so ein richtiges Goldmund-Leben. Das genieße ich auch sehr, dass ich da so zwischen den Extremen hin- und herwandern darf.
Diskurs über Kunst
Wellinski: Sie arbeiten in Ihrem Film ja auch einen sehr starken Kunstdiskurs auf diese Erzählung heraus, das fand ich sehr spannend. Es gibt da einen Dialog zwischen Goldmund und Meister Niklas über die Frage, Kunst produzieren, um zu leben, also als Lohnerwerb oder eben leben, um Kunst zu schaffen, losgelöst von den finanziellen Zwängen. Wie hält es denn der Oscar-Gewinner Stefan Ruzowitzky mit dieser Frage?
Ruzowitzky: Was der da sagt, das gebe ich mal zu, das ist eigentlich mehr Ruzowitzky als Hesse, weil das auch vielleicht heute mehr als damals, dass es da ja so einen scheinbaren Widerspruch gibt. Darf ich also als Künstler Geld verdienen, darf ich davon leben oder muss ich mich für meine Kunst aufopfern? Wo sich dann aber gleich die Frage anschließt: Nur weil ich mich aufopfere und als armer Poet mir auf den Kopf regnen lasse, heißt das dann, dass dadurch meine Kunst besser wird? In der Regel nicht, es gibt tolle Künstler, die viel Geld verdienen damit und auch auf Geld aus sind. Es gibt auf der anderen Seite arme Kirchenmäuse, manche von denen machen großartige Dinge, manche machen aber auch keine gute Kunst. Das ist so ein bisschen auch meine Überlegung, dass man so oder so die Kunst nicht bestechen kann, auch nicht mit Armut und Notleiden.
Wellinski: Ich meine, das Filmgewerbe, Filmregie ist ja auch ein schlechtes Beispiel vielleicht. Film ist ja so eine kleinteilige Geschichte, man muss mit vielen Leuten zusammenarbeiten, das ist ja eher so ein kollaborativer Prozess. Das ist ganz anders, wenn man zum Beispiel wie Meister Niklas so eine Art Bildhauer ist. Wie ist das, als Filmemacher Kunst schaffen, ohne auch ans Geld zu denken, geht ja gar nicht.
Ruzowitzky: Nein, das geht nicht. Es ärgert mich eher, wenn manche Kollegen sich so stilisieren: "Geld interessiert mich überhaupt nicht und ich schwebe da nur in höheren Sphären". Das finde ich doof, und das geht auch nicht. Ich weiß, ich habe ein gewisses Budget, davon abhängig ein Zeitbudget, und wenn ich auf der einen mehr ausgebe, habe ich auf der anderen Seite weniger. Sich damit nicht auseinanderzusetzen, ist fahrlässig oder ist einfach schlechtes Handwerk, schlechte Arbeitseinstellung.
Schöne Sprache in schöne Bilder übersetzen
Wellinski: Das Budget war ja riesig, gut zehn Millionen Euro, habe ich gelesen. Wahrscheinlich war es auch ein Tick mehr oder ein Tick weniger. Ist das für Sie als Regisseur dann ein Unterschied, ob jetzt das Budget zehn Millionen sind oder zwei Millionen, gehen Sie da anders ran?
Ruzowitzky: Ja, schon. Man überlegt sich schon, was für eine Art von Film wollen wir machen. Und man könnte auch mit "Narziss und Goldmund" sagen, okay, wir erzählen das jetzt heute und drehen das auf einem iPhone und gucken, was dabei rauskommt, das kann auch etwas Interessantes sein. In dem Fall war es halt so, dass man gesagt hat, das ist die erste Verfilmung, da ist Sony und man hat sich gemeinsam geeinigt, man möchte großes Gefühlskino, großes Mainstream-Unterhaltungskino, was ich dem Stoff auch angemessen finde. Man kann jetzt irgendwelche kleine verquer-literarische Experimente, die kann man auch zu Tode finanzieren oder mit zu viel Budget erschlagen.
Aber bei "Narziss und Goldmund", ich hatte schon das Gefühl, dass man die schöne Sprache des Buches übersetzen muss in schöne Bilder, dass das einfach einen gewissen Production Value, eine gewisse Üppigkeit verlangt, um dem Roman gerecht zu werden. Nicht nur, aber ich finde, die Größe, die wir da jetzt gefunden haben, das entspricht dem, wie die Erzählung gemeint ist.
Wellinski: Welchs visuelle Konzept haben Sie denn dahingehend mit Ihrem Kameramann Benedict Neuenfels erarbeitet? Das sind ja wirklich große, leinwandfüllende Scopebilder, es ist Natur, aber eben auch die ganzen Prozessionen, die Mönche.
Ruzowitzky: Also, wenn ich jetzt einen Film über das Mittelalter machen würde, der wäre sicherlich düsterer, dreckiger, gewalttätiger. Aber zum einen ist es Hesses Mittelalter, wie es halt in dem Buch beschrieben ist. Zum anderen glaube ich, sowohl Hesse als auch ich, wir zeigen die Welt, wie sie Goldmund erlebt. Dieser enthusiastische Künstler, der das alles irre toll findet und der überall Farben sieht. Und vielleicht waren in Wirklichkeit diese ganzen Mädchen nicht so hübsch wie auf der Leinwand und vielleicht war diese Klatschmohnwiese, vielleicht war da gar nicht so viel Klatschmohn. Aber so hat er es empfunden. Und wir zeigen einfach die Bilder, die dieser Goldmund, diese Künstlerseele, im Kopf hat.
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